Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Albert Gerhards (Hrsg.), Ein Ritus - zwei Formen.
Die Richtlinie Papst Benedikts XVI. zur Liturgie, Freiburg i. Br. 2008

Besprechung von Lic. Theol. Daniel Eichhorn

Der von dem Bonner Liturgiker Albert Gerhards herausgegebene Sammelband möchte auf 176 Seiten über aktuelle Fragen und Probleme informieren, die mit der Einführung der „Richtlinie Papst Benedikts XVI. zur Liturgie“ (Untertitel) verbunden sind.

Formal folgen einer Einführung des Herausgebers drei Teile, wobei der erste Teil „Dokumentation“ (12-29) die einschlägigen Dokumente in deutscher Sprache wiedergibt: das päpstliche Motu proprio selber, den Begleitbrief des Papstes, woran sich Leitlinien für die deutschen Diözesen der Bischofskonferenz anschließen.

Unter Teil 2 „Bischöfliche Stellungnahmen“ (31-47) sind zwei bischöfliche Kommentare abgedruckt, jener von Kardinal Lehmann und jener des Aachener Oberhirten Heinrich Mussinghoff. Somit besteht mehr als ein Viertel des Buches aus vorgegebenen kirchlichen Texten.

Der dritte Teil „Theologische Dokumentation“ (49-Schluß) dokumentiert Texte von Benedikt Kranemann, Klemens Richter, Robert Spaemann, Enzo Bianchi, Arnold Angenendt, Andreas Odenthal sowie erneut Albert Gerhards´.

Damit reflektiert die Bandbreite der Autoren das Spektrum gegenwärtiger Wahrnehmung. Dieser Ansatz offenbart das Bemühen des Herausgebers um Objektivität und Gerechtigkeit. Dabei macht der emeritierte Philosoph Spaemann aus seiner Vorliebe für den alten Ordo genausowenig einen Hehl wie aus seiner kritischen Sicht des Neuen Ritus. Damit bewegt er sich auf umgekehrtem Niveau wie fast alle anderen Autoren, die ihrerseits ihre mehr oder weniger große Reserve gegenüber dem alten Ritus deutlich kundtun. Insofern positionieren sich alle Autoren, außer A. Angenendt, eindeutig. Die zum Teil von den Autoren sehr heftig vorgetragene Kritik richtet sich gegen die Entscheidung des Papstes wie gegen die vorkonziliare Liturgie selber. Von weiteren, zur außerordentlichen Form positiv eingestellten Autoren wie M. Mosebach sind keine Beiträge veröffentlicht. Auch kommen dezidierte Kenner der ostkirchlichen Riten nicht zu Wort.

Die Kritik der Kritiker umfaßt liturgische, liturgietheologische und damit verbunden immer wieder auch theologische Argumente: B. Kranemann und Kl. Richter postulieren erneut prinzipiell andere Grundaxiome der reformierten Liturgie, die nun durch die erneute Aufwertung des früheren Ordo in Frage gestellt seien. Damit erscheinen die Liturgiereform und ihre sie motivierenden Prinzipien weiterhin als Neuanfang und damit als Bruch. Die von J. Ratzinger/Papst Benedikt seit Jahren immer geforderte „Hermeneutik der Kontinuität“ wird damit ablehnt. Insofern geben sie implizit den Anhängern Msgr. Lefèbvres recht, die ebenfalls einen nachkonziliaren Bruch auszumachen meinen, wie E. Bianchi bemerkt (108). Diesem Prinzip entsprechend wird von den beiden genannten Theologen das Kirchenbild der alten Liturgie als grundsätzlich vorkonziliar und überholt verstanden. Die Bedeutung der Laien scheine darin praktisch nicht auf. Die außerordentliche Form wird als reine Klerikerliturgie dargestellt, wobei Anfragen an das Priesterverständnis selber gestellt werden (137f.). Die Ansicht Klaus Gambers, daß alle legitimen Ansätze des letzten Konzils im Rahmen der überlieferten Liturgie selber möglich und im Meßordo von 1965 praktisch erfüllt gewesen wären, wird nur von Spaemann erwähnt.

Als Beispiel für die „Fragwürdigkeit“ oder „Problematik“ der von Benedikt XVI. geschaffenen Situation wird in dem Band immer wieder das Verhältnis der alten Liturgie zu den Juden dargestellt, wobei auch die jüngst (Februar 2008) erneuerte Karfreitagsbitte dem allgemeinen Mißfallen anheimfällt. Demgegenüber stellt Spaemann fest, daß es einen jüdischen Sonderheilsweg außerhalb Jesu Christi nicht gebe und die Bekehrungsbitte für die Juden damit im Gegenteil einen freundschaftlichen Akt der Nächstenliebe darstelle.

Mehrfach wird der Alte Ritus als Gefahr für die Frömmigkeit und Spiritualität betrachtet, insofern er eine Veräußerlichung fördern könne (112). Daß das Wesen des homo religiosus zunächst wesentlich in inneren Akten besteht, wird praktisch nirgends deutlich. Bei Spaemann begegnet die normative Verwiesenheit jeglicher irdischer Liturgie auf deren vorgegebenes, himmlisches Urbild, das diese letztlich (nur) sakramental präsent setzt und damit in realer Teilhabe „abbildet“.

Kritik an der Liturgiereform kommt hingegen von A. Angenendt, der als Kirchenhistoriker die angewandte Methodik der Reform hinterfragt: Die stete Unsicherheit des historischen Befundes hinsichtlich der frühen römischen Kultformen beschreibt er als Versuch, „zu einer vermeintlich ursprünglichen Liturgie“ zurückzukehren (133), wobei in Wahrheit lediglich der Text erreichbar sei: „Unsere Reform ist in Wirklichkeit weitgehend Text-Reform.“ (133) Er betont, daß „Liturgie einer hohen Formsicherheit bedarf“ (141). Weiters bemängelt er, daß die Liturgiereform „unter Absehung aller Religionsgeschichte gemacht worden“ sei (133): „Gottesdienst ist mehr als Text und dessen intellektuelle Erklärung. […] Die Liturgie soll […] nicht primär gescheite Gedanken bieten, sondern ein Durchdrungen-Werden vermitteln.“ (134f.)

Immer wieder begegnen in dem Werk Widersprüche: E. Bianchi, der mit teils poetischer Feder den Part des Neokonservativ-Spirituellen vertritt, sieht von uns Gehorsam „autoritativ abverlangt“ gegenüber einem (angeblich) „angebotenen Zugeständnis“ (114) des Papstes. „Wer einen wirklichen senus ecclesiae hat, der hat vor allem Befürchtungen!“ (104). Nur: Weshalb ,Befürchtungen´, wenn es dafür keinen Grund gibt? Der Abt von Bose sieht nämlich keinen liturgischen Bruch: „Der gegenwärtige Ritus ist nichts anderes als die Reform des Ritus Pius V.“ (113). Des weiteren kritisiert er im Zeichen des Ökumenismus die Terminologie des vorkonziliaren Karfreitags, die von „Schismatikern und Häretikern“ (116) spricht. Soweit so gut. Seltsam nur, daß derselbe Autor wenige Seiten zuvor den Begriff „Schismatiker“ selbst im Munde führte, nämlich wenn er von den „Lefebvriani“ handelt (104 und 118).

Das Buch präsentiert sich als Paperback aus der Reihe „Theologie kontrovers“ (Herder). Wohl deshalb, weil es sich nicht um ein Handbuch handelt, ist ein Personen- und Stichwortregister nicht vorhanden, doch hätte dies zur Orientierung nicht geschadet. Einmal mehr sind etliche orthographische und inhaltliche Fehler unterlaufen (z.B. „Font Gombeault“ statt „Fontgombault“ (108), Meßbuch „Pauls V.“ statt „Pius V.“ (104). Die Zahlen der mit Rom in Communio stehenden Altritus- Priestergemeinschaften (120) sind stark untertrieben: Statt der angegebenen 150 Priester sind es in Wahrheit mehr als ein halbes Tausend; allein die Priesterbruderschaft St. Petrus als weitaus Mitgliederstärkste dieser Gemeinschaft verfügt über mehr als 200 Priester. Statt 107 Seminaristen sind es etwa 300. Falsch ist des weiteren die Behauptung, die Priesterbruderschaft St. Pius X. sei 1988 „exkommuniziert“ (120) worden; vielmehr haben sich deren Bischöfe, und nur diese, ipso facto selbst kommuniziert, was von Rom bestätigt wurde.

Trotz dieser nicht geringen Defizite stellt das Oeuvre unter dem Strich dennoch eine aktuelle und recht brauchbare Information dar, um die einschlägigen Argumente von Befürwortern und Gegnern einer kirchlichen und kirchenpolitischen Frage kennenzulernen, die von entscheidender Bedeutung ist. Die Grenzen der einzelnen Beiträge sind ebenso unverkennbar wie deren kritische Tendenz. Dem Leser wird bewußt, daß das Christentum „eine ,unruhige´ […] Religion“ (A. Angenendt, 142) ist.