Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Die Liturgie des heiligen Sinuus

Wolfgang Fischer erklärt die Liturgie
aus dem Geist der Zeit

Vorüberlegungen:

1. Mit der radikalen Wende des Denken von der Welt her hin zum Denken vom Subjekt her wandelt sich auch das ästhetische Empfingen. Gerhard Schulze beschreibt die Ästhetik in seinem Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ auf dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Entwicklung nach dem Krieg. In der Mangelgesellschaft hatte man wie von selbst Ziele von außen gesetzt bekommen. Es ging um die Sicherung der Existenz und um den Aufbau eines bescheidenen Wohlstands: Je mehr die Existenz gesichert war, muss sich der Mensch in der Überflussgesellschaft die Ziele selbst setzen. Die Sinnfrage, die Anfrage an den Einzelnen, rückt das Projekt des „schönen Lebens“ und die Ästhetik in den Vordergrund. Es geht nicht mehr um die Frage: Wo bekomme ich heute ein Stück Brot her? Vielmehr lautet sie: Welche von 200 Brotsorten wähle ich aus? Was verschafft mir ein befriedigendes Erlebnis? Und dabei spielen subjektive und vor allem ästhetische Perspektiven eine immer stärkere Rolle. Auf die Liturgie übertragen bedeutet dies. Es gilt nicht so sehr die Frage, ob sie „richtig“ oder „falsch“ ist, sondern insbesondere, ob sie „schön“ ist und eine Beitrag zum „schönen (Er-)leben“ leistet.

Hätte der Liturgiereferent doch deutlicher geschrieben: „Für viele stellt sich nicht so sehr die Frage“ - dann bliebe ihm das Mißverständnis erspart, es gelte tatsächlich nicht die Frage, ob Liturgie richtig oder falsch sei (wir ziehen es vor, hier ohne Gänsefüßchen zu arbeiten), sondern er mache ihren „Beitrag zum schönen (Er-)leben“ zum wesentlichen Kriterium. Aber bei der Exegese des Evangeliums nach Gerhard Schulze kann das schon einmal passieren.

2. Die Menschen heute denken vom Ich und nicht mehr von einem Dogmatismus her. Nicht weil die Liturgie das oder jenes behauptet, wird sie wertgeschätzt, sondern weil sie die persönliche Erfahrung ermöglicht. Die Liturgie wird dann erfolgreich sein, wenn sie die Existenz des Menschen in den Mittelpunkt stellt und sich dann fragt, wie Gott hier im Spiel ist. Die Liturgie von Gott her aufzubauen und dann zu fragen, was sie für den Menschen bedeutet, ist weit schwieriger für das Verständnis der Menschen. Das macht die geordnete Liturgie. Daneben werden Formen der ungeordneten Liturgie immer wichtiger.

Jeder mittelmäßige Neurophysiologe wäre sicher gerne bereit, dem Liturgiereferenten Fischer zu bestätigen, daß das „Ich“ auch nur eine auf dogmatischem Denken beruhende Illusion sei - so kann es einem gehen, wenn man sich dem vermeintlichen Denken einer vermeintlichen Moderne unterwirft. Im Übrigen wird natürlich umgekehrt etwas Katholisches daraus: Die Liturgie wird dann erfolgreich sein, wenn sie die Existenz Gottes in den Mittelpunkt stellt und sich dann fragt, wie der Mensch hier im Spiel ist. Fischers Ansatz ist weder katholisch noch christlich noch religiös im Sinne des Wortes, er basiert - bestenfalls - auf der Alltagspsychologie des Handelsvertreters.

3. Die Nähe Gottes ist das Kennzeichen einer christlichen Liturgie. Wir feiern als Gemeinde, die sich als Volk Gottes versteht, nicht als Zuschauer. Dieser Grundsatz des Konzils sieht Gott in der Mitte der Gemeinde. Er ist ihr ganz nah. Es ist nicht der Gott, der in weiter Ferne wohnt und zu dem der Priester allein einen Zugang hat und als „Mittler“ fungiert, wie das noch in der vorkonziliaren Liturgie verankert war, zumindest im Denken. Auch der postmoderne Mensch sieht den ganzen Kosmos als von Gott erfüllt. Das kann zur Sprache gebracht werden. Die kosmologische Dimension, die dem Einzelnen einen größeren Horizont eröffnet, ist sowohl vom Gottesdienstgeschehen wie auch vom „Zeitgeist“ her eine Bereicherung für die Liturgie.

Da möchte man den Herrn Liturgiereferenten doch bitten, diesen „Grundsatz des Konzils“ mit einigen Zitaten aus den Konzisltexten zu untermauern - vielleicht springt ja auch sein Erzbischof und Brötchengeber für ihn ein. Im Übrigen empfehlen wir zur „kosmologischen Dimension“ von Liturgie einmal die Ausführungen von Josef Ratzinger, Der Geist der Liturgie, S. 20 folgende, „Liturgie - Kosmos - Geschichte“.

4. Die prophetische Dimension des Gottesdienstes wird wichtiger denn je. Die Faszination vor dem Machbaren, ist heute allgemein anerkannt. Sie anerkennt auch die Liturgie. Aber es gibt ebenso die Zusage, dass ich etwas geschenkt bekomme. Beides ist wesentlich für die Liturgie.

Diese Sätze haben wir auch zu dritt nicht verstanden.

5. Menschen sind heute herausgefordert, die eigene Mission und Berufung für sich zu spüren. Gottesdienste, die sie in den Mittelpunkt stellen und mit dem Wesentlichen des Lebens (das Wesentliche ist dabei noch nicht definiert und kann immer nur in Beziehung zu dem gesehen werden, nach dem die Menschen fragen!) konfrontieren, sind „zeitgemäß". Dafür braucht es intensive Vorbereitung ganz unterschiedlicher Formen, die den Menschen ein Angebot machen.

Nun löst sich alles auf: Wesentlich ist das, was nicht definiert ist, aber wonach die Mensche fragen.
So haben wir uns die objektive Realität hinter der Liturgie schon immer vorgestellt.

6. Die Kirche hat immer an den Grenzpunkten des Lebens Liturgie gefeiert. Diese Grenzpunkte sind heute sehr vielfältig. Es sind nicht mehr nur die klassischen Übergänge wie Geburt, Tod, Übergang vom Kindsein zum Jugendlichen und vom Jugendlichen zum Erwachsenen, sondern auch das neue Leben nach einer gescheiterten Beziehung, die Übergänge von einem Beruf in einen anderen, das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben usw. Von daher sind für diese Übergänge Gottesdienste anzubieten, weit mehr als früher, z.B. Segnungsgottesdienste, Gottesdienst nach besonderen Ereignissen wie dem 11. September, Gedenkgottesdienste am Tag für die Opfer des Nationalsozialismus, Friedengottesdienste, allesamt Gottesdienste, die das Urvertrauen des Menschen in eine „göttliche“ Macht zum Ausdruck bringen usw.

Aha - wir kommen der Sache näher: Es geht dem Herrn Liturgiereferenten des erzbischöfllichen Stuhles zu Mainz also um „jenes höhere Wesen, das wir alle verehren“ - und nicht etwa um den allmächtigen Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, und seinen eingeborenen Sohn, Jesus Christus...
Das hätte er auch gleich sagen können

7. Die Liturgie ist nur noch einer unter vielen Anbietern auf dem Markt. Will die Kirche mit ihrem liturgischen Angebot bei den neuen Milieus landen, muss sie diese akzeptieren. Wenn sie sich das klar macht und qualifiziert und hochstehend feiert, ohne darauf zu setzen, die Menschen jeden Sonntag binden zu wollen, hat sie eine Chance, sich auf dem Markt zu behaupten. Schließlich hat keine andere Institution eine längere Erfahrung als die Kirche. Verkürzt gesagt: Ihr Gottesdienst muss Profil zeigen, nicht um zu rekrutieren, sondern um die Menschen überhaupt erst einmal wieder mit Jesus Christus bekannt zu machen.

Das ist selbst unter Marketinggesichtspunkten ziemlich blaß - als handlungsleitende Erkenntnis kann man derlei wohl nur noch katholischen Bischöfen verkaufen, die sich zumindest hinsichtlich modernen Marketings in der Tat im Stande der Unschuld bewahrt haben. Lieber Herr Marketing-, pardon, Liturgiereferent, schon einmal was von guerilla-marketing oder gar counter-marketing gehört? Noch nicht einmal Damenoberbekleidung läßt sich mit hemmungsloser Ranschmeiße an das, was gerade en vogue ist, unter die Leute bringen

8. Eine Öffnung der Liturgie zur Ästhetik der neuen Milieus bedarf der Zeit. Da aber die Zeit immer schneller wird, kommt insbesondere die Kirchenmusik der neuen Ästhetik nicht nach. Hier gibt es objektive Schwierigkeiten und bestenfalls Versuche, an das Problem heranzukommen.

9. Das alles wird nur ermöglicht, wenn zum einen die Musik sich dem Geschehen öffnet und zum anderen das ganze Ambiente entsprechend gestaltet wird. In dieser Hinsicht tut sich die Liturgie noch schwer, insbesondere die Kirchenmusik.

Hier sind wir geneigt, dem Herrn Liturgiereferenten, der auch für die Kirchenmusik im Bistum Mainz zuständig ist, Recht zu geben: Die aktuelle Kirchenmusik, die Messgesänge und -Rufe, so wie sie heute im Gebetbuch stehen, sind so unverkennbar Ergebnisse von 1970er-Jahre-Mittelmäßigkeit, daß kein moderner Mensch und keine fromme Seele sich dem aussetzen möchte.
Allerdings fürchten wir, daß die Übereinstimmung ihr Ende finden könnte, wenn wir uns einmal näher über die Gestaltung des „Ambientes“ unterhalten. Auf die Einführung dieses Begriffes iin die Rede über Liturgie haben wir gerade noch gewartet. Obwohl - das eine oder andere Neubau-Baptisterium könnte durchaus von jemandem designed worden sein, der sonst mit dem Entwurf von Wellness-Ambientes betraut ist.

Von diesen Vorraussetzungen ausgehend, gibt es für die Liturgie große Chancen:

1. Gottesdienste brauchen den Event. Der Event ist nichts von vorneherein Schlechtes. Er ist eine Vergemeinschaftungsform von heute. Es braucht Werbung und Öffentlichkeitsarbeit für diese Art von Gottesdiensten.

2. Segnungsgottesdienst für die neuen Lebensübergänge, z.B. für geschiedene Paare, für Berufswechsler, für Menschen, deren Kinder aus dem Haus gehen, Segnungsgottesdienst am Valentinstag, zu Anlässen einer Stadt (z.B. der Mantelsonntag in Mainz oder die Frankfurter Buchmesse oder das Johannisfest in Mainz)

Genau. Wir segnen alles, was nicht schnell genug auf den Bäumen ist.

3. Es braucht Orte, die für bestimmte Milieus Gottesdienste anbieten und zwar überregional, nicht nur für die Pfarrgemeinde Beispiel: Der Trauerraum z.B. in Mainz bietet dreimal im Jahr einen Trauergottesdienst für Verstorbene aus der ganzen Stadt Mainz mit einem anderen Ritual als dem bekannten an. Im Mittelpunkt steht eine Kerzengang zur Trauermauer aus losen Backsteinen mit der Möglichkeit zu erzählen, was man dabei empfindet oder einen Zettel in die Wand zu stecken.

Das stimmt hoffnungsvoll: In dieser Perspektive bleibt auch katholischen Milieus eine Chance, weiterhin die eine oder andere Heilanstalts- oder Friedhofskapelle für den Gottesdienst nutzen zu können, nachdem andere Kirchen wie hier im Bistum Limburg längst zu Wellness-Ambientes umgewidmet worden sind. Im übrigen befürchten wir, daß die Sache mit den Zetteln in der Trauermauer an einem Plagiatsvorwurf scheitern könnte.

4. Eine besondere Form eines „vorliturgischen“ Geschehens ist der Karfreitagsgang. Er stellt radikal die menschlichen Erfahrungen in die Mitte. Ein moderner „Kreuzweg“ zu bestimmten Gedenkorten der Stadt Mainz. Zuerst wird an das Geschehen am Ort erinnert, danach wird es in Beziehung gesetzt zum Karfreitag. Dazu gibt es eine nicht alltägliche Musik, Panflöte, Geige, Karfreitagsblues.

Machen wir uns nichts vor: Hier ist nicht vom Gottesdienst der katholischen Kirche die Rede, noch nicht einmal von Gottesdiensten der Gemeinschaften, die sich von der Lehre Jusu Christi herleiten, sondern von einem durch und durch am Menschen, so wie er sich gerade sieht, ausgehenden Tun und Denken, zu dessen Beschreibung der Begriff „Weltethos“ schon zu hochtrabend wäre.

5. Gottesdienste für das Internet sind erst noch zu entwickeln. Sie werden aber aufgrund der neuen Form der Netzwerkbildung immer dringender.

6. Eine gepflegte alte Liturgie gehört ebenso dazu, die schauen, staunen lässt und erhebend wirkt.

Liturgie als Schaustück für die Vitrine - so frivol sehen das noch nicht einmal die ästhetischen Nostalgiker, die es natürlich bei den Menschen, die sich für den alten Ritus einsetzen, auch gibt.

7. Die Gottesdienstzeiten müssen sich den Menschen anpassen und nicht die Menschen den Gottesdienstzeiten. So ist auch um 21.00 Uhr am Sonntagabend noch eine Messe denkbar unter ganz besondere Berücksichtigung der Fragen von einzelnen Milieus.

Nach dem Kino oder vor der Oper?
Auf jeden Fall aber vor der Disko.

8. Besondere Gottesdienstzeiten sind zu kreieren, z.B. anlässlich der Nacht der Kirchen, mal mehr nach der Jugendkultur, mal mehr nach den einzelnen Milieus usw.

Am besten machen wir das als Individual-Veranstaltung nach dem Drive-In-Prinzip. Convenience-Services. Und komme jetzt keiner mit dem Einwand, daß wir dafür doch nun wirklich nicht genug Priester hätten: Priester sind in dieser Art von „Gottesdiensten“ nicht nötig.

9. Für Milieus der neuen Unterschicht braucht es in der Sprache ganz einfache und auf praktische Problemlösungen zielende Gottesdienste. Z.B. einen Motorradgottesdienst, einen Skatergottesdienst usw.

Nach dem Unterschichten-Fernsehen der Unterschicht-Gottesdienst - da muß man erst mal drauf kommen. Wir denken aber, daß das hier nicht recht zu Ende gedacht ist. Man muß dazu noch einmal auf den Internet-Gottesdienst zurückkommen, zu dem uns ja ohnehin nichts rechtes eingefallen ist. Wir denken da in eine Richtung wie YouTube - jeder macht seinen Gottesdienst so, wie er ihn für richtig hält, stellt ihn dann auf einer Internet-Plattform ein, wo er nach Millieus sortiert abgerufen und auf dem Wohnzimmerwand-füllenden Flachbildschirm dargestellt werden kann. Zur menschen-nahen Auflockerung zwischen dem, was da sonst noch so läuft.

10. Liturgien im Zusammenhang mit anderen Initiativen. Z.B. Eine Nachtwanderung für Männer am Gründonnerstag mit liturgischen Elementen.

Das muß man dem Herrn Liturgiereferenten Fischer lassen: Sein Begriff von Karwoche hat irgend wie etwas fußgängerisches an sich und zeigt damit erfreuliche Anschlußfähigkeit sowohl an die Gedankenwelt des Umweltschutzes als auch zur Förderung der Volksgesundheit.

11. Entscheidend ist das „Zeugnis geben". Der Gottesdienst muss vermitteln, dass jemand in dieser Haltung besser lebt. Das glaubt man dem einzelnen, wenn es nicht nur verkündet, sondern auch tatsächlich gelebt wird.

Spätestens hier wollen wir aber doch vorschlagen, den Begriff Gottesdienst durch „Menschendienst“ zu ersetzen - nicht zu weit gehen mit der Begrifssdehnung, Herr Liturgiereferent, sonst wird das nichts mit dem milieuorientierten Marketing.

12. Die Option für die Armen heißt heute nicht mehr nur, für die Benachteiligten dazusein. Sie heißt auch eine Antwort zu geben, wie das Leben glücken kann. Von daher sind auch Glaubenszeugen im Gottesdienst gefragt, Menschen die das leben, was gesprochen wird.

13. Passagere Formen von Gottesdiensten sind gefragt, z.B. die Atempause am Mittag, die religiöse Filmnacht oder das Sonntagstheater. All das hat auf den ersten Blick wenig mit Liturgie zu tun, aber ließe sich mit dem, was Liturgie sein will, durchaus verbinden.

Wir gestatten uns, dem Herrn Liturgiereferenten Fischer hierzu einen Vorschlag bezüglich eines Slogans zu unterbreiten, mit dem er zumindest bei den Konsummaterialisten, Postmateriellen und Modernen Performern, sicher aber auch bei Hedonisten und Experimentalisten großen Erfolg haben dürfte: „Liturgie - die schönste Nebensache der Welt.“.

14. Vor allem aber brauchen wir einen „neue“ Definition der Eucharistie, die sich weniger von der Feier selbst leiten lässt und diese so sehr in den Mittelpunkt stellt, dass sie sich schon fast wieder verselbständigt, sondern insgesamt das Leben, und zwar das umfassende Leben beschreibt und betreibt, in dem jeder einen Platz erhält. Eucharistie ist nicht nur die Versammlung an einem bestimmten Ort, sondern das diakonale Geschehen, das letztlich zu einer umfassenden Gemeinschaft führt. (vgl. Johannes-Evangelium).

„Wir brauchen eine neue Definition der Eucharistie“ - Herr Liturgiereferent, wir danken ihnen für diesen kostbaren Schlussgedanken. Geahnt haben wir es ja immer schon, daß diese Evangelien und der Papst ein wenig neben der Zeit liegen. St. Sinuus und Sta. Demoskopia werden uns helfen, das fällige Update zu packen. Der Liturgiereferent des erzbischöflichen Stuhles zu Mainz ist übrigens heute seit auf den Tag genau 11 Jahren im Amt. Man wird also davon ausgehen müssen, daß seine Ansichten der Leitung des Hauses nicht nur bekannt, sondern auch angenehm sind.

Wir entnehmen den Text von Wolfgang Fischer dem Bericht über die Fachtagung „Religösität nach dem Ende der (Post-)Moderne“ auf weiterbildung-live.de.