Motu Proprio: Summorum Pontificum

Hauptnavigation


Zusatzinfo

Der Geist von Summorum Pontificum

Jeffrey Tucker zum Jahrestag des Inkrafttretens von Summorum Pontificum

Dieser Beitrag scheint auf eine Rede oder auf einen Artikel für ein Publikum zurückzugehen, das sich nicht täglich mit den Fragen der „Reform der Reform“ beschäftig. Er enthält daher einiges, was für unsere Leser keine Neuigkeit bedeutet - stellt es aber auf höchst lesenswerte Weise in den großen Zusammenhang. Der Text ist zunächst am 28. August in TNLM erschienen. Wir haben ihn ungekürzt übersetzt.

Im letzten Jahr konnten Sie in der Katholischen Kirche einen großen Wandel erleben, dessen wesentlichen Inhalt man vielleicht in der Liedstrophe zusammenfassen könnte: „Everything old is new again“.

Zitat: Wirf die Vergangenheit nicht fort,
Eines nicht ganz so schönen Tages.
werden Träume vielleicht doch wieder wahr,
Wenn alles, was alt war, wieder neu wird.

Den in den USA überaus populären Song mit der zu unserem Thema passenden Begleitung in Bildern hören und sehen sie hier auf Youtube.

Einiges davon beobachten wir bei der Neuauflage alter Bücher, bei der Gründung neuer Chöre für die alte Gregorianik, beim erneuerten Zustrom von Seminaristen zum alten Priestertum, bei neuen Kirchenbauten, die im Stil von ganz alten errichtet werden, und vielem mehr. Ich schaue auf die Bestellzahlen für das neu herausgekommene „Choralbuch für Pfarreien“ (Parish Book of Chant), und sehe, wie sie alle Rekorde brechen.

Seine Kraft gewinnt das alles zum großen Teil aus Summorum Pontificum. Damit wurde die ältere Form der hl. Messe, die so lange im Zentrum des katholischen Lebens gestanden hatte, wieder freigegeben – bis die Tür zur Vergangenheit eines Tages willkürlich geschlossen und verriegelt wurde. Tatsächlich geht vieles von der gegenwärtigen katholischen Renaissance auf den „Geist von Summorum“ zurück, der darauf abzielt, diese Tür erneut zu öffnen und das, was früher war, wieder als Quelle von Kraft und Weisheit zu betrachten.

Auf den ersten Blick mag es seltsam erscheinen, daß das für unsere Generation etwas Neues sein soll, denn ein langes Gedächtnis ist geradezu das Wesen des katholischen Lebens. Aber in der letzten Jahrzehnten hat man uns gegenüber immer wieder behauptet, der „Geist des zweiten vatikanischen Konzils“ bestehe darin, sich von der Vergangenheit loszusagen. Die Rede vom „Geist des Konzils“ erschien als Rechtfertigung für jedes Verhalten, für jede Lehre und für alle liturgischen Neuerungen, die dem alten Glaubenssinn widersprachen.

Das war ein veritabler Taschenspielertrick. Natürlich stimmt es, daß jede Kirchenversammlung und jede Regierungsentscheidung nicht nur Buchstaben hervorbringt, sondern auch einen Geist – das gilt in der weltlichen Welt ebenso wie in der kirchlichen. Aber wie kann es sein, daß der „Geist“ dem „Buchstaben“ so widerspricht, daß das, was behauptet wird, in vollständigem Widerspruch zum Gesetzestext selbst steht? Das ist ein sicheres Kennzeichen, daß wir es hier nicht mit einem wahren, sondern mit einem falschen Geist zu tun haben.

Jedermann kennt die offenkundigeren Beispiele. Das 2. Vatikanum sagte, dem Gregorianischen Choral komme der Ehrenplatz zu – aber stattdessen bekamen wir Unterhaltungsmusik, die sich eher für den Kinderspielplatz eignet als für die hl. Messe. Man sagte uns, in der Liturgie solle nichts geändert werden, was nicht unbedingt geändert werden müsse – und stattdessen bekamen wir eine liturgische Revolution. Damit verbunden war eine Umkehrung der Glaubens- und Sittenlehre und des Glaubens selbst – und als unvermeidliche Folge die Verödung der Klöster, Konvente und Seminare.

Um diesen falschen Geist zutreffen zu beschreiben, ist „liberal“ das denkbar ungeeignetste Wort. Tatsächlich war der Geist, der uns aufgezwungen wurde, sogar in höchstem Maße illiberal. Er tat die liturgischen Formen der Vergangenheit in Acht und Bann. Er versuchte, die Musik der Vergangenheit auszumerzen. Er versuchte, unsere Heiligenbilder, unsere Kunst, unsere Architektur, unsere gewohnten Gebete,unsere Laienvereinigungen und unsere gesamte katholische Lebensweise abzuschaffen. „Veränderung“ war angesagt – aber zu welchem Ziel? Das einzige, was wir mit Sicherheit wußten, war, das die dinge der Vergangenheit verboten sein sollten. Und so wurde es durchgesetzt.

Der „Geist des Konzils“ wurde zur Rechtfertigung dafür, den Menschen falsche Lehren aufzudrängen, die eigentlichen Absichten des Konzils zu untergraben und Buchstaben und Zweck der Reformen zu verkehren. Das Konzil, das die Befreiung in der Wahrheit anstrebte, wurde ironischerweise von Leuten mißbraucht, die seinen „Geist“ dazu beschworen, sich von jeder Geschichte und Tradition abzuschneiden und die Vergangenheit unter Generalverdacht zu stellen. Es kam zu einer selbstherrlichen und diktatorischen Ächtung von allem, was ehedem hochgeschätzt war. Diese illiberale Einstellung schnitt das katholische Leben von der Tradition als seiner eigentlichen Quelle total ab.

Und was geschah dann? Gelegentlich mochte es so aussehen, als ob der Glaube selbst in Gefahr seit, unterzugehen. Kardinal Newman erklärt, warum das so ist: „Niemand kann die Religion wirklich respektieren, aber ihre Formen verhöhnen. Zwar sind die Formen nicht unmittelbar gottgegeben, aber der lange Gebrauch hat sie für uns geheiligt, der Geist der Religion hat sie so durchdrungen und belebt, daß ihre Zerstörung für die meisten Menschen gleichbedeutend damit ist, das religiöse Prinzipien selbst aufzuheben und abzuschaffen.“

Das Begriff ich so richtig, als ich mich in einer Pfarrei, in der ich neu zugezogen war, zur Erteilung von Glaubensunterricht eingeschrieben hatte. Der Leiter der Glaubensunterrichtung unterzog mich einer Prüfung zu meinem Wissen und Verständnis. Das war für mich eine Kleinigkeit, hatte ich mich doch ausführlich am Katechismus von Trient und am „Baltimore Catechism“ geschult. Stellen Sie sich vor, wie erstaunt ich war, aus den Ergebnissen zu erfahren, daß ich von dem 100 Fragen umfassenden Fragebogen so ziemlich alles falsch beantwortet hatte. Selbst mit willkürlich erratenen Antworten hätte ich besser abgeschnitten.

Da wurde mir plötzlich klar; Es ging bei dem Examen nicht darum, was ich über die katholische Lehre wußte. Es ging darum, sicherzustellen, daß ich meine Ansichten in Sachen Katholisch auf den aktuellen Stand gebracht hatte, und das bedeutete natürlich, daß ich mit meinen an der Tradition orientierten Antworten jede Frage verfehlen müßte. Ich habe dann darum gebeten, die Prüfung noch einmal ablegen zu dürfen, und dann war es eine Klacksssache. Ich antwortete so, wie die Befürworter des „Konzilsgeistes“ es gerne von mir hören wollten – und dieses mal bestand ich mit Auszeichnung.

Das war nicht meine einzige Erfahrung in dieser Art, und dabei war das noch nicht einmal eine irgendwie „radikale“ Gemeinde. Sie galten sogar eher als konservativ. Es war halt nur so, daß der Verantwortliche für den Religionsunterricht sich an den falschen Lehrmaterialien bediente, wie es nun wirklich leicht vorkommen kann. Die Prüfung diente der Feststellung der richtigen Gesinnung und des richtigen Stallgeruchs. Und wer damals ein guter Katholik sein wollte, der hatte sich eben entschieden von allem, was vorher war, abzuwenden. Wer das glaubte, was früher jeder glaubte, fiel durch. Das also war der „liberale“ Geist: Er bestand darin, alles, was wir für wahr gehalten hatten und alle Formen, die wir gekannt hatten abzulehnen – und oft genug auch noch zu verlangen, das Gegenteil zu glauben und zu tun.

Summorum Pontificum steht daher für etwas viel Größeres als das, was es zunächst zu sein scheint. Summorum hat nicht nur Buchstaben, sondern es hat auch einen Geist, das ist der Geist der Befreiung, der Freiheit dazu, das zu Lieben, was früher war. Dabei geht es nicht nur um das Missale von 1962. Es geht um eine Weltanschauung und um eine ganze Lebensweise. Was ehedem heilig war, ist auch heute heilig. Ich weiß, daß es noch viele Schwierigkeiten gibt und daß die Ansprüche des „Geistes des Konzils“ noch nicht endgültig abgetan sind. Aber es scheint, wir haben die entscheidende Wende geschafft, und nun sehen die alten Dinge wieder aus wie neu.