Das 2. Vatikanum in der Vorschau
Erwartungen an die Reform der Liturgie 1961
25. 1. 2009
Heute vor 50 Jahren verkündete Papst Johannes XXIII. öffentlich seine Absicht, ein Ökumenisches Konzil einzuberufen, die er am 19. Januar bereits vor den in Rom versammelten Kardinälen ausgesprochen hatte. Die Ankündigung löste ein enormes Presseecho aus, dem ein wahrer Sturm von Erwartungen folgte. Wir konzentrieren uns hier auf die Erwartungen und Vorschläge, die die Reform der Liturgie betreffen - und da natürlich auch nur auf einen kleinen Ausschnitt.
Dem Konzil und der anschließenden Arbeit des Konziliums waren im Rahmen der sog. „Liturgischen Bewegung“ jahrzehntelange Diskussionen und auch zahlreiche illegale praktische Experimente zu Reform der Liturgie vorausgegangen. Aus der Rückschau verwundert zweierlei: Einmal, wie wie tief relativ weitgehende Veränderungsvorschläge doch in der Tradition des Glaubens verwurzelt waren. Ihre Urheber wollten den Glauben keinesfalls verändern - aber sie unterschätzten völlig die Rückwirkungen, die bestimmte Veränderungen in der Form der Glaubensverkündigung und der SakramentenPraxis auf den Glauben selbst zurückwirken müßten – oder zumindest in der Realität zurückgewirkt haben.
Auf der anderen Seite gabe es aber auch eine zweite Gruppe von Veränderern, die formale Änderungen von Anfang an inhaltlich verstanden, wie etwa das Consiliumsmitglied Joseph Gelineau SJ, der bereits in den 50er Jashren verlangte, die biblischen Texte von Elementen zu reinigen, die dem „Glaubensverständnis des modernen Menschen“ nicht mehr entsprechen (Beitrag auf der Strassburger Konferenz „The Liturgy and the Word of God“ 1958), und der 1978 in einer enttäuschten Rückschau auf die seiner Meinung nach unzureichenden Ergebnisse der Liturgiereform vorschlug, die Liturgie insgesamt in die Hände von Laien, selbstverständlich auch von Frauen, zu legen, um die Übereinstimmung der Liturgie mit diesem „Glaubensverständnis des modernen Menschen“ zu sichern. (The Liturgy Today and Tommorow, S. 71).
Einen guten Überblick über die Erwartungen wichtiger reformorienterter Kreise an das bevorstehende Konzil gibt ein Herder-Taschenbuch: „Fragen an das Konzil“ von 1961, das Beiträge einiger damals bekannter Theologen und Publizisten (Otto Mauer, Otto Schulmeister, Karlheinz Schmidthüs, Anton Böhm) zusammenfasste und von (damals noch nicht Bischof, heute Kardinal) Johannes Willebrands sowie P. Karl Rahner SJ gegengelesen wurde.
Eine dort angeführte Meinungsumfrage (S. 19) ergab als die verbreitetsten Erwartungen an das Konzil:
„Als Ziel dieses Konzils wurde von fast allen angegeben: Aufhebung der konfessionellen Gegensätze und die Wiedervereinigung aler Christen. Viele vertraten die Auffassung, es sei die Zeit reif für die Aufhebung des Zölibats in der westlichen Kirche. Andere wieder befürworteten die Konzentration aller christlichen Kräfte zur Abwehr des kommunistischen Atheismus – es sind dieselben, die einMachtwort der Kirche in dieser Zeit des geistigen Umbruchs, des kalten Krieges und der Atomrüstung erwarten. Bei den katholischen Befragten zeigte sich der Wunsch nach Toleranz, nach neuen Methoden in der Seelsorge, nach besserer Vorbereitung der Predigten und nach Beteiligung der Laien am Apostolat.“
Bemerkenswert erscheint hierbei vor allem, daß trotz des bereits seit 4 Jahrzehnten andauernden Wirkens der „Liturgischen Bewegung“ Veränderungen in der Liturgie selbst offenbar nicht an vorderer Stelle genannt wurden. sie spielten beim katholischen Volk abgesehen von dem weit verbreiteten Wunsch nach stärkerer Verwendung der Volkssprache keine besondere Rolle. Auch in dem 30-seitigen Abriss dieses Buches zu den von den Verfassern zusammengestellten Erwartungen an das Konzil nimmt die Liturgie mit gerade einmal 4 Seiten keinen unverhältnismäßig hervorgehobenen Raum ein. die Erwartungen selbst erscheinen durchaus „gemäßigt“. Sie warnen hier und da sogar vor Gefahren, die inzwischen eingetreten sind - öffenen andererseits aber auch Perspektiven auf noch weiter führende Veränderungen insbesondere durch stärkere Verlagerung der Verantwortlichkeit für die Liturgie auf die Ortskirche.
Wir übernehmen im Folgenden die Seiten 101 – 105, auf denen diese Erwartungen zusammengefasst sind:
Liturgische Erneuerung
Vor einigen Dezennien schon ist die Bibel- und Liturgische Bewegung von der Peripherie bis in das Zentrum der Kirche vorgedrungen und wird jetzt auch von hier aus gefördert. In der säkularisierten Welt bedeutet dieser Rückgriff auf die authentischen Quellen eine Freilegung und damit Verstärkung des eigentlichen Kerns. Volksmissale, der zum Bewußtsein gebrachte Gemeinschaftscharakter der Messe, die Mitfeier der Eucharistie als Gedächtnisgottesdienst, die vereinfachte und verständlichere Karwochen- und Osternachtliturgie sowie die Bestrebungen nach einem liturgischen Psalmengesang bestimmen den Frömmigkeitsstil unserer Zeit.
Gleichzeitig wirkt gerade diese Erneuerung befruchtend auf die Einheitsbestrebungen der getrennten Christen, und von ihr aus ist es am ehesten möglich, die Taubgewordenen und Entfremdeten wieder für die unverfälschte Botschaft Christi zugänglich zu machen. Das Wort Gottes kann auch heute noch in seiner Echtheit ansprechen, wenn gewisse Hemmnisse, die dem Verständnis der Symbole im Wege stehen, beseitigt werden. Das Konzil, das sich sicher mit der Erneuerung des Lebens durch die Liturgie befassen wird, möge die eingeleiteten und vielversprechenden Bestrebungen fördern.
Volkssprache
Um jede Verwirrung zu vermeiden, müßte zunächst zwischen Verständlichkeit der Texte, der aktiven Teilnahme und der Einheitlichkeit des Ritus unterschieden werden.
Was die bessere Verständlichkeit betrifft, ist es Lehre der Kirche, daß das Mysterium sich im sakramentalen Ritus als Tat Gottes am glaubenden Menschen, ex opere operato, vollzieht, also auch dann, wenn der Empfänger die Worte des Ritus im einzelnen nicht versteht. Da aber die Sakramente für die Menschen bestimmt (sacramenta propter homines) und im gläubigen Empfang eine „protestatio fidei" des Menschen und somit nicht nur Zeichen, sondern auch Worte des Glaubens sind, wird von der Kirche vieles getan, damit im konkreten Vollzug das Wort auch verstanden werde. Das beweisen die liturgischen Texte selbst, die zu einem beachtlichen Teil katechetischen, also belehrenden Charakter besitzen. Nun wird dieses Ziel kaum erreicht, wenn diese Belehrung in eine unverstandene Sprache gekleidet ist. Auch sollte man nicht übersehen, daß die liturgische Feier für viele Christen heute der einzige Vorgang ist, in dem sie etwas von ihrer Religion erfahren.
- Darum wäre, bei aller Hochschätzung für die lateinische Sprache im Leben der Kirche, im Prinzip die Verständlichkeit und damit die Volkssprache zu betonen;
- dieses Prinzip hat Papst Johannes XXIII. anerkannt, und es würde einen Fortschritt bedeuten, wenn auch das Konzil sich noch eindeutiger dafür aussprechen sollte, obwohl die praktische Durchführung noch Jahre in Anspruch nehmen wird. Einen gewissen Fortschritt bedeuten die Sondergenehmigungen, die jedoch vorläufig Sonderausnahmen bleiben;
- auf dem missionsliturgischen Kongreß von Nimwegen (12.-19. September 1959) haben 130 Missionare und Liturgisten - darunter 37 Missionsbischöfe - die Propagandakongregation gebeten, für den gesamten Lesegottesdienst sowie für das Ordinarium den Gebrauch der Volkssprache zu gestatten. Dieses Ansuchen verdient volle Unterstützung.
Symbolsprache und aktive Teilnahme
Das Verständnis der liturgischen Texte hängt nicht nur vom Verstehen der Worte, sondern auch vom Begreifen der liturgischen Symbolsprache ab, für die viele Menschen heute taub geworden sind. Wenn ihnen die Verleiblichung des Geistigen und die Vergeistigung des Leiblichen beigebracht werden soll, müßte jenen Symbolen und Worten, die im Verlauf der Zeit verkümmert sind, wieder eine zugleich geistig klarere wie sinnenfälligere Aussagekraft verliehen werden.
- In der Taufliturgie sind noch manche, heutzutage überholte Reminiszenzen an die frühere Taufvorbereitung der Erwachsenen enthalten, während die Symbolik des Abwaschens doch nur sehr schwach in der Verwendung von einigen Tropfen Wasser zum Ausdruck kommt;
- die Gebete des Ehe-, Firmungs- und Krankenölungsritus verdienen ebenso eine Überprüfung, weil das, was diese Sakramente erwirken, deutlicher ausgesagt werden könnte und einige überholte Reste, z. B. eine gewisse Minderbewertung der Ehe, einer klareren Darstellung des wirklich Gemeinten weichen müßten.
Da Liturgie Gemeinschaftscharakter besitzt, ist das Streben verständlich, diesen Charakter auch äußerlich, vor allem in einer aktiven Teilnahme, zum Ausdruck zu bringen;
- unbeschadet des eigenen Platzes der feierlichen Pontifikalämter, sollte im allgemeinen die Meßfeier so aufgebaut sein, daß sie weniger das passive Zuschauen, sondern eher das Mitfeiern fördert, z. B. durch Ausgestaltung einer Introitusprozession, eines Opferganges sowie durch Einschaltung von entsprechenden Gebeten, Liedern und Schriftlesungen - kurzum, es sollte ein klar aufgebauter Wortgottesdienst angestrebt werden. Diese aktive Teilnahme müßte auch bei der Tauffeier, der Firmung, dem Begräbnis und sonstigen liturgischen Feiern gefördert werden;
- daher wäre im allgemeinen auch der Bau von kleineren Kirchen, die dieses Mitfeiern eher ermöglichen, zu empfehlen;
- von gewissen Ausnahmen abgesehen, sollte die liturgische Feier nicht Prunkentfaltung zeigen, sondern eine schlichte, erhabene Feierlichkeit ausstrahlen;
- im Mitfeiern wäre freilich auch Maßhalten geboten, weil hier die Gefahr besteht, in Äußerlichkeit auszuarten. Wie aus einem in Belgien mit großer Heftigkeit entbrannten liturgischen Streit hervorgeht, führen viele, auch für die Liturgie aufgeschlossene Kreise darüber Klage, daß ihnen ein kollektives Aufstehen, Sitzen, Knien, Antworten usw. aufgezwungen werde, wodurch sie in ihrer liturgischen Besinnung gestört würden und sie sich nur schwer auf den Textinhalt konzentrieren könnten. Für diese Kreise, die vornehmlich Erwachsene umfassen, ist der Mitvollzug doch zunächst eine innere Teilnahme;
- für die Jugend, die noch zur innerlichen Teilnahme erzogen werden muß und die dem mehr äußerlichen Mithandeln und Mitsingen offener gegenübersteht, könnte eine größere aktive Teilnahme in eigenen Messen für Jugendliche empfehlenswert sein;
- es müßte darauf geachtet werden, daß die Sonntagspredigt an die Struktur des Kirchenjahres gebunden bleibt und nicht durch zu viele Einschaltungen, z. B. von Missions-, Universitäts-, Presse- oder Filmsonntagen usw., vom liturgischen Jahreslauf abgedrängt wird;
- auch wenn die Zeit dafür noch nicht reif sein sollte, wäre später, im Zusammenhang mit der Einheitlichkeit des Ritus, vielleicht eine liturgische Rahmengesetzgebung zu begrüßen. Dies wird in einer Zeit vordringlich sein, wenn die Missionskirchen die nötige Reife erreicht haben und die Landesbischöfe dann, unter Berücksichtigung der verschiedenen Kulturen, Gebräuche und Völkerschaften, gewisse Adaptationen vornehmen oder - nach eigenem Ermessen - eine Einheitsliturgie bevorzugen.
Brevier und Einheitskatechismus
Kardinal Gaetano Cicognani hat bereits Vorschläge für eine Revision des Breviers, für Kürzung der Nokturnen und Vereinfachung der Rubriken erwähnt.
- Es wäre aber zu überlegen, ob nicht eine gründliche Änderung den Vorzug verdient, denn die Struktur des heutigen Breviers erinnert - trotz der im 11.Jahrhundert durchgeführten Kürzung (daher Brevier) - noch immer an ein Chorgebetbuch; ferner ist es noch ganz auf die Rhythmik des natürlichen Tagesablaufs aufgebaut, also auf eine Tageseinteilung, die ihre Bedeutung für unsere Zeit und die heutigen Seelsorger leider mehr und mehr verloren hat. In allen Kreisen des Seelsorgeklerus befürwortet man daher den Entwurf eines ganz neuen offiziellen Gebetbuches, dessen Grundstruktur zwar das Kirchenjahr berücksichtigt, aber in der näheren Einteilung nicht an den Tagesablauf gebunden ist. Es müßte vor allem dem Beten dienen und dabei besondere Bedürfnisse und Anliegen beachten. Neben den Texten aus dem Alten und Neuen Testament, besonders aus den Psalmen, den Kirchenvätern, der Liturgie der West- und Ostkirche, sollten auch Gebete von Heiligen aus jüngerer Zeit darin Aufnahme finden;
- auch wäre neben dem Marianum ein neues Kurzbrevier für Klosterbrüder und -frauen usw. sowie ein ganz eigenes für Laien zu erwägen.
Unsere heutige Bewertung der nationalen und kulturellen Unterschiede kann sich prinzipiell nur schwer mit der Idee eines Einheitskatechismus, der auch für alle Missionsgebiete verpflichtend wäre, anfreunden. Bereits auf dem 1. Vatikanischen Konzil wurde von mehreren Sprechern der Plan, den veralteten Katechismus des Trienter Konzils durch einen neuen Einheitskatechismus zu ersetzen, als undurchführbar abgelehnt. Jetzt zeigt sich aber, daß der neue deutsche Katechismus vielerorts als Modell betrachtet wird und daher von sehr vielen Diözesen, auch in den Missionsländern, mit nur ganz kleinen Änderungen übernommen wurde. In Japan hat man den deutschen Text einfach übersetzt, ohne jede Adaptation. Dieser „Glücksfall" beweist, daß auch ohne Einschaltung der zentralen Leitung Einheitlichkeit in voller Freiheit erreicht werden kann, ferner daß man in den Missionskirchen anscheinend andere Auffassungen hat über die von Europäern so stark hervorgehobenen Unterschiede in Denk- und Vorstellungsformen.