„Der alte Ritus spaltet die Kirche“
18. 8. 2009
Allzu bedeutend scheint dieses katholische Web-Magazin aus den USA nicht zu sein, in dem wir - durch freundlichen Hinweis von Fr. Zuhlsdorf - den im folgenden übersetzten Beitrag gefunden haben. Aber er scheint uns typisch zu sein für das Durcheinander in vielen wohlmeinenden nachkonziliaren Köpfen. Grund genug, ihn etwas näher anzusehen. Derlei krudes Zeug findet man näich nicht nur im mittleren Westen der USA, sondern auch beim breiten Mittelmaß deutscher Theologischer Fakultäten.
„Zweimal falsch gibt keinen richtigen Ritus“
In der Erzdiözese, in der ich lebe, wird an einem Ende jeden Sonntag die Messe in einer Turnhalle gefeiert, und eine lebhafte Folk-Music-Gruppe begleitet die Versammlung bei ihrer formlosen und entspannten Liturgie. Die Stimmung entspricht der Musik. In der Turnhalle fühlen sich die Kinder auch kaum irgendwelchen Zwängen unterworfen und laufen munter in der Gegend herum. Um den tragbaren Altar, den diese Gruppe seit vielen Jahren benutzt, sind Klappstühle im Halbkreis aufgestellt.
Natürlich gibt es keine Kniebänke. Einmal, weil transportable Kniebänke nicht wirklich praktisch wären, dann aber auch wegen der theeologischen Einstellung der hier Versammelten: sie blicken voll Vertrauen zu Gott auf und neigen sich nicht furchtvoll vor ihm nieder. Sie verkörpern eine Kirche und eine Theologie, die auf dem zweiten Vatikanischen Konzil geboren wurde.
So schön haben wir die Hermeneutik des Bruches selten ins Bild gesetzt gesehen.
Ich kenne viele dieser Katholiken dort und denke, daß es gute und fromme Leute sind. Aber ihre Liturgie ist ein Skandal.
Am anderen Ende der Erzdiözese murmelt ein Priester in prächtigen Gewändern lateinische Gebete, er hat sich dem Tabernakel zugewandt, seine Stimme ist für die hinter ihm versammelten Gläubigen fast unhörbar. Viele von ihnen beten still für sich den Rosenkranz. An einigen Stellen gibt es einen Austausch von Worten zwischen dem Priester und der Versammlung – in lateinischer Sprache.
Die Atmosphäre ist ehrfurchtsvoll, das kommt schon fast zwangsläufig durch die Stille, die Kerzen und das Latein, aber mehr noch entspricht sie der Theologie der hier Versammelten. Das sind Katholiken, „die in Ehrfurcht vor Gott niederknien, und nicht Bruder Jesus kameradschaftlich auf die Schulter schlagen“. Sie bewahren ein Kirchenbild und eine Theologie, die vom zweiten Vatikanischen Konzil überwunden worden sind.
Ich kenne viele dieser Katholiken dort und denke, daß es gute und fromme Leute sind. Aber ihre Liturgie ist ein Skandal.
Einer der Teilnehmer in der Versammlung ist einer der besten lebenden Menschen, die ich kenne: Mein Vater – aber seine Liturgie ist ein Skandal.
Ein Außenstehender, der die beiden Feiern beobachtete, würde nie darauf kommen, daß beide zur gleichen Kirche gehören. Und tatsächlich würden auch viele Teilnehmer der beiden Versammlungen zugeben, daß sie nicht den gleichen Glauben haben wie die jeweils „anderen“.
Und genau das ist es, was diese beiden Liturgien zum Skandal macht. Sie drücken so extreme Vorstellungen von Gottesdienst aus, daß sie sich weit vom zentralen Inhalt der Liturgie entfernt haben, wie er in der Einführung zu Sacrosanctum Concilium dargestellt ist: „als Zeichen, das aufgerichtet ist unter den Völkern. Unter diesem sollen sich die zerstreuten Söhne Gottes zur Einheit sammeln, bis eine Herde und ein Hirt wird“. Eine Kirche, die derart unterschiedliche Gottesdienstformen praktiziert, wird die zerstreuten Kinder Gottes schwerlich vereinigen.
Das ist sicher ein Grund für die erbitterte Ablehnung, die viele Etablierte dem alten Ritus entgegen bringen: Die Furcht, die sichtbare Alternative zur modernistischen Monokultur könnte unübersehbar kenntlich machen, wie weit sich die Dinge vielerorts von dem wegentwickelt haben, was noch vor wenigen Jahrzehnten zum Kernbestand katholischen Glaubens und Lebens gezählt wurde.
Gegenwärtig gibt es viele Gruppierungen unter einem Hirten, der letztes Jahr große Unruhe dadurch auslöste, daß er den freizügigeren Gebrauch der alten lateinischen oder tridentinischen Liturgie wieder zuließ. Er gestattete es nicht nur den Gemeinden, nach Belieben des Pfarrers die alte Messe zu feiern, es gab auch Berichte, nach denen Papst Benedikt es gerne sähe, daß zumindest eine alte Messe in jeder Pfarrei angeboten würde. Als ich davon erfuhr, hörte ich ein rumpelndes Geräusch – ich bin sicher, das war Papst Johannes XXIII., der Einberufer des Zweiten Vatikanischen Konzils, der in seinem Grabe rotierte.
Nur zur Erinnerung: Papst Johannes XXIII. hat sein ganzes Leben lang keine andere Theologie gefeiert als die der Tradition; liturgisch war er durchaus konservativ eingestellt. Es ist in jedem Sinne sein Messbuch, das jetzt durch „Summorum Pontificum“ wieder allen Priestern zugänglich gemacht worden ist.
Das Problem mit der Turnhallenmesse ist nicht die Turnhalle, die Folk-Music oder das Fehlen der Kniebänke. Die Messen, an denen ich dort teilgenommen habe, entsprechen weitgehend dem vom Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedeten Ritus.
Die Vorgabe des Konzils, der lateinischen Sprache und dem gregorianischen Choral den ihnen gebührenden Platz zu erhalten, muß dann wohl von einem anderen Konzil gekommen sein? Und nein, „das Konzil“ hat überhaupt keinen Ritus verabschiedet - das war 5 Jahre später das Consilium, das die Beschlüsse des Konzils in vielem mißachtete. Daß die von ihm zurechtgezimmerte Liturgie schließlich die Genehmigung des Papstes erhielt, ist wohl nur dadurch zu erklären, daß der Papst hoffte, mit einem neuen Missale die allgemeine Regellosigkeit wenigstens eindämmen zu können, und die Arbeiten nicht länger verzögern wollte.
Der Skandal ist, daß keine hundert Meter von der Turnhalle entfernt eine schöne Kirche steht, wo die anderen 90 Prozent der Pfarrei jeden Sonntag die Liturgie feiern.
Als vor einiger Zeit die Turnhallen-Messe wegen Reparaturarbeiten für einige Wochen in die normale Kirche zurückkehren mußte, wurde allen Ernstes darüber gesprochen, den transportablen Altar mitzunehmen und an Stelle des normalen Altars zu verwenden. Zwei Altäre in einer Pfarrei – das schreit die Trennung geradezu heraus: „Unsere Kirche ist nicht eure Kirche, unser Gottesdienst ist nicht euer Gottesdienst, wir sind nicht das, was Ihr seid.“ Das spaltet den Körper Christi, und das ist ganz und gar nicht das, was das Konzil wollte, als es die Veränderungen anordnete.
Das muß man ernst nehmen - und zwar vor allem deshalb, weil dieser Unfug inzwischen - in spiegelbildlicher Form - auch bei einigen Freunden der alten Liturgie aufkommt. Je nach Temperament weigern sie sich, die Messe zu besuchen von Priestern, die auch die neue Liturgie feiern, oder in Kirchen, in denen auch nach dem Novus Ordo zelebiert wird. Mit Gottesdienst hat das in keinem Fall etwas zu tun, umso mehr mit Stolz und Selbstüberhebung.
In der Begeisterung, die auf das Konzil folgte, kam es in der Liturgie der Pfarreien oft zu wohlgemeinten, aber liturgisch schlecht beratenen Experimenten. Einige fortschrittliche Liturgien gingen zu weit und verfehlten die Absicht der Neuerungen des Konzils.
Diese irregulären Praktiken haben dazu beigetragen, eine Reaktion von Extremisten zu provozieren, die nun die Kirchengeschichte zurückdrehen und uns in eine Welt zurückversetzen wollen, in der es so schwarz und weiß zugeht wie bei Talar und Chorrock eines 10-jährigen Messdieners. Auf der einen Seite der Kirche gibt es die Fortschrittlichen, die nach dem Rhythmus ihres eigenen Trommlers tanzen, auf der anderen nostalgische Traditionalisten, die die Uhr zurückdrehen wollen.
Das zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Stück: Der Versuch, diejenigen, die dem Willen des Papstes und dem Kirchenrecht folgen, ebenso als „Extremisten“ darzustellen wie die, die sich keinen Deut mehr um Papst un Kirchenrecht kümmern. Aber es kommt noch besser:
In meinen Augen sind allerdings die progressiven alternativen Messen weitaus weniger beunruhigend als die Rückkehr der tridentinischen Messe. Wie schon gesagt stehen die Turnhallenmessen größtenteils voll auf dem Boden der vom 2. Vatikanischen Konzil angeordneten Veränderungen. Sie überschreiten vielleicht hier und da manchmal etwas die Vorschriften, aber sie gehen dabei doch wohl in die Richtung, die uns die Konzilsväter gewiesen haben.
Ja, das ist die Vulgärfassung das Rahnerschen Raunens vom Konzil als dem "Anfang eines Anfangs", das sich hierzulande ebenfalls größter Beliebtheit erfreut.
Und lassen sie uns aufrichtig sein: Meine Generation, die Blumenkinder, beginnt damit, die Radieschen von unten zu betrachten. Fortschrittliche Liturgien gehen dahin wie das Klingklang des Tamburins beim Abgang von der Bühne Richtung links. Und auf der rechten Seite spreizen sich die Tridentinischen Troubadoure, drehen die Altäre herum und wenden dem epochalen Fortschritt des zweiten Vatikanums wieder den Rücken zu.
„Tridentische Troubadoure“ gegen „epochalen Fortschritt“ - und das ganz ohne einen Funken von Ironie.
Das Skandalöse daran ist nicht das Latein. Bei Gesprächen mit den Theologen Keith Peckler, S.J. Und Mark Francis, CSV, machten beide einen ganz klaren Unterschied zwischen der tridentinischen Messe, wie sie etwa zwischen 1570 und 1965 von den Katholiken gefeiert wurde, und dem nachkonziliaren Ritus in lateinischer Sprache.
„Zwischen 1570 und 1965“ so leicht kann man ein ganzes Jahrtausend unter den Tisch fallen lassen. In dieser groben Form würde ein deutscher Liturgiewissenschaftler diesen Unfug natürlich nicht verbreiten - es reicht den meisten, wenn es beim dumm gehaltenen Volk in den Bänken ungefähr so ankommt.
Peckler erklärt, daß die Kirche seit dem Konzil stets die Verwendung des Latein in der reformierten Liturgie erlaubt habe. Es gibt keinen Unterschied zwischen der Messe in Latein, Spanisch, Polnisch oder Englisch. Die moderne Liturgie ist flexibel genug, um auch den gelegentlichen Gebrauch von Latein zuzulassen. In vielen Pfarreien wird das „Lamm Gottes“ und das „Heilig, Heilig, Heilig“ während der Fastenzeit durch das „Agnus Dei“ oder „Sanctus“ ersetzt. Das stimmt nicht nur völlig mit den vom Konzil angeordneten Veränderungen überein, es kann auch die Spirituelle Aussage der Messe vertiefen und die Bedeutung der Jahreszeit hervorheben.
Kein Kommentar
Aber eine solche eingeschränkte Verwendung ist etwas ganz anderes als eine nostalgische Wende um 180 Grad zu einem überholten Ritus.
„Nostalgische Wende“, „180 Grad“, „überholter Ritus“ - nicht schlecht.
Die Tridentinische Messe ist nicht einfach die Messe von heute, so wie sie 1970 von Papst Paul VI. promulgiert wurde, nur auf Latein. Die tridentinische Messe, die aus dem Jahr 1570 stammt, entspricht einem sehr andersartigen und unvollständigen Verständnis der frühen Kirche. Francis weist darauf hin, daß die Entwickler der tridentinischen Messe im 16. Jahrhundert keine ausreichenden historischen Hilfsmittel hatten und nicht auf Manuskripte zurückgreifen konnten, die die vor das Pontifikat Innocenz III um etwa 1216 zurückgehen.
Nicht lachen - was hier so unbedarft daher kommt, wird hierzulande auch von Bischöfen gepredigt und Professoren gelehrt: Die Liturgiereform habe das finstere Mittelalter abgeschüttelt und die Schätze des frühesten Christentums wieder ins Bewußtsein gehoben - deshalb sei es unzulässig, die Uhr zurückdrehen zu wollen, Fortschritt kenne nur eine Richtung.
Die Tridentinische Messe wurde von einer Kirche entwickelt, die sich in den Schützengräben der Reformationszeit eingegraben hatte und sich erbittert von den Heiden, Häretikern, Schismatikern und den „treulosen“ Juden abgrenzte. Die reichhaltige Verkündigung des alten Testaments fehlt fast ganz, und es gibt so gut wie keine Teilnahme der Laien.
Das Zweite Vatikanische Konzil hatte sehr gute Gründe, die Abschaffung der tridentinischen Liturgie zu verlangen und einen neuen Ritus zu verkünden. Verbesserte Forschungsmethoden hatten mehr Verständnis dafür gebracht, wie die Liturgie in der frühen Kirche gefeiert worden war. Entwickelte Bibelwissenschaft führte zu einem neuen Lektionar mit einer größeren Breite an Lesungen. Moderne historische Forschung tilgte legendäre Heilige aus dem liturgischen Kalender.
Hier wollen wir nicht den 7. oder 8. Stern für die erfolgreich verinnerlichte Hermeneutik des Bruches vergeben, sondern die naive Fortschrittsgläubikeit bestaunen, die im plattfüßigsten Szientismus der 50er Jahre ein überzeitliches Prinzip der Gottesgelehrsamkeit erkennen will.
Am wichtigsten für den normalen Katholiken war jedoch, daß die Messe nun in der Sprache des Volkes gefeiert wurde. Erste lateinische Messen waren um das Jahr 350 aufgekommen. Damals löste das Latein die griechische Sprache ab, weil die Leute Latein konnten und die lateinische Sprache mehr Menschen ermöglichte, zu verstehen, was vorging. 1965 kam die Kirche erneut zu der anscheinend so offensichtlichen Schlußfolgerung, daß die Leute verstehen sollten, was bei der Messe gebetet wurde. Die Messe, die aus der Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils hervorging, ist wunderbar, göttlich und menschlich, erhaben. Sie funktioniert und ist dem tridentinischen Ritus unendlich überlegen. Wir müssen keinen alten Ritus feiern. Wir sollten dafür sorgen, daß mehr Menschen den geltenden Ritus ordentlich feiern.
Und weil alle Alles verstehen und die Liturgie so gut funktioniert, besuchen nur noch wenige Prozent die Gottesdienste und haben von dem, was dort geschieht, oft die absonderlichsten Vorstellungen. Die Verwirrung ist vollständig, und sie wird auch nicht dadurch gemildert, daß dem letzten Satz kein Mensch guten Willens widersprechen wollen wird.
Es steht viel auf dem Spiel. Wir nehmen an der Liturgie teil, um Gott zu loben und verwandelt zu werden, so daß wir die Welt verwandeln können. Das müssen wir gemeinsam tun. Wir können die zerstreuten Kinder Gottes nicht sammeln, wenn wir selbst uneins sind.
Das klingt fromm und gut - doch die Uneinigkeit kommt vor allem daher, daß der Papst und andere in der Kirche die Einheit mit dem erhalten wollen, was die Kirche und ihre Heiligen zweitausend Jahre lang geglaubt, gebetet und getan haben - während andere sich aufgerufen sehen, die Brücken hinter sich abzubrechen, um unbeschwert etwas ganz Neues zu unternehmen. Keine gute Voraussetzung, um „Einheit“ einzuklagen