Motu Proprio: Summorum Pontificum

Hauptnavigation


Zusatzinfo

Wie verbindlich ist das Missale von 1962?

Confiteor oder nicht - 2. Teil

Antwort von „Rubricarius“ auf die Überlegungen von Fr. Sean Finegan

5. 11. 2009

Besten Dank für das Kompliment zu meinem Blog. Ich denke, ein Grund, warum dieses Thema Fr. Sean wichtig ist, besteht darin, daß die Rubriken von 1962 praktisch nirgendwo vollständig befolgt werden.

Über das Confiteor vor der Kommunionausteilung muß man nicht lange reden, das ist wohlbekannt. Aber wie steht es mit den Verneigungen vor dem Altarkreuz, die im 1962-er Missale nur noch für den Fall vorgeschrieben sind, wenn der Zelebrant mittig vor dem Altar steht, was ist mit der „mittleren Stimmlage“ beim Orate fratres und dem Nobis quoque peccatoribus, der Auslassung des Schlußevangeliums bei verschiedenen Gelegenheiten usw.

Bei den Zelebrationen der alten Form werden diese Veränderungen geradezu gewohnheitsmäßig missachtet, weil die Leute sie nicht mögen.

Als 1971 das „Agatha Christie-Indult“ herauskam, bestimmte es die Verwendung des Standes von 1967, aber das wurde vollständig ignoriert und man machte einfach mit dem weiter, was man schon immer gemacht hatte – aus heutiger Sicht würde man das wohl als den Ritus der Zeit vor Pius XII. bezeichnen. Der Vorsitzende der Latin Mass Society, der charmante und uns sehr fehlende Geoffrey Houghton-Brown, schrieb in einem Brief an „The Tablet“, das Indult sei ja schön und gut, aber der Gebrauch des alten Ritus sei ohnehin nach Gewohnheitsrecht zulässig, selbst wenn er seit den Veränderungen durch Pius XII. nicht verwandt worden sei.

Fr. Sean hat eine Reihe von Veränderungen im Lauf der Zeit aufgezählt, und ich stimme ihm zu: Der Römische Ritus war besser, bevor Pius XII. ihn veränderte, und er war besser, bevor Pius X. seine Veränderungen vornahm, als nachher. Die Varianten des alten römischen Ritus – sie waren im Grunde von den Gebräuchen der Pfarrkirchen in Rom abgeleitet – die sich dann später zu Ordens- oder Regionalriten wie dem Ritus von Sarum entwickelten, waren im allgemeinen der Liturgie am päpstlichen Hof überlegen. Das konnte auch kaum anders sein, man mußte vieles abkürzen, weil man noch anderes zu tun hatte.

Wenn man aus der Geschichte der Liturgiereformen Eines lernen kann, dann das, daß eine „Liturgie per Verordnung“ enorme Probleme verursacht. Ein viel zuu wenig beachtetes Beispiel dafür bietet das Russland des 17. Jh. Der sehr autoritäre Patriarch Nikon verfügte eine radikale Reform, weil er der Ansicht war, daß die Liturgie sich von den ursprünglichen Formen entfernt und verdorben worden sei. Sein Vorbild für die Ursprüngliche form war die zeitgenössische Griechische Praxis – von der wir heute wissen, daß sie sich seit der Zeit, als die Slaven erstmal die Liturgie von den Griechen erhielten erheblich weiter entwickelt hatte. In der Folge kam es zu Verbrennung von Altgläubigen und zu einem Schisma, das erst jetzt in der Gegenwart langsam wieder geheilt wird.

Fr. Sean läßt in seinem Artikel anklingen, daß es vor der Zentralisierung weitaus mehr Unterschidlichkeit auf der örtlichen Ebene gab. Ich denke, das war gut so, und ich denke nicht, daß sich Einheit in Uniformität ausdrücken muß.

Als Kompilator und Herausgeber eines Liturgischen Jahrbuchs kann ich sagen daß die Umsätze im Vergleich zu vor fünf Jahren enorm angestiegen sind. Eine kurze Suche nach Blogs zeigt, daß das Interesse an der Liturgie von vor 1962 nicht ab, sondern zunimmt.

Als Anhänger des verstorbenen Dom Aidan Kavanagh glaube ich fest an den Vorrang der liturgischen Theologie. Ich finde es interessant und einigermaßen betrüblich, daß zwar viele Leute die Bedeutung der Liturgie und damit auch der liturgischen Theologie sehen, dem dann aber doch gegenüber rechtlichen Problemen nur sekundäre Bedeutung zuerkennen. Wenn Rechtspositivismus die einzige Grundlage für die Zelebration der Liturgie aus der Zeit vor Paul VI. bildet, dann wird jeder künftige Rückschlag – und mit Rückschlägen müssen wir rechnen – zu einem Desaster.


Anmerkung

Im Prinzip neigen wir der Meinung von Fr. Finegan zu: Die Bücher von 1962 sind nach Summorum Pontificum die vorgeschriebene Grundlage für die Feier der hl. Messe im alten Ritus, und wenn wir die Priester, die sich nicht an die Rubriken des Novus Ordo halten, deswegen kritisieren, sollten wir die Rubriken von 1962 sehr ernst nehmen.

Aber auch nicht ernster. Ein Problem mit dem Ritus von 1962 ist, daß er praktisch niemals und in keiner Region der Kirche tatsächlich praktiziert wurde. Er hat keine lebendige Tradition. Das Missale Johannes des XXIII. wurde in einer Zeit dauernder Umbrüche erlassen, es wurde erstmals 1964 und dann tiefergehend 1965 und 1967 revidiert, bevor es 1970 ganz ersetzt wurde. Die meisten Priester - soweit sie nicht ohnehin modernistischen Irrungen folgten - blieben in vielem bei dem, was sie im Seminar gelernt hatten, und nahmen die Neuerungen nur zögernd und unvollständig in ihre Zelebrationspraxis auf. Da keine der Neuerungen umstürzend zu sein schien, wurde das allgemein akzeptiert.

Wer heute die Zelebration des alten Ritus bei einem alten Priester lernt, der in diesem Ritus ausgebildet wurde, bekommt so gut wie nie die „reine“ 62er Form vermittelt, sondern eine Mischung der Elemente zwischen 1955 und 1965.

Traditionell bildeten solche kleinen Abweichungen und regionalen Ausprägungen auch nie ein Problem. Die Kommission Ecclesia Dei hat z.B. die Weiterverwendung des 2. Confiteor in Gebieten, in denen diese Gewohnheit in den 60er Jahren bestand, nicht beanstandet. Solche Unterschiede sind nicht der Stoff, aus dem Glaubensspaltungen entstehen. Trotzdem erscheint es sinnvoll, überall da, wo es möglich ist und nicht auf ernstwiegende pastorale Bedenken stößt, die Papierform von 1962 zu praktizieren und damit dem Recht zu entsprechen. Wenn die Dinge sich etwas mehr stabilisiert haben, wird man darüber reden können, wo die alte Liturgie auch ihrerseits weiterentwickelt werden soll - und dabei wird man wohl stellenweise auch vor die pianischen Eingriffe der 50er Jahre zurückgehen.