Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Wenn Männer spitzenbesetzte Gewänder tragen

Katholische Identität besteht nicht in Äußerlichkeiten - aber sie besteht auch nicht ohne sie.

Der neue Zeremoniar des Papstes hat gleich mit seiner ersten Amtshandlung beträchtliches Aufsehen erregt - weltweit haben Freunde der traditionellen Liturgie wahrgenommen und kommentiert, daß nicht nur der Zeremoniar, sondern auch der Papst selbst Gewänder mit Spitzenbesatz trugen, daß „neue“ alte Leuchter in symmetrischer Aufstellung auf dem Altar standen und das Altarkreuz von der Seite des Altars auf dessen Mitte zurückgekehrt ist. Warum solche Äußerlichkeiten nicht nur Äußerlichkeiten sind, erwägen wir am Beispiel der äußerlichsten von allen: der Brüsseler Spitzen am Altar der Cathedra des Simon Petrus, Fischer vom See Genezareth.
Alle Bildausschnitte entnehmen wir Bildern, die Fotografia Felici am 5. November aufgenommen hat.

Kein Zweifel: Spitzen sind unzeitgemäß. Für die Damenwelt spielen sie bei den Dessous eine zwar wichtige, in der Regel jedoch nicht öffentliche Rolle, für Herren, die solche sein wollen, kommen sie nicht in Frage. Punkt.

Das war nicht immer so. Spitzenklöppelei wurde nicht nur ursprünglich von Männern betrieben, diese Technik hatte auch einen ausgesprochen praktischen Ausgangspunkt: Es ging darum, Stoffen eine haltbare Borte zu verschaffen, das Ausfransen zu verhindern bzw. die Fäden, in die jedes Tuch nun mal ausläuft, auf gefällige Weise zusammenzufassen. Ab dem 16. Jahrhundert - es begann die Zeit des Barock - wurden aus den Borten dann Spitzen, und die entwickelten, wie fast alles im Barock, ein Eigenleben mit einer bemerkenswerten Tendenz zum Wachsen und Wuchern.

Spitzen waren damals - und sind es als Handarbeit noch heute - sehr teuer. Kleidung mit Spitzenbesatz zu tragen war einerseits Zeichen für Macht und Reichtum des Trägers. Der Adel (und dazu gehörten damals auch große Teile des Klerus) war begeistert von dem neuen Statussymbol und ließ das Klöppel-Gewerbe in Brabant, im Erzgebirge und anderswo voll aufblühen. Zum Besuch bei einem Höhergestellten oder zum Empfang wichtiger Gäste prachtvolle Kleidung mit reichem Spitzenbesatz anzulegen war aber auch Zeichen der Wertschätzung, die man dem Besuchten oder den Besuchern entgegenbrachte.

Damit waren alle Voraussetzungen gegeben, die prächtigsten Spitzen auch für die Amtskleidung der Kleriker und für die gottesdienstlichen Gewänder zu verwenden - und nur dort hat sich ihre Verwendung bei Männern gehalten bis auf den heutigen Tag. Freilich nicht, ohne in dem Maß Stirnrunzeln und Unbehagen auszulösen, wie das Verständnis für die Funktion öffentlicher Prachtentfaltung schwand bzw. auf andere Gegenstände (z.B. auf Automobile mit sagenhaften Hubraum-Größen) übertragen wurde.

Bereits die liturgische Bewegung nach nach dem ersten Weltkrieg sah in den breiten Spitzenborten an Rochets und Alben Zeichen einer überholten Zeit, wenn nicht direkt der Dekadenz, und drang auf eine schlichtere Gestaltung der Gewänder. Dagegen war nichts zu sagen. Auch bei liturgischen Gewändern gibt es einen Zeitgeist und dadurch hervorgerufene Moden, und es ist nicht in jedem Fall sinnvoll, auf althergebrachten Äußerlichkeiten zu bestehen, wenn das mit der Gefahr verbunden ist, dadurch den Zugang zu dem, was wesentlich ist, zu verbauen. Und Spitzen sind nun wirklich nichts Wesentliches. Ein Rochet (Chorhemd) mit einfachem Abschluß kann genau so würdig getragen werden wie eines mit aufwendiger Spitze. In den Augen mancher Zeitgenossen vielleicht noch würdiger - diese Diskussion bleibt offen. Der Bildausschnitt oben zeigt zwei Kardinäle mit beiden Varianten einträchtig nebeneinander.

Aber da ist noch etwas anderes. Die Spitzen am Rochet - das sehen wir heute vielleicht deutlicher als vor 40 Jahren - waren nicht nur eine für sich stehende überholte Äußerlichkeit. Sie waren auch ein Teil - ein zugegebenermaßen kleiner - dessen, was man heute als die „Corporate Identity“ der katholischen Kirche bezeichnen würde. Einer Corporate Identity, die entsprechend dem ehrwürdigen Alter der Kirche viele Elemente enthielt, die aus den unterschiedlichsten Epochen stammen und dem historisch ahnungslos gewordenen modernen Blick als entbehrlich oder sogar „kontraproduktiv“ erscheinen mögen - eine schlimme Sünde im Zeitalter der Höchstproduktivität.

„Das ist wunderschön. Sicher sehr alt. Wir sollten es abschaffen“ fasste der anglikanische Beobachter Richard Major die aus dieser Einstellung hervorgehende Tendenz der Reformer der 60er Jahre zusammen. Und so wurden nicht nur entsprechend dem Aufruf von Papst Johannes XXIII. die Fenster der Kirche weit geöffnet, um frische Luft herein zu lassen. Man warf aus diesen aufgerissenen Fenstern auch gleich große Teile des Inventars heraus und freute sich an den wieder freigelegten schlichten bis kahlen Wänden.

Dabei wurde aber die „Corporate Identity“ der Kirche nicht nur beeinträchtigt - sie ging verloren bzw. wurde gegen eine andere ausgetauscht. Das spezifisch Katholische begann sich aufzulösen und näherte sich einem allgemein christlich-zeitgemäßen Erscheinungsbild. Viele Katholiken betrachteten diese Veränderung zwar mit Irritation, nahmen sie aber hin, weil sie ja doch nur „Äußerlichkeiten“ betraf. Und wer wollte sich schon als „Nostalgiker“ beschimpfen lassen.

Andere betrachteten den Vorgang mit Genugtuung und betrieben ihn weiter: das „allgemein-christliche“ ohne die katholischen Ecken und Kanten, erst ohne Spitzen an der Albe, dann ohne Heiligenbilder in den Gebäuden der Kirchen und schließlich ohne schwer glaubliche Dogmen am Gebäude der Lehre entsprach durchaus dem, was sie sich unter einer zeitgemäßen ökumenischen Religion vorstellten.

Was als äußerliche Veränderung und als Renovierung; der „Corporate Identity“ begonnen hatte, erfasste das Wesen der Sache selbst.

Die Spitzen an Rochet und Albe sind nicht das Wesen der Sache, und ihre Rückkehr bedeutet noch lange nicht die Wiedergewinnung einer vielfach verlorenen katholischen Identität. Und man kann auch für die Wiedergewinnung dieser Identität eintreten, wenn man zwar aufwendige Spitzen nach wie vor als unzeitgemäß betrachtet - aber zum Beispiel darauf besteht, daß zur hl. Messe ein allseits gut sichtbares Kruzifix auf den Altar gehört und nicht die Schwundstufe des „Liegekreuzes“, wie sie im Fachhandel für 19 € günstig zu haben ist.

Spitzen am Gewand, hohe Kerzenleuchter, in beschränktem Maße sogar das zentrale Altarkreuz selbst können als Äußerlichkeiten betrachtet werden - zur gültigen und sogar zur würdigen Feier der hl. Messe sind sie keinesfalls zwingend erforderlich. Aber ihre Abschaffung war für viele das äußere Zeichen dafür, daß sie den inneren Gehalt des Geschehens am Altar umdeuten wollten - und deshalb ist ihre demonstrative Wiedereinführung durch den neuen Zeremoniar ein weiteres unübersehbares Zeichen dafür, daß Papst Benedikt diese Umdeutungen nicht länger hinnehmen wird.

Der Herr schenke ihm Gesundheit und noch viele Jahre.