Diskussion über das II. Vaticanum
Assisi und Konzil: Ereignis oder Doktrin?
Franz Norbert Otterbeck
8. 12. 2011
Assisi 2011 hat kaum noch mediale Aufmerksamkeit gefunden, jedenfalls hierzulande. Das kann daran liegen, dass Papst Benedikt XVI., wiewohl er Korrekturen am „Geist von Assisi“ vornahm, in deutschen Organen nicht mit einem interreligiösen Ereignis zugunsten der Menschenwürde soll identifiziert werden können, weil das nicht zum „ewigen Kreuzzügler“ passt.
Ereignis wie Doktrin von Assisi bieten einen tauglichen Spiegel, um über Doktrin wie Ereignis des jüngsten Konzils nachzudenken. Denn Unterstützer wie Kritiker der interreligiösen Friedenstreffen von 1986, 2002 und 2011 sind sich darin einig: Ohne Vatikanum II wäre die Initiative des Sel. Johannes Paul nicht möglich gewesen.
Gibt es aber eine „Doktrin von Assisi“? Nur unterschwellig. Das historische Ereignis hat keinen dogmatisch fassbaren Erklärungsgehalt, jedenfalls nicht explizit. Das Ereignis war friedensfördernd, so wie es uns der Heilige Vater jüngst erläuterte; und Friedenstaten sind Christenpflicht, für immer. Als eine Billigung von Religionsvermischung kann aber „Assisi“ spätestens seit 2011 nicht mehr gedeutet werden, denn Benedetto lud auch Atheisten zum Mittun ein. Damit ist dieser Interpretation – ex negativo – ein Riegel vorgeschoben.
Nicht wenige leiten aber aus dem Ereignis eine Doktrin ab. Das wäre schädlich. Aber auch mit dem Konzil wurde so verfahren; und so wird aus der Ecke von Hünermann, Hilberath et al. weiter verfahren. Das Ereignis ist aber für jüngere Leute so weit weg, dass eine fromme Beterin neulich äußerte: „Das Konzil? Das war doch das, wo man entschieden hat, dass der Priester die Messe auf Deutsch zum Volk hin feiert.“ Mitnichten. Aber der Rest ist vergessen.
Das Konzil war eigentlich das, wo Recht und Sakrament in eine Perspektive gerückt werden sollten. Auch vergessen. Theologen von heute verspotten das Kirchenrecht und werten das Sakrament als Symbol, semiotisch. Christus? Abwesend. Wir tragen sein Gerücht weiter, im Wandel der Zeit. Wo Aufstand ist, da ist auch Auferstehung. Von Ostern bleibt das fröhliche Herz im Frühling. Dann braucht man zwar keine römische Messe mehr, wohl aber die interreligiöse Meditation, der Herzensbildung wegen; nur: für mein Herz, nicht das Herz Jesu.
Das Konzilsereignis war „Aufbruch“ bevor es geschlossen wurde; mit dem 8. Dezember 1965 war es für manche „unvollendet“, weil nicht Aufstand genug darin war. Die Parole der Linken beantwortete dann die Rechte: Bruch, Negation, Zynismus. Das Konzil als Ereignis ist nicht ganz unschuldig daran, dass die nachkonziliare Epoche in weiten altchristlichen Regionen eher nach Abbruch aussah. Dementsprechend wirbt das ZdK für den Katholikentag 2012 in Mannheim frech mit einem roten Rucksack, aber ohne religiöse Begriffe (nur 1 x Glaube und 2 x Kirche steht noch im Werbebrief). Endstation Sehnsucht.
Maritain hatte es schon 1966, wiewohl skeptisch, begriffen: Die Doktrin des Konzils liefert die Begriffe, die als Heilmittel für eine Krise vorbereitet wurden, als das Ausmaß der Krise noch gar nicht ganz sichtbar war. Es beendete den „teilhardisme-rahnerien“. Genau das trieb die „Rahnerschule“ auf die Barrikaden, bis hin zu P. Mertes SJ. Das Pastoralkonzil ist aber eines, das nicht repressiv sondern präventiv veranstaltet wurde, als Kraftakt vor dem „Bruch“ (nicht: der Moderne, sondern: der Postmoderne), als unterirdischer Wasserspeicher gegen die vergifteten Brunnen, an denen die „Welt von heute“ (eine andere als 1965) mehr leidet als sogar 1945. Die Modernismuskrise um 1900 infizierte fast nur Theologen. Die Krise des Postmodernismus um 2000 hat weite Teile der „Herde“ gekränkt, weil das Gebet verboten.
Die Doktrin des Konzils hilft dagegen. Es ist nicht aalglatt und nicht kieselrund. Es hat zu viele und zu lange Texte erzeugt. „Gaudium et spes“ kann man konservativ oder progressiv deuten (ja, auch konservativ: „bis hierher und nicht weiter..“); durchgesetzt hat sich zuerst eine Deutung, die ohne Skrupel den Wortlaut als Grenze der Auslegung munter in die Luft sprengt. Insoweit müssen wir zur Anstrengung des Begriffs finden. Aber mehr Anleihe bei Hegel darf es um keinen Preis geben.
Denn sonst bleibt nur noch übrig: Kirche will Welt „aus dem Glauben“ gestalten. (Aus der „Zuversicht“ der „Frohbotschaft“ vom „Reich“. Etwa die vom Vierten?) Oder dazu dialektisch entgegengesetzt dasselbe meinend, wie man Alois Glück mittlerweile unterstellen darf: Da es uns nicht gelungen ist, die Welt zu verändern, verändern wir erstmal die Kirche. Wer aber ändern will, der müsste auch „bessern“ können. Das Kriterium nannte man mal konservativ.
Das Konzil hat viel geleistet: Als Ereignis wirkte es mit, den Frieden in der Welt zu bewahren. Es öffnete die Kirche für alle Kontinente und allen Kontinenten die Kirche. In diesem Kontext findet sich auch der berechtigte Ort der Liturgiereform. Das Konzil hat Wojtyla ermöglicht, ohne den, auch in Europa, von der Christenheit nur noch Spurenelemente übrig wären. Denn über Massenzulauf kann sich der Traditionalismus, diesseits wie jenseits von Lefebvre, auch nicht beklagen, im Unterschied zu freikirchlichen und charismatischen Bewegungen.
Wo aber steht das Lehramt der Kirche? Weltweit steht es wohl weit besser da als je zuvor, besser verankert im Episkopat denn je. Aber die Verfechter autonomer Theologie haben der Frömmigkeit einer ganzen Generation tiefe Wunden geschlagen. (Das schwächt auch den christlichen wie demokratischen Kampf um Gerechtigkeit; denn wer nicht betet, dessen Gerechtigkeit ist zumeist nur „mein Recht“.) Im Übrigen nützen auch die von den genannten „Verfechtern“ belächelten Zirkel, Altliturgiker, neue Priesteroasen, Movimenti, die vom Konzil ermöglichten Freiheiten dankbar aus: Unter Pius XII. hätte ein „Institut St. Philipp Neri“ wohl niemals den Segen Roms erhalten können, wohl auch keine Communauté St. Martin und kein „Institut Christus König und Hoherpriester“. Man tat sich damals ja sogar mit dem Opus Die schwer, empfand es als zu innovativ, als zu laikal. Die kryptojesuitisch konventionelle Gründung eines P. Maciel hatte es deutlich leichter. So sehr können sich die Zeiten ändern.
Die Zeiten ändern sich; und in der Zeit ändert sich auch die Kirche. Das ist längst ein Allgemeinplatz, aber doch so schwer zu verstehen. Denn der Kurs müsste doch lauten: minimale Änderungen zu maximalem Nutzen, im Dienst von Identität und Dialog, zugleich. Wir alle, auch Laien, sollten wohl doch noch etwas intensiver beim Sel. John Henry Newman in die Schule gehen, um den genauen theologischen Ort des dienstbeflissenen Magisteriums besser kennenzulernen, das wohl immer schon besser war als sein „guter Ruf“ seit 1517. (Denn schon 1519 endete – vergessen? – der Ablasshandel. Die luther’sche Beschwerde zur „Kostenfestsetzung“ war mithin schon unter Leo X. erfolgreich; der Rest war Politik.)
Deuten wir also Assisi im Licht des Konzils, also der Tradition. Sonst wird das nichts mit dem Friedenswerk. Denn nur mit „uns“ zieht die neue Zeit, mit Petrus und seinen Kollegen, hin zum wirklich Neuen in der Zeit, dem omnipräsenten Ostertag.
Auch wenn der Titel des Beitrages das nicht sofort demonstriert: Die nachfolgenden Überlegungen sind nicht nur im weiteren Sinne im Zusammenhang mit der Frage „Interpretation und Bedeutung des Koinzils“ zu verstehen, sie sind auch als unmittelbare Reaktion auf den Beitrag von Msgr. Ocáriz vom 3. 12. entstanden. Weitere Beiträge zum Thema bleiben erwünscht.