Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Der Streit um das Konzil

„Selbstkritische Notizen eines Liturgen“

8. 6. 2009

Shawn Tribe von TNLM hat im Juni 2009 einen bemerkenswerten Beitrag veröffentlich, in dem er mit zahlreichen Bildern darstellt, daß viele Modeerscheinungen in Kunst und Architektur, die heute von Befürwortern und Gegnern als Ergebnisse des Konzils gesehen werden, bereits auf die 30er - 50er Jahre zurückgehen.

Tatsächlich war die Liturgiereform spätestens seit dem Kriegsende 1945 in allen westlichen Ländern voll im Gang - teilweise fromm und vermeintlich fest in der Tradition verwurzelt, teilweise als überfälliges Nachholen der im 16. Jahrhundert verpassten Lutherischen Revolution betrieben. Das II. Vatikanum hat hier nichts in Bewegung gesetzt, und es hat in seinen Texten - von wenigen Modernismen abgesehen - auch nicht einseitig Partei für die Revolutionäre ergriffen. Aber sie haben es verstanden, die Deutungshoheit über „das Konzil“ an sich zu reißen und die glaubenstreuen Kräfte an den Rand und womöglich aus der Kirche heraus zu drängen.

Wir veröfentlichen heute Teile des Beitrages „Selbstkritische Notizen eines Liturgen“ des Frankfurter Oratorianers Alfons Kirchgässner in dem „Werkbuch“ Unser Gottesdienst, erscheinen bei Herder in Freiburg 1960. Kirchgässner gehörte zur nachdenklichen Fraktion der Liturgiereformer und spricht bereits gegen Ende der 50er Jahre Kritikpunkte an, die uns noch heute beschäftigen. Sein Beitrag besteht aus 26 „Notizen“, von denen wir acht in sich ungekürzt mit den jeweiligen Seitenzahlen übernehmen.

Alfons Kirchgässner

S. 67/68

Es gehen, rund gerechnet, nur noch 25% zur Kirche. Die Zahl hat sich seit Beginn der liturgischen Reformarbeit wohl nirgends gehoben. Nun, und wer von den Kirchgängern kann als aktiv gelten, als „lebend mit der Kirche", „betend mit der Kirche"? - Die Feier der Osternacht sieht nur knapp ein Drittel aller Kirchenbesucher; dabei müßten von Rechts wegen, wenn nämlich unsere stillschweigenden Hypothesen stimmten, die Kirchen platzen. Zieht man noch diejenigen Personen ab, die immer erscheinen, wenn es zusammenläutet, wieviel Prozent einer Gemeinde bleiben übrig, von denen man sagen kann, sie kommen aus Begeisterung für die Schönheit dieser Feier? - Unsere 1/2 8-Uhr'-Messe am ersten Feiertag (gehalten auf die allereinfachste Art) war stärker besucht als die Vigilfeier! Gerade die Heilige Woche mit ihren Besucherzahlen stimmt mich skeptisch gegenüber der überall verbreiteten These, die erneuerte Liturgie habe missionarischen Charakter.

S. 68

Manchmal ist es zum Verzagen, wie langsam man vorankommt in der liturgischen Erziehungsarbeit. Ob wir nicht seit Jahren auf der Stelle treten? Es fehlt, genau wie in der Jugendarbeit, an dem entgegenkommenden Elan. Man läßt mit sich geschehen. Es scheint, daß auch in der jüngeren Priestergeneration nur selten noch etwas von der Begeisterung lebt, die einmal in den Jahren zwischen 1925 und 1940 selbstverständlich war (als die Kapläne noch gegen ihre Chefs anzukämpfen hatten). Ich mache mir immer wieder Mut, indem ich mir sage: diese Erziehungsarbeit ist auf Jahrzehnte und Jahrhunderte berechnet, sie hat ja Versäumnisse von Jahrhunderten aufzuholen. Das kann nicht schnell gehen. Man wird bescheiden und bucht es als Erfolg, wenn dann und wann einer spontan zu einem sagt: „Das war aber schön!" Es sagt natürlich auch einer nach einem Weihnachtsliedersingen oder einer Fatima-Stunde „Das war aber schön!", aber in anderer Tonart.

S. 70

Opposition gegen die liturgischen Bemühungen wird heute selten noch greifbar, aber die Unlust, sich anzustrengen, und der instinktive Widerwille gegen alles Ungewohnte im religiösen Bereich ergeben eine latente Opposition, mit der unbedingt gerechnet werden muß. Zwar wird schließlich alles mitgemacht; aber woher weiß man, daß es von ganzem Herzen mitgemacht wird? Würden unsere Treuen nicht ebenso alles andere mitmachen, was wir ihnen schmackhaft machen? Übrigens, was für ein gefährliches Wort! Sacramenta propter homines, heißt das, sie müssen den Menschen schmackhaft gemacht werden? Was ihnen zu gut schmeckt, hat den Verdacht gegen sich, daß es ihnen nicht zuträglich ist.

S. 71

Man darf den Wert des muttersprachlichen Elements in der Liturgie nicht überschätzen. Die Schola singt zum Beispiel deutsch: wer von denen, die keinen Text zur Hand haben, versteht, was sie singen? Ich erinnere mich noch gut des Schocks, als ich einmal, mitten in der Menge stehend, mich vergeblich bemühte, den Text, den eine ordentlich singende Theologenschola vortrug, aufzufassen. Mir schien in diesem Augenblick, es hätte genausogut lateinisch gesungen werden können. - Und wenn eine von den knappen Orationen, meinethalben aufs beste durchs Mikrophon verständlich, gebetet wird, was davon wird betend mitvollzogen? - Was geht in denen vor, die ein deutsches Gloria in der Gemeinschaftsmesse rezitieren? Der Mechanismus ist so abgewetzt, daß er schon nicht mehr greift. Also: das Ungewohnte in der wörtlichen Übersetzung huscht zu schnell vorbei, das Gewohnte aber weckt keinen Gedanken mehr. Etwas ganz anderes ist es mit den Lesungen, die in unbekannter Sprache anzuhören im Grund eine absurde Zumutung darstellt. Aber im Hymnischen und überhaupt in vielen Gebeten läßt die Unschärfe des fremden Idioms der frommen Empfindung vielleicht mehr Raum und weckt die religiöse Phantasie vielleicht mehr als das sauber gestochene „Wort für Wort" der Übersetzung?

S. 72

Es ist eine Illusion, zu denken, Liturgie werde direkt auf das Leben einwirken. Nur indirekte Einwirkungen sind ihr möglich, insofern sie einübt in das sentire cum Christo et ecclesia, insofern sie zur Umkehr ruft und auf diese Weise Grundvoraussetzungen schafft. Welche von vielen Aufgaben ich tun und welche ich liegenlassen, auf welche Weise ich mein Geschäft führen oder einen Konflikt lösen soll, kann ich nicht von ihr lernen. Sie hat und behauptet ihren eigenen, abgeschlossenen, weltfernen Raum der Anbetung. Sie ist immer Weltflucht, ein Harren in der Einsamkeit. Natürlich darf sich das Christentum nicht in die Sakristei zurückziehen, aber die Liturgie darf auch nicht auf die Straße gehen. Die Arkandisziplin behält bis heute ihr Recht, denn Liturgie ist eine Sache der Eingeweihten. Ihre Zurschaustellung durch die modernen Kommunikationsmittel geht manchmal bis an den Rand der Schamlosigkeit. Ihre missionarische Aufgabe kann doch nicht darin bestehen, daß die Gaffer etwas zum Gaffen kriegen.

S. 73:

Reformarbeit bedeutet, daß Änderungen kommen. Unter Umständen muß „ad experimentum" gearbeitet werden, wie in den ersten Jahren der erneuerten Ostervigil. Nicht alles, „quod erat in principio", ist darum schon tabu. Kritik am Überkommenen ist notwendig und nützlich. Aber es darf keine Willkür geben, es darf nicht der Eindruck entstehen, die Liturgie unterliege Modeströmungen; barock ist jetzt besonders unmodern. Kult hat ex natura sua eine Beharrungstendenz. „In jener Zeit", das ist die unantastbare, die hohe vorbildliche Zeit, aus der die Grundelemente des Kultes stammen, und keine Zeit darf sich vermessen, sich hierüber zum Richter aufzuwerfen. Das Kirchenvolk, in schwankender Zeit den festen Boden der kirchlichen Tradition ehrend, fühlt plötzlich diesen Boden schwanken, wenn zu viele Änderungen und wenn Änderungen in zu raschem Tempo kommen, und es ist vergebene Mühe, dann zu distinguieren zwischen wesentlichen Änderungen und unwesentlichen. Wenn zum Beispiel innerhalb weniger Jahre die Mitternachtsmesse erlaubt, verboten und befohlen wurde, hat das auf die breite Öffentlichkeit so gewirkt, als sei die Kirche ihrer Sache nicht mehr ganz sicher und sei auch sie von dem allgemeinen Taumel der Neuerungssucht ergriffen. Hier ist ein großes Dilemma: ändern, und doch keine Unruhe schaffen!

S. 76:

Die Klage über langatmige und langweilige Gottesdienste hat viele von uns zu dem Ehrgeiz verführt, recht kurze Gottesdienste zu halten (Amt mit Predigt und allem knappe 60 Minuten, bravo!). Das führt, auch wenn man es nicht möchte, zu hastigen Bewegungen, zu Ungeduld (z. B. wenn der Organist eine weitere Strophe anfängt, wenn die Meßdiener trödeln). Es sollte uns zu denken geben, daß die Leute sofort in Bewunderung ausbrechen, wenn sie einen fremden Geistlichen am Altar stehen sehen, der mit ausgesucht (und für unser Gefühl übertrieben) langsamen Bewegungen fungiert.

S. 78

In einer Kirche muß man auch weinen können. In einer Kirche muß man sich auch vor andern verstecken können. Die Tageshelle, die arenenhafte Winkellosigkeit der modernen Kirchen hat etwas Grausames. Wir hatten früher zuviel Dämmer und Schummer, zuviel Kapellchen, Figürchen und Eckchen, zuviel Privates in unsern Gotteshäusern - dafür haben wir jetzt zuwenig. Warum sagen denn die Leute, sie gingen in die Kirche, um richtig beten und um sich Trost holen zu können? Weil sie zu Hause keinen Gebetswinkel mehr haben.