Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Gast in einer anderen Welt

Wie ein heutiger Christ den Gottesdienst mit früheren Riten erlebt

Kritische Kommentierung eines Artikel von Stefan Niggenaber in der Paderborner Bistumszeitung "Der Dom", 2008, Nr. 9

Hl. Messe in Paderborn, St. Ulrich

Schummriges Licht und gedämpftes Glockengeläut, rosa Blumen auf dem Altar, daneben hohe Kerzen. Bescheiden, aber dennoch feierlich wirkt die Krypta im Paderborner Dom an diesem Mittwochabend. Es ist 18.15 Uhr. Zeit für die Messe nach „tridentinischem" Ritus.

Nach und nach trudeln Gläubige ein, bekreuzigen sich, knien nieder. Auch ich mische mich unter die stille Menschenansammlung, bleibe jedoch irgendwie isoliert. Es scheint, als ob niemand etwas mit mir zu tun haben möchte.

Das könnte so scheinen - ist aber nicht so. Schließlich beginnt die Messe um 18:30 Uhr - und die wenigen Minuten bis dahin braucht jeder für seine Vorbereitung: Ein stilles Gebet, ein Blick aufs Introitus, ein bißchen Distanz zum Alltag schaffen, denn Großes steht bevor.

Um 18.30 Uhr sind wir bereits 100 Menschen, die sich in die hölzernen Bankreihen drängen. Darunter auch einige Kinder, junge Familien, Jugendliche, vielleicht Theologie-Studenten. Dazwischen auch zahlreiche Katholiken der alten Schule, jedenfalls augenscheinlich. Die schwarzhaarige Frau neben mir gräbt sich schon vor Messbeginn tief in ihr „Vollständiges Römisches Messbuch" ein. Vor mir ein Mann mittleren Alters in dunklem Talar, daneben ein junger Schwarzer. In meinem Nacken spüre ich den Atem einer Ordensschwester, die kniend das Pater Noster betet, selbstverständlich auf Latein. Irgendwie fühle ich mich dazugehörig, aber dennoch fremd und beobachtet. Die Anhänger der tridentinischen Messe scheinen ein eingeschworener Zirkel zu sein, denke ich.

Hier gibt es aber eine Menge Fragen: Wie gräbt man sich wohl in ein Messbuch ein? War der Talar einfach nur "dunkel" - oder nicht sogar richtig schwarz? Und hat die Farbe auf den jungen Mann daneben abgefärbt - oder umgekehrt?
Und was den Atem der Ordensschwester im Nacken betrifft: Manchmal ist es keine schlechte Idee, sich auch hinzuknien - vorne, hinter den kleinen goldenen Türen ist DER in geheimnisvoller Substanz anwesend, vor dem sich jedes Knie beugen wird im Himmel und auf Erden. Deshalb beobachtet garantiert auch keiner der Anwesenden den Beobachter - sie haben anderes im Sinn.

Plötzlich poltert der Organist los. Domdechant Heribert Schmitz zieht von hinten in die Krypta ein. Als Messdiener fungiert der Küster des Doms. Als das Duo an den Menschen vorbeizieht senken sich die Köpfe, fast ehrfürchtig. Als wollten die Gläubigen ihnen Gehorsam zollen.

Nein, nicht nur "fast" ehrfürchtig. Tatsächlich voller Ehrfurcht - in wenigen Minuten wird der Priester des Herrn in Persona Christi das höchste Opfer darbringen. Und was die „polternde“ Orgel betrifft - ach, vergessen wir's.

Mit dem Rücken zur Gemeinde baut sich Prälat Heribert Schmitz vor dem Altar auf. Wir singen lateinische Messgesänge. Ich verstehe kein Wort, blicke pausenlos auf den Rücken von Heribert Schmitz. Mir bleibt nichts anderes übrig. Doch der Domdechant funktioniert wie ein Uhrwerk, flüstert Formeln und Gebete Richtung Altar und Kruzifix.

Wenn einer bei lateinischen Messgesängen kein Wort versteht, ist das nicht nur schade, sondern gibt auch Anlaß zu der beunruhigenden Frage, wie der junge Mann oder seine Lehrer es wohl mit dem 2. Vatikanischen Konzil halten - wurde dort doch feierlich bestimmt, daß die lateinische Sprache trotz größeren Raums für die Umgangssprachen die Sprache der Kirche bleibe, und daß dem gregorianischen Choral der Ehrenplatz unter aller Kirchenmusik zukomme.

Die Messe gerät in Schwung, auch die schwarzhaarige Frau neben mir weiß offenbar, was zu tun ist. Sie macht sich seltsame Notizen in ihr Gesangbuch in altdeutscher Schrift. Doch ein Großteil der Feiernden ist offenbar verwirrt. Die vorderen Bänke stehen, während die hinteren knien. Alles scheint so irreal, ein wenig mystisch. Und irgendwie feierlicher als das sonntägliche Hochamt in meiner Heimatgemeinde.

Ja, das irritiert Besucher aus der Moderne immer wieder, daß die Gläubigen in der alten Messe - von ganz wenigen Stellen abgesehen - durchaus nicht wie auf dem Kasernenhof immer alle zur gleichen Zeit die gleiche Haltung einnehmen. Teils kommen sie aus verschiedenen Orten mit verschiedenen Lokalgewohnheiten, teils gestatten sie sich aber auch einfach, auf ganz individuelle Weise an der Feier teilzunehmen - singend und stehend die einen, sinnend und kniend andere. Es ist mystisch - und gleichzeitig sehr real: Zum Sanktus steigen Cherubim vom Himmel und stimmen in den Gesang ein. Das sollte man in beiden Formen des römischen Ritus wahrnehmen können.

Doch bei der Gabenbereitung bin auch ich endlich auf Sendung, weiß ausnahmsweise, was dort vorne passiert.

Was dort passiert, erfährt man allerdings eher, wenn man auf Empfang eingestellt ist. Nicht wir machen oder senden hier etwas - alles liegt bei dem, der durch die Hände des geweihten Priesters handelt und so sein und unser Opfer darbringt.

Aber schon bei der Kommunion muss ich wieder passen. Mundkommunion, denke ich, das ist so gar nicht mein Ding. Außerdem weiß ich gar nicht, wie das geht. Und so versinke ich wieder in meiner Bank, falte die Hände. Andere hingegen reihen sich ein, bauen sich in Dreierreihen vor dem Altar auf und lassen sich die Hostie vom Prälaten in den Mund legen. Als der Mann mit dem dunklen Talar zurückkommt, sieht er mich strafend an. Ja, ich bin halt sitzen geblieben, gestehe ich mir im Stillen ein und verfolge den Rest der Messe.

Strafend ansehen, weil einer nicht zur Kommunion geht? Aber doch nicht im alten Ritus. Von modernen Gemeinden hört man, daß oft die Schlangen vor den Kommunionhelfern lang - und die vor den Beichtstühlen kürzer als kurz wären. Da mag ein Sitzenbleiber auffallen. Unter "Tridentinern" kommt es allerdings öfter vor, daß jemand beim Gedanken an die Flecken auf seiner Seele zögert, dem Hern so nahe zu treten, der Licht und Feuer in einem ist.

Doch vom Schluss werde ich enttäuscht. Ein letztes Gebet auf Latein, allerhand Geläut und Bekreuzigungen und die Messfeier ist abrupt zu Ende. Eine gehörige Erfahrung, denke ich beim Auszug. Jetzt weiß ich wenigstens, wovon Opa und Oma immer gesprochen haben. Aber auf Dauer, da bin ich mir spätestens jetzt ganz sicher, möchte ich bei der heiligen Messe auch wieder geistig anwesend sein dürfen.

Man kann es niemandem verwehren, seine Ahnungslosigkeit in geistigen Dingen zur Schau zu stellen. Wenn das allerdings in einer Bistumszeitung geschieht, und dann auch noch im Zusammenhang mit der Feier der heiligen Geheimnisse, die die die Kirche über tausend Jahre lang genährt haben und die der Papst auch heute wieder als Vorbild in Erinnerung rufen will - dann fragt man sich denn doch, ob hier nicht die falschen Leute am falschen Platz tätig sind.