Zwischen den Jahren
Vorschau auf das Jahr 2009
28.12. 2008
Neben der Rückschau auf das zu Ende gehende Jahr 2008 haben wir auch vorausgeschaut auf das kommende Jahr 2009. Dabei haben wir festgestellt, daß das kommende Jahr uns zu einer ganz besonderen Art der Rückschau auffordert: 2009 jähren sich die entscheidenden Daten der Liturgiereform zum 40. Male. Wenn man dieses grundstürzende Ereignis überhaupt auf ein Jahr hin datieren kann, dann ist das 1969. Wir werden die nun auf uns zu kommenden Jahrestage zum Anlass nehmen, den Verlauf und die Motive dieser besipiellosen Entwicklung näher zu betrachten.
Warum 1969
Zunächst zur Datierung. Anibale Bugnini nimmt für die Liturgiereform die Jahre von 1948 bis 1975 in Anspruch – das war genau die Zeit von seiner Ernennung zum Sekretär der von Papst Pius XII. eingesetzten Kommission zur Generalreform der Liturgie bis zu seinem unrühmlichen Abgang: Am 4. Januar 1976 ernannte Paul II. den bisher nahezu allmächtigen Kurialen zum Nuntius in Teheran und entfernte ihn somit auf geradezu klassische Weise von allen Hebeln der Macht.
Weniger ausgreifend als Bugnini spricht Emil J. Leggeling von den „Teilreformen von 1964 bis 1969“, die dann schließlich mit der Auslieferung des neuen Missales 1970 ihren krönenden Abschluß fanden. Tatsächlich wird offiziellerseits auch gerne das Datum 1970 betont, sei es wegen der Attraktivität der runden Zahl, sei es, um die wenig glücklichen Umstände vergessen zu machen, die den Start von 1969 belasteten.
Papst Paul VI. hatte den neuen Ordo Missae und die davor gestellte Institutio Generalis zwar bereits am 6. November 1968 approbiert (L40u), verzögerte die offizielle Bekanntgabe jedoch wegen diverser Widersprüche bis ins Frühjahr 1969. Nach der Promulgation des neuen Kalenders am 14. Febr. Durch das MP „Mysterii Paschalis (L69 u) sowie der offiziellen Veröffentlichung am 3. (Konstitution „Missale Romanum“, sah Einführung zum 30. Nov. vor) ) bzw. 6. April 1969 (L42 o) verstärkten sich dann die Widersprüche bis hin zu der sogenannten Ottaviani-Intervention vom Sommer 69, die den Papst dazu veranlasste, eine erneute Durchsicht der Texte und einige Änderungen in der Institutio zu verlangen. Dadurch verzögerten sich der Druck und die Auslieferung der Editio Typica bis ins Frühjahr 1970 – was aber z.B. die deutsche Bischofskonferenz nicht daran hinderte, im Sommer/Herbst 1969 zu beschließen, daß der neue Messordo bereits vom Advent 1969 verwandt werden könne (L59 m). Von der eigentlich vorgesehenen verpflichtenden Einführung zu diesem Termin wurde abgesehen, da in Rom noch keine endgültige Version vorlag (L61 o); sie wurde dann auf den 1. Adventssonntag 1970 festgesetzt.
Von der Approbation im November 1968 bis zur Auslieferung der gedruckten Missale (sie wurden jetzt als „Altarmessbücher“ bezeichnet, weil sie wegen der Auslagerung des Lektionars nicht mehr die Grundstruktur des alten Missale hatten) am 10. Juni 1970 vergingen also 20 Monate. Der neue Ordo wurde demnach 1969 fertiggestellt, erlassen und an einigen Orten bereits eingeführt, die allgemeine Einführung sollte im Jahr 1970 erfolgen und auch abgeschlossen werden. Dabei ging man generell davon aus, daß das neue Missale das vorhergehende ablösen solle und alle Messfeiern bis auf wenige Ausnahmen z.B. für sehr alte und behinderte Priester nach der neuen Form stattfinden müßten.
Wir werden versuchen, diesen Ablauf zu den jeweiligen Terminen im kommenden Jahr nachzuzeichnen und die den einzelnen Stufen entsprechenden Dokumente vorzustellen. Das ist kein kleines Vorhaben, weil damals fast im Wochentakt Mitteilungen, Erlasse und Gesetzesakte ergingen, die die liturgische Praxis der vorhergehenden 1000 Jahre vielfach völlig umstürzten. Natürlich wollen wir bei der Vorstellung dieser Dokumente die Möglichkeit nutzen, das, was wir heute besser wissen können, mit einzubringen. Dann wollen wir aber auch versuchen, tiefer in die Geschichte der Liturgiereformen des 20. Jahrhunderts und der liturgischen Bewegung zurückzuschauen, um besser zu verstehen, was die damaligen Akteure zu ihrem uns heute oft nur noch befremdlich erscheinenden Handeln veranlasste.
Unsere Vorgehensweise
Daß unsere Rückschau sehr kritisch ausfallen wird, läßt sich jetzt schon absehen. Wir wollen dabei jedoch jede personalisierende Zuspitzung vermeiden und uns insbesondere von allen Verschwörungstheorien fernhalten. Um die Abläufe der Jahre 1950 – 1970 zu verstehen, braucht man keinen Freimaurer-Agenten in der Kurie und auch keine Kryptoprotestanten zu bemühen. Es reicht völlig, den allgemeinen Zeitströmungen nachzugehen und zu beobachten, durch welche Schwachstellen in der damaligen Glaubenspraxis sie innerhalb der Kirche wirksam werden konnten. Die Liturgiereform (und andere Reformen) waren Ausdruck des Bestrebens, die Kirche Jesu Christi besser, als das damals der Fall war, den veränderten Erfordernissen der Zeit gerecht werden zu lassen.
In diesem Bestreben ist die Liturgiereform – wie die meisten Reformen dieser Jahre auch – allerdings grandios gescheitert. Sie hat keines ihrer Ziele erreicht; die Beteiligung der Getauften am Leben der Kirche ist geringer als je zuvor, der Anteil der Getauften an der Gesellschaft nimmt ab, das Wissen um die Lehre der Kirche und die Übereinstimmung mit dieser Lehre sind auch bei denen, die aktive Mitglieder der Kirche sein wollen, so schwach wie nie zuvor.
Wir halten es nicht für sinnvoll, die unbeweisbare Behauptung aufzustellen, die mißglückte Liturgiereform sei die Ursache für den Glaubensverfall, am handgreiflichsten dokumentiert im Rückgang der Gottesdienstteilnehmer und der Empfänger des Sakraments der Beichte. Für ebenso unsinnig halten wir freilich die ebenso unbeweisbare Behauptung, ohne diese „Reformen“ wäre der Verfall noch viel schlimmer gewesen. Abgesehen davon, daß ein viel schlimmerer Verlauf kaum vorstellbar ist, halten wir uns einfach an die Tatsachen, und die besagen: Als nach dem 1. Weltkrieg die bis dahin bekannte Welt aus den Fugen ging, entwickelte sich auch in der Kirche ein zunächst an der liturgischen Frage auskristallisierendes Bewußtsein, die Kirche müsse sich insbesondere in ihren Ausdrucksformen tiefgehend reformieren, um mit den Veränderungen Schritt zu halten. Diese tiefgehenden Veränderungen wurden zunächst punktuell erprobt und gesamtkirchlich dann nach dem 2. Weltkrieg eingeleitet und schließlich auch durchgeführt.
Insbesondere auf dem Gebiet der Liturgie haben diese Reformen fast nichts bewirkt, um die Kirche wieder näher an das Leben in der Gesellschaft (oder die Menschen wieder näher an die Kirche) heranzuführen. Stattdessen haben die veränderten Ausdrucksformen in Liturgie und Disziplin es erleichtert, daß auch die inhaltliche Substanz der Lehre in den anscheinend unaufhaltbaren Säkularisierungssog hineingeraten ist. Auch der von den Zeitgenossen so empfundene große Aufbruch des Konzils konnte daran nichts ändern oder aufhalten. Aus heutiger Sicht ist das in aller Deutlichkeit erkennbar. Wir nehemen uns die Freiheit, die „Reformen“, die im Jahr 1969 ihr entscheidendes Stadium erreichten, aus dieser Perspektive zu betrachten.