Musikalisch ein Desaster
Zur Papstmesse am 17.4. im National Park Stadion in Washington
19. 4. 2008
Die Feier der Papstmesse im „National Park Stadium“ von Washington hat heftige Debatten in allen an der Entwicklung der Liturgie interessierten Kreisen ausgelöst. Einen ersten Überblick geben zwei Beiträge von Jeffrey Tucker: Catholic Music - Hope or Despair und Music for the D.C. Mass: The End of an Era, and the Beginning of Something New auf TNLM sowie diese Zusammenfassung auf WDTPRS. Beachtenswert sind auch die jeweils anschließenden zum Teil eher polemischen, zum Teil aber auch äußerst kenntnisreichen Diskussionsbeiträge.

Beim Einzug
Wir haben die Messe im National Park Stadium am Live-Stream im Internet verfolgt, um Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, welche Impule der „Liturgische Papst“ Benedikt der in vielerlei Hinsicht notleidenden gottedienstlichen Praxis in den USA (und nicht nur dort) vermitteln kann. Bei unseren Übrlegungen beschränken wir uns auf zwei Aspekte: Das, was man die „rubrizistische Seite“ der Liturgie nennen könnte, und auf die musikalische Gestaltung.
Diese musikalische Gestaltung war, wenn wir unseren eigenen Ohren und dem Urteil geschätzter Sachkenner aus dem Umfeld von „The New Liturgical Movement“ vertrauen dürfen, ein komplettes Desaster. Nur in der langen Wartezeit vor der Messe kamen einige wenige Stücke aus der reichen Tradition katholischer Kirchenmusik zur Aufführung, die Messe selbst geriet musikalisch zu einer Werbeveranstaltung des dominierenden Kirchenmusik-Verlages der USA und seine Vertragskünstler. Selbst das Gloria – das in der mit dem päpstlichen Zeremoniar abgesprochenen Version des Programmes als „gregorianisch“ dargestellt worden war – erwies sich als moderne Aufbereitung zweifelhafter liturgischer Angemessenheit.

Vorsicht: Akustische Kostprobe bei Youtube
Als Leitmotiv der musikalischen Gestaltung erschien nicht die Verehrung Gottes oder die Förderung der Andacht der Gläubigen, sondern die Selbstfeier der Gemeinde, ihrer großen amerikanischen Geschichte, ihrer „Inklusivität“ und Toleranz – in einem Wort: Ihrer Kompatibilität mit dem Zeitgeist.
Das begann mit einer mit viel Vibrato vorgetragenen Gospel-Arie, und führte weiter zu einem Reigen unterhaltsamer Stücke in bunter Instrumentierung: Panflöten zu Indio-Melodien für die südlichen Südamerikaner, Mariachi-Klänge für die Chicanos, ein ansatzweise indianisches “Veni Creator Spiritus“, bei dem man jedem Moment befürchtete, Tänzer im Federschmuck auf die Bühne des Altars springen zu sehen, und was dergleichen multikultureller Kitsch mehr ist.
Beobachter beklagten einen versteckten Rassismus: Eine herablassende Haltung, die sich die musikalischen Ansprüche der aus anderen Kulturräumen eingewanderten Menschen nicht anders vorzustellen vermag als das, was die Tourismus-Büros ihrer Herkunftsländer in ihren Werbe-Videos verbreiten. Dazwischen Zeitgenössisches: genug der allsonntäglichen Haugen-Haag-Praxis entsprechend, um das Publikum bei der Stange zu halten, hier und da frei-tonale Einsprengsel, um den Anspruch auf Modernität zu markieren. Der Papst wirkte stellenweise irritiert und gestresst.
Noch bei der Übertragung kommentierte Pater Richard Neuhaus auf EWTN: „Sie machen gerade das Gegenteil von dem, was Kardinal Ratzinger bzw. der Papst seit vielen Jahren über die Rolle der Musik im Gottesdienst geschrieben hat.“ Inzwischen haben sich auch die Organisatoren zu Wort gemeldet und jede Verantwortung für das Desaster von sich gewiesen – es soll sich im Selbstlauf ereignet haben. Es sieht so aus, als ob die Diskussion auf allen Ebenen noch eine Weile andauern würde, und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Langzeitwirkung dieser drastischen Demonstration des musikalischen Status quo durchaus positiv ausfallen könnte. Bereits heute schon fast uneingeschränkt positiv fällt die Würdigung dieser Papstmesse – und ihrer zu erwartenden Folgen für die liturgische Alltagspraxis - aus, wenn man den Ton abstellt und sich auf die bewegten und unbewegten Bilder vom Ereignis beschränkt.

Das Stadion in der Totalen
Das mit einem Fassungsvermögen von knapp 50 000 Personen für päpstliche Messfeiern relativ kleine Stadion scheint einen geeigneten Rahmen gebildet zu haben, um die schlimmsten Mängel der grenzenlosen Gottesdienste in freiem Feld, bei denen selbst die „Altarinsel“ für viele Teilnehmer nur noch einen fernen Fleck in der Landschaft bildet, zu vermeiden. Der ziboriumsartige Überbau des Altars und das große Kruzifix hinter und über dem auf drei Stufen errichteten päpstlichen Thron gaben den Gläubigen einen zuverlässigen optischen Orientierungspunkt.
Der Aufbau des Altarraumes vermied jede bühnenartige Anmutung, die anscheinend unvermeidliche Schar der Konzelebranten erschien sowohl räumlich als auch durch die Kamera-Regie an die Seite geschoben. Die Gewänder waren, wenn auch sicher nicht überwältigend, so doch würdig und nicht demonstrativ antitraditionell. Die Liturgischen Geräte entsprachen entgegen der in den USA verbreiteten Praxis zur Verwendung von Glaskaraffen statt Kelchen den Vorschriften und hielten sich frei von jeder Extravaganz. Als Hirtenstab verwandte der Papst das seit Monaten ausschließlich gezeigte Kreuz Pius IX – das bereits von Papst Paul VI. eingeführte gekrümmte Kruzifix, das derzeit im Rahmen einer Ausstellung in den USA unterwegs ist und unlösbar mit dem Erscheinungsbild Papst Johannes Pauls II. verbunden ist, scheint seine künftige Bestimmung in den päpstlichen Museen zu finden.

Der Thron und das mächtige Kruzifix
Als Ministranten in Soutane und Rochett wurden ausschließlich Seminaristen eingesetzt – woraus sich zwanglos ergab, daß keine „female altar boys“ zum Einsatz kamen. Zum Ausgleich wurden allerdings beide von Laien vortragbaren Lesungen von Damen verkündet, deren besondere Qualifikation anscheinend sowohl in „ethnic diversity“ als auch in schauspielerischer Sprachschulung bestand; auch bei der – eher formlos erscheinenden – Darbringung der Opfergaben waren Lai-innen reichlich vertreten, aber eben als Lai-innen und nicht als Kleriker-innen verkleidet.
An einigen Stellen der liturgischen Gestaltung wurden Eingriffe durch die ordnende Hand des bereits vor Wochen zu Vorgesprächen nach Washington gekommenen päpstlichen Zeremoniars Msgn. Guido Marini erkennbar: Die Einrichtung des Altars entsprach exakt dem „Benediktinischen Arrangement“: Sieben in gleichmäßigen Abständen aufgestellte hohe Kerzen und in Altarmitte ein unübersehbares Kruzifix als gemeinsamer Bezugspunkt „ad Dominum“ für Zelebrant und Gläubige. Ein in der Planung noch vorgesehener symmetrisch zum ersten angeordneter zweiter Ambo als Standplatz für die Chorleiter blieb unrealisiert, an seiner Stelle stand die Osterkerze. Die immer noch recht präponderanten Chorleiter mußten sich mit einem etwas niedrigeren Standort außerhalb der Begrenzung des Sanctuariums zufrieden geben.

Ad Dominum
Bei der Kommunionspendung wurden ausdrücklich keine Laien als „außerordentliche Kommunionhelfer“ eingesetzt, die Vorschriften sehen vor, daß solche nur in Notfällen amtieren dürfen, und ein solcher Notfall ist bei Anwesenheit Hunderter Priester und Diakone definitiv nicht gegeben. Der Papst selbst hatte bei der Austeilung der Kommunion die Assistenz eines Ministranten mit Patene für die Gläubigen, die die Mundkommunion praktizierten. Strikte Befolgung der gültigen Vorgaben der „Instructio Generalis“ selbst da, wo sie – wie etwa bei der mißlichen Übersetzung des „pro multis“ mit „for all“ nach dem Willen des Papstes demnächst zu ändern ist – war eines der hervorstechenden Kennzeichen der äußeren Abläufe.
Besonders der Verzicht auf den Einsatz von Laien als Kommunionhelfer hat bereits lautstarken Widerspruch von Kreisen geweckt, die in der Kommunionspendung durch Laien einen durch die Liturgiereform erkämpften Besitzstand sehen und unter deren Einfluss heute in amerikanischen Sonntagsmessen des öfteren ein Dutzend „Eucharistic Ministers“ ausschwärmen, um vielleicht hundert Gläubigen das allerheiligste Sakrament zu reichen.
Sowohl zu diesen Fragen der gottesdienstlichen Ordnung und kirchlichen Disziplin als auch hinsichtlich der musikalischen Gestaltung hat unmittelbar nach Abschluß dieses Gottesdienstes eine Diskussion eingesetzt, von der zu hoffen ist, daß sie zumindest dazu beiträgt, die Praxis des Novus Ordo in den USA näher an die Vorschriften heranzubringen. Das wäre ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu einer „Reform der Reform“
Auf der Webseite der amerikanischen Bischofskonferenz findet sich ein vollständiges Video-Archiv der öffentlichen Auftritte des Papstes bei seinem Besuch in den USA. Dort ist auch die ganze Messe im National Park Stadion abrufbar. Um den musikalisch niederschmetternden Eindruck dieser Messe nicht für sich stehen zu lassen, verweisen wir auf die Vesper in der Krypta des National-Shrine vom Vorabend, die ganz nach dem Herzen des hl. Vaters gestaltet war.