Der hl. Thomas über die Kreuzzeichen des Hochgebets
David Berger erläutert einige Aussagen des Kirchenlehrers zur hl. Liturgie
Dr. David Berger
Artikel 34 der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilum sagt: „Die Riten mögen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen und knapp, durchschaubar und frei von unnötigen Wiederholungen sein“72. Als in der Konzilsaula die berechtigte Frage aufkam, was denn unter solchen "unnötigen Wiederholungen" zu verstehen sei, wurden „einige Kreuzzeichen“ angegeben73. Im Blick hatten die Konzilsväter dabei mit Sicherheit v.a. die zahlreichen Kreuzzeichen, die im römischen Kanon vor und nach der Konsekration über Hostie und Kelch gemacht werden. Bereits Papst Innozenz III. fragte, wozu denn nach der Konsekration noch das Zeichen des Segens über die Opfergaben notwendig sei74.
Interessant ist in unserem Zusammenhang, daß auch Thomas die Frage der Kreuzzeichen aufgegriffen hat. In seiner Quaestion über den Ritus des Altarsakramentes macht er sich selbst und der consuetudo der Kirche - gemäß der Struktur der scholastischen quaestio 75 - den an Innozenz angelehnten Einwand:
„Was bei den Sakramenten der Kirche getan wird, darf nicht wiederholt werden. Es ist also unangebracht, daß der Priester die Kreuzzeichen über dieses Sakrament wiederholt“76.
Er antwortet auf diesen Einwand auf zweifache Weise:
- Zum einen begründet er die Konvenienz der zahlreichen Kreuzzeichen: sie alle bezeichnen die Vergegenwärtigung des Leidens und Opfertodes Jesu Christi und weisen so unaufhörlich auf das hin, was die hl. Messe ist: sakramentale Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi, mit dem sie substantiell identisch ist (IIIa q.83, a.l; In Hebr. 10 lect.l)77.
- In seiner direkten Reaktion auf den oben formulierten Einwand antwortet der Aquinate auf diesen, indem er - in der Tradition der allegorischen Messerklärung stehend - die Bedeutung der Kreuzzeichen erklärt:
Der Priester macht bei der Feier der Messe das Kreuzzeichen, um das Leiden Christi auszudrücken, das am Kreuze abgeschlossen wurde. Das Leiden Christi ist aber sozusagen stufenweise vor sich gegangen. Denn das erste war die Auslieferung Christi; sie geschah durch Gott, durch Judas und die Juden. Das bezeichnet das dreifache Kreuzzeichen bei den Worten: 'Diese Geschenke, diese Gaben, diese heiligen, unbefleckten Opfer'.
Das Zweite war der Verkauf Christi. Er wurde aber verkauft an die Priester, Schriftgelehrten und Pharisäer. Um dies zu bezeichnen, wird wieder ein dreifaches Kreuzzeichen gemacht bei den Worten: 'gesegnet, eingeschrieben, gültig.' - Oder um den Kaufpreis, nämlich die dreißig Silberlinge, zu bezeichnen. - Hinzugefügt wird aber noch ein doppeltes Kreuzzeichen bei den Worten 'Damit uns Leib und Blut usw.', um die Person des verkaufenden Judas und des verkauften Christus zu bezeichnen.
Das Dritte aber war die Vorausbezeichnung des Leidens Christi, die beim Abendmahl geschah. Um dies zu bezeichnen, werden an dritter Stelle zwei Kreuze gemacht, das eine bei der Konsekration des Leibes, das andere bei der Konsekration des Blutes, wo beide Male gesagt wird: 'Er segnete.'
Das Vierte war das Leiden Christi selber. Daher wird, um die fünf Wunden zu vergegenwärtigen, an vierter Stelle ein fünffaches Kreuzzeichen gemacht bei den Worten: 'Ein reines Opfer, ein heiliges Opfer, ein unbeflecktes Opfer, das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des ewigen Heiles.'
Als Fünftes wird das Ausstrecken des Leibes und das Vergießen des Blutes und die Frucht des Leidens vergegenwärtigt durch das dreifache Kreuzzeichen, das bei den Worten gemacht wird: 'Den Leib und das Blut empfangen, mit allem Segen usw.'.
Als Sechstes wird das dreifache Gebet vergegenwärtigt, das Christus am Kreuze verrichtet hat: eines für die Verfolger, als Er sprach: 'Vater verzeihe ihnen', das zweite, um Befreiung vom Tode, als Er sprach: 'Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?', das dritte betrifft die Erlangung der Herrlichkeit, als Er sprach: 'Vater, in Deine Hände empfehle ich Meinen Geist.' Und um dies zu bezeichnen, wird ein dreifaches Kreuzzeichen gemacht bei den Worten : 'Du heiligst, belebst, segnest usw.'
Als Siebtes werden die drei Stunden vergegenwärtigt, während welcher Er am Kreuze hing, nämlich von der sechsten bis zur neunten Stunde. Um dies zu bezeichnen, wird wieder ein dreifaches Kreuzzeichen gemacht bei den Worten: 'Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm'. Als Achtes aber wird die Trennung der Seele vom Leibe vergegenwärtigt, durch die zwei darauffolgenden, außerhalb des Kelches gemachten Kreuze.
Als Neuntes endlich wird die am dritten Tage erfolgte Auferstehung vergegenwärtigt durch die drei Kreuze, welche bei jenem Worte gemacht werden: 'Der Friede des Herrn sei immer mit euch.'
Man kann aber auch kürzer sagen, daß die Weihe dieses Sakramentes und die Annahme des Opfers und seine Frucht aus der Kraft des Kreuzes Christi hervorgehen. Und darum macht der Priester, wo immer eines davon erwähnt wird, das Kreuzzeichen" (IIIa q. 83 a. 5 ad 3).
Quelle unseres Zitates
Weil also die substantielle Identität von Kreuzes- und Meßopfer die Mitte der Liturgie ausmacht, so weisen diese Kreuzeichen immer wieder auf diese Mitte hin. Wie keine der Handlungen Jesu, der mysteria vitae Christi nebensächlich war78, so kann keine der Zeremonien der Liturgie, die alle auf ein Geheimnis aus dem Leben Jesu hindeuten, als überflüssig gelten.
Thomas greift hier - wie bereits erwähnt - auf die Methode der allegorischen Meßerklärung zurück.
Dabei ist anzunehmen, daß Thomas diese Tradition nicht einfach unkritisch, sondern ganz bewußt übernimmt. Denn diese Art die Messe zu erklären, war schon seit ihrer Entstehungszeit im 9. Jahrhundert heftig umstritten. Auch der Kölner Lehrer des hl. Thomas, Albert der Große (+1280), distanziert sich in seinem Opus de sacrificio missae79 explizit von ihr.80
Was bedeutet dies im Hinblick auf unsere heutige Situation? Zu dieser Methode der allegorischen Meßerklärung bemerkt Martin Mosebach treffend: "Ich finde diese Art der Deutung vorbildlich. Sie stellt den sichersten Weg dar, einen Ritus ganz mit Gebet zu erfüllen und Form und Inhalt eins werden zu lassen". Und er rückt diese Aussage noch in einen größeren religionsgeschichtlichen Zusammenhang: „Die chassidischen Juden, diese Zeugen der letzten mystischen Bewegung Europas, haben die Überzeugung ausgesprochen, jedes Wort in ihren heiligen Büchern sei ein Engel. So möchte ich die Rubriken des Missale betrachten lernen: jede Vorschrift des Messbuches als einen Engel sehen. Eine liturgische Handlung, deren Engel ich erkannt habe, wird nie wieder in Gefahr sein, mir als unbeseelt, formalistisch, bloß historisch, durch die Zeiten bis hin zur völligen Sinnlosigkeit mitgeschleppt, zu erscheinen.“81
Wer mit dem heiligen Thomas zu begreifen beginnt, welche der Zeitlichkeit entrissenen Mysterien die Zeremonien der Liturgie zum Ausdruck bringen und durch ihre Wiederholung in ihrer Wichtigkeit unterstreichen, auch der wird fähig sein, den Ritus ganz mit Gebet zu erfüllen, der wird sich schwerlich dazu bereitfinden, im integralen Gebilde der Liturgie das auszureißen, was keine direkte Korrelativität mit dem gerade aktuellen Zeitgeist besitzt.
71 Vgl. Alfred LORENZER, Das Konzil der Buchhalter, Frankfurt/Main 1984, 180-193; 186 bezieht sich Lorenzer explizit auf das im folgenden anzusprechende Beispiel.
72 Ritus nobili simplicitate fulgeant, sint brevitate perspicui et repetitiones inutiles evitent...
73 Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II., vol.II, pars II, Città del Vaticano 1972, 300. Selbst Georg MAY (Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Hansjakob Becker [Hg.], Gottesdienst - Kirche - Gesellschaft, St.Ottilien 1991, 81) betrachtet dieses Beispiel als „harmlos“.
74 De sacro altaris mysterio V, 14 (MPI, 217, 887-888).
75 Vgl. PESCH, Thomas von Aquin, 88-93.
76 IIIa q.83 a.5: Praeterea, ea quae in sacramentis Ecclesiae aguntur, non sunt iteranda. Inconvenienter igitur sacerdos multoties iterat crucesignationes super hoc sacramentum.
77 Vgl. Bernard LUCIEN, Das Opfer nach der "Summa Theologiae" des heiligen Thomas von Aquin, in: CIEL (Hg.), Altar und Opfer, Poissy 1997, 34-67.
78 Vgl. Richard SCHENK, "Omnis Christi actio nostra est instructio". The Deeds and Sayings of Jesus as Revelation in the View of Aquinas, in: StTom 37 (1990) 104-131.
79 Vivès 1890, 38, 1-165.
80 Vgl. die freilich subjektiv gefärbten Bemerkungen von: Joseph A. JUNGMANN, Missarum Sollemnia,1, Wien 1949, 143-145.
81 Martin MOSEBACH, Was die klassische römische Liturgie für das Gebet bedeutet, in: PMT 9 (1995) 12-13.
82 Op. cit., 33.
Wir zitieren hier geringfügig gekürzt das 4. Kapitel „Die Kreuzzeichen im Kanon der hl. Messe: 'Unnötige Wiederholungen'?“ aus:
David Berger: Thomas von Aquin und die Liturgie, Editiones Thomisticae, Köln 2000, S. 40 - 47.