Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Die Liturgie des hl. Gregor des Großen

Einige Überlegungen zur Formulierung „gregorianischer Ritus“ von Kardinal Castrillón Hoyos

21. 6. 2008

In seinen jüngsten Reden und Interviews hat Dario Cardinal Castrilón Hoyos demonstrativ die Bezeichnung „Gregorianischer Ritus“ für die „außerordentliche Form des römischen Ritus“ verwandt – Grund genug, sich wieder einmal mit der Frage nach der korrekten Bezeichnung für die überlieferten römische Liturgie zu befassen.

Der. Hl. Gregor in einer Buchmalerei

Allerdings klingt „Gregorian Rite“ - die Ausführungen des Kardinals erreichen uns in der Regel auf Englisch – nicht ganz so, wie „Gregorianischer Ritus“ auf Deutsch. „Gregorian“ hat im Englischen nicht den starken Anklang von „Gregorianik“ wie bei uns; das was wir als „Gregorianik“ bezeichnen, wird im Englischen meist schlicht als „chant“ angesprochen, und auch Ritus klingt deutsch strenger, rechtlicher als das englische „rite“. Wir wissen also nicht ganz präzise, was der Kardinal wirklich mit seiner Wortwahl ausdrücken will, zumal er – seine Muttersprache ist Spanisch – in der Regel italienisch spricht, wo zumindest „rito tridentino“ ähnlich klingt wie im Deutschen, während „grigoriano“ in diesem Zusammenhang bisher wenig gebräuchlich war.

Dennoch ist nicht schwer zu erkennen, worauf der Kardinal mit seiner Wortwahl hinaus will: Er will unterstreichen, daß der überlieferte Ritus nicht aus dem 16. Jahrhundert stammt, sondern eher aus dem sechsten!

Die Rede vom „tridentinschen Ritus“ muß immer wieder dazu herhalten, das Meßbuch von Papst Pius V. aus dem Jahr 1570 bzw. die geringfügig modifizierten Ausgaben seiner Nachfolger als ein verhältnismäßig modernes „Produkt“ des Konzils von Trient (1545-1563) erscheinen zu lassen. Das ist es natürlich nicht. Das Konzil hatte den Auftrag erteilt, die im Zuge der Reformationswirren eingerissenen Aufsplitterungen, Abweichungen und Irrtümer der liturgischen Bücher zu beseitigen, und genau das tat die von Pius V. eingesetzte Fachkommission. Dabei legte sie ihr Mandat sehr zurückhaltend aus. Ihr Ergebnis glich bis auf Details dem knapp zwei Jahrhunderte vorher im Vatikan gebräuchlichen „Missale secundum consuetudinem Romanae Curiae“, das praktischerweise von den Franziskanern bereits in großen Teilen Europas verbreitet worden war. Die Nachfolger des großen Pius verhielten sich bei ihren Ausgaben ebenso bewahrend: Mit Ausnahme der Einfügung des Hl. Josef durch Papst Johannes XXIII. im Jahr 1962 ist das Herzstück des Missales, der Canon Romanus, in den 400 Jahren nach Trient genausowenig angetastet worden wie in einem ganzen Jahrtausend vorher. Auch in den anderen Teilen des Ordo Missae gab es seit Trient keine Änderungen. Bewegung gab es lediglich bei den Proprien, den veränderlichen Teilen, da kamen neue Formulare für neue Heilige und neue Festtage hinzu. Auch bei den Rubriken, den rot hervorgehobenen Ausführungsbestimmungen zu den schwarz gedruckten Messtexten, gab es bis 1950 ebenfalls nur kleinere Anpassungen in einzelnen Punkten.

Der römische Ritus war immer von einer sehr starken Verwurzelung in der Tradition gekennzeichnet, nach Trient ebenso wie vor Trient. Die Römer waren dabei sogar noch wesentlich konservativer als die Ostkirchen. Das Beharren auf dem unwandelbaren Canon Romanus war geradezu eines der Hauptkennzeichen der römischen Liturgie, das übrigens auch von den auf ihr Beharrungsvermögen zu Recht stolzen Orthodoxen stets anerkannt wurde. Zwar gab es auch bei den Lateinern verschiedene Ritenfamilien und Unterriten, die sich im Lauf der Jahrhunderte beeinflussen und verändern konnten, aber innerhalb eines Ritus gab es keine gewollten und geplanten Veränderungen, sondern ein „organisches Wachstum“, das immer unmittelbar aus dem gottesdienstlichen Leben an bedeutenden Bischofssitzen hervorging und von dem Bestreben geprägt war, an den „Gewohnheiten der Väter“ festzuhalten.

Auch das fromme Volk verstand in dieser Beziehung keinerlei Spaß. Als Papst Gregor einmal bei einer Liturgie von der „Gewohnheit der Väter“ abwich und mehr Kerzen entzünden ließ, als seit altersher üblich, kam es während des Gottesdienstes zur einer derartigen Unruhe, daß der Papst einen Volksaufstand befürchtete und schleunigst die rechte Ordnung wiederherstellte. Wenn dennoch im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Dinge aufkamen, die ungut von den alten Gewohnheiten abwichen, wurde das von den die ganze Kirche immer wieder erfassenden Reformbewegungen entweder zurückgedrängt oder mit der guten Ordnung harmonisiert. In jedem Fall wahrten die Rechtgläubigen stets höchsten Respekt vor dem uralten Canon Romanus, von dem man annahm, daß er bis auf die Zeit Christi zurückgehe.

Der hl. Papst Pius V.

Der große Liturgiewissenschaftler Ludwig Eisenhofer schreibt dazu 1933: „Denn der Kanon enthält außer den Werken des Herrn bei der Konsekration sicherlich manches, was auf die Zeit der Apostel zurückgehen kann, beispielsweise die Anamnese, die Erwähnung der alttestamentlichen Opfertypen Abel, Abraham, Melchisedech. Seine jetzige Gestalt hat er aber erst allmählich unter der ordnenden Hand der Kirche und der Päpste empfangen. Vollständige Textrezensionen des römischen Kanons liegen erst seit dem 7. Jahrhundert vor, umfangreiche Bruchstücke schon aus dem Ende des 4. oder Anfang des 5. Jahrhunderts. ... Seit Gregor dem Großen (540-604) ist die Entwicklung des Kanons im großen und ganzen abgeschlossen“ (Handbuch II, S. 164) Als Augustinus von Canterbury 597 nach England kam, hatte er den römischen Kanon jedenfalls schon im Gepäck.

Wie groß der Anteil Gregors bzw. seiner unmittelbaren Vorgänger und Zeitgenossen an der Redaktion und Formulierung des Kanons war, ist nicht genau auszumachen. Einerseits hieß es schon damals, daß die Liturgie allgemein und eben vor allem der Kanon „auf unvordenkliche Zeiten“ zurückgingen. Andererseits bedurfte es in diesen unruhigen Zeiten sicher eines starken Ordnungswillens wie des großen Papstes Gregor, um die vielfältigen Einflüsse und Interessen zu einem dauerhaften Ergebnis zusammenzufassen und eine bestimmte Formulierung durchzusetzen. Soviel jedenfalls steht fest: In wesentlichen Teilen, vor allem eben im Kanon, folgte die Feier der hl. Messe zu Gregors Zeit in Rom tatsächlich schon der gleichen Ordnung und den gleichen Texten wie denen, die im Missale von 1962 stehen. Ein großartiges Zeugnis dafür ist der Ordo Romanus I, der in Manuskripten aus dem frühen 9, Jh. überliefert ist und dessen erste 21. Kapitel aus der Zeit Gregors stammen. Gerade in den letzten Wochen ist auf Sacrificium Laudis eine sehr schöne kommentierte Wiedergabe der Messtexte nach diesem Ordo im Web erschienen. Während die Rubriken der dort beschriebenen Papstmesse stark vom heutigen Gebrauch abweichen, ist der Text über weite Passagen unverändert geblieben.

Der Ordo Missae der Kirche von Rom gewannen also tatsächlich in der gleichen Zeit seine bleibende Gestalt, in der auch der – allerdings erst später schriftlich nachweisbare – „gregorianische Choral“ sich ausbildete. Und von daher erscheint es durchaus berechtigt, den überlieferten Ritus als die „Liturgie des hl. Gregor“ anzusprechen.

Genau damit rückt jedoch ein Bedenken gegen die Rede vom „Gregorianischen Ritus“ ins Blickfeld: Eine sprachlich und gedanklich zu enge Verbindung von „gregorianischem Ritus“ und „gregorianischem Choral“ könnte zu dem Fehlschluß führen, die Gregorianik gehöre nur zur älteren Form der römischen Liturgie und sei für die „Forma ordinaria“ ungeeignet. Das wäre weder von der Sache her noch nach der Rechtslage richtig. Das 2. Vatikanum wollte den gregorianischen Choral ausdrücklich als bevorzugte Form der Kirchenmusik beibehalten, und daran sollte auch heute, trotz der inzwischen eingerissenen abweichenden Praxis, im Sinne der Kontinuität festgehalten werden.

Der gregorianische Choral, und zwar vorzugsweise die im Graduale Romanum festgelegte Form mit lateinischen Texten, ist die authentische Kirchenmusik des römischen Ritus, das gilt für beide Formen. Undifferenziert von „Gregorianischem Ritus“ oder „Gregorianischer Messe“ zu sprechen, könnte also zumindest im deutschen Sprachgebrauch zu Mißverständnissen führen. Diese Gefahr ist bei der Rede von der „Liturgie des hl. Gregor“ schon deutlich geringer.

Tatsächlich werden in den Ostkirchen die verschiedenen Riten oder Unterriten oft nach dem für sie in Anspruch genommenen Begründer bezeichnet: Göttliche Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus, Göttliche Liturgie des. Hl. Basilius d. Großen, Göttliche Liturgie des Hl. Johannes Damascenus, göttliche Liturgie des hl. Vaters Jakobus... Was würde man darum geben, wenn auch bei uns ein größeres Bewußtsein davon bestünde, daß es sich beim Gottesdienst um ein göttliches, von Gott ausgehendes und auf ihn wieder hin gerichtetes Werk handelt – und nicht um eine Gemeindeaktion, die von Räten entwickelt und Ausschüssen geplant werden kann. Göttliche Liturgie des hl. Gregor d. Großen – das hört sich nicht schlecht an. Und auf gute Weise ökumenisch dazu.

Unter den oben skizzierten Umständen, die das hohe Alter des Canon Romanus betreffen, ist es schon höchst bemerkenswert, daß das zur Erneuerung der Liturgie eingesetzte Consilium bei seinen ersten Reformvorschlägen den Canon Romanus ganz abschaffen und durch einen völlig neu konstruierten ersetzen wollte. Es bedurfte eines ausdrücklichen Befehls Pauls VI, wenigstens die Wiederaufnahme des (in der offiziellen deutschen Übersetzung leider verstümmelten) römischen Kanons als eines von mehreren Hochgebeten in den Novus Ordo Missae zu erreichen. Dieser Befehls wurde dann bekanntlich von vielen Bischofskonferenzen doch wieder wirkungslos gemacht, indem sie es zuließen oder sogar förderten, daß in der Praxis fast ausschließlich das 2. Hochgebet verwendet wird.

Diese Praxis, darauf hat auch Papst Benedikt mehrfach hingewiesen, ist ganz klar ein Mißbrauch. Sie muß als eindeutiger Ausdruck des Willens gesehen werden, das Zweite Vatikanische Konzil im Geiste des Bruches zu interpretieren (und damit zu verfälschen) und die Tradition der Kirche zu verlassen. Der Bezug auf den „gregorianischen Ritus“ oder die „Liturgie des hl. Gregor“ stellt demgegenüber auf sehr überzeugende Weise heraus, daß es in der Lehre und der Liturgie der Kirche nur organische Entwicklung und keine revolutionären Brüche geben kann.

Einige Tage nach Veröffentlichung dieses kurzen Abrisses der Geschichte des römischen Kanons stoßen wir im Netz auf eine weitaus fundiertere Abhandlung zum Thema, die Joseph Pope 1995 in der amerikanischen Zeitschrift The Homiletic & Pastoral Review veröffentlicht hat. Im Netz zugänglich in der ganz vorzüglichen digitalen Bibliothek von EWTN.