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Und keiner liebt Lateran V.

Bild: Wikimedia Commons, gemeinfreiDas Bekenntnis zur Annahme „DES KONZILS“ seitens der Modernisten bzw. „DER KONZILIEN“ (seitens der Traditionalisten) ist in den vergangenen Jahrzehnten, ganz besonders aber unter dem gegenwärtigen Pontifikat, zu einer rituellen Übung verkommen. Eine Bekräftigungsformel für die einen, die damit ihre Gleichstimmung mit dem fabrizierten „Konzilsgeist“ zum Ausdruck bringen – und dessen Anerkennung von allen anderen einfordern. Eine reservatio mentalis für die anderen, die damit unter Berufung auf die Gesamtheit aller Konzilien dem Absolutheitsanspruch entkommen wollen, den die Modernisten ihrem Konzilsgeist verleihen – ohne damit in direkten Widerspruch zu „DEM KONZIL“ zu geraten. So gesehen also auch eine captatio benevolontiae – aber nicht aus dem Munde des sich überlegen wissenden Rhetors, der seine Zuhöre auf seine geistigen Höhenflüge mitnehmen will, sondern eher in der Demutshaltung des Angeklagten, der sich mit Vorwürfen konfrontiert sieht, die ihm das Genick brechen könnten.

Beide Haltungen verraten ein beträchtliches Maß an Unkenntnis über das, was Konzilien in der Geschichte der Kirche bewirkt und bedeutet haben. Gregory die Pippo lenkt dazu auf New Liturgical Movement die Aufmerksamkeit auf die Konzilien von Konstanz (1414-1418) und das V. Lateranische Konzil (1512-1517), die beide in Fragen größter Bedeutung schwerwiegende Irrtümer verkündeten oder beschlossen und beide denn auch später korrigiert wurden. Die Liste irriger oder gescheiterter Konzile ließe sich noch erweitern.

Der große Irrtum des Konzils von Konstanz war die Übernahme und administrative Umsetzung der Lehre des Konziliarismus, die für bestimmte Situation den Papst förmlich der Autorität einer rechtmäßig zusammengetretenen Kirchenversammlung unterstellen wollte. Dieses Bestreben war unter den Umständen des großen abendländischen Schismas zwar nachvollziehbar, ließ sich aber nicht mit der in der Tradition und der heiligen Schrift begründeten Stellung des Petrusamtes vereinbaren, die dieses Amt jeder Unterordnung unter eine vermeintlich übergeordnete geistige oder weltliche Autorität enthebt. Der Fehler von Konstanz wurde denn auch auf dem V. Lateranischen Konzil mit der Verurteilung des Konziliarismus in aller Form korrigiert.<permalink>

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Das bewahrte die Väter des Konzils jedoch nicht davor, in einer anderen Frage in Irrtümer zu verfallen, die langfristig gesehen noch viel gravierendere Auswirkungen hatten als die von der Geschichte relativ schnell gegenstandslos gemachte Lehre vom Konziliarismus. Das V. Lateranische Konzil war von dem weitsichtigen Papst Julius II. (1503 – 1513) vor allem einberufen worden, um Antworten auf die seit gut hundert Jahren in Europa aktiven Reformbewegungen zu finden, die mit Luthers Auftreten neue Durchschlagskraft entwickelt hatten. Der „Konzilspapst“ Leo X. Medici, der die Aktivitäten Luthers als „Mönchsgezänk in Deutschland“ unterschätzte, war jedoch ebenso wie die im Lateran versammelten Väter nicht fähig, die Situation in ihrer geistigen Tiefe und ihrem Zerstörungspotential zu erkennen. Als Ursache aller Probleme identifizierten sie die materielle Korruption des damaligen Kirchenpersonals und da vor allem die Mißstände des Benefizienwesens. Wer will, mag darin eine gewisse Parallele zu der aktuellen Mode sehen, alle Mißstände in der Kirche aus dem Päderasten-Unwesen abzuleiten und von daher revolutionäre Strukturveränderungen einzuklagen. 

Das aus dem Mittelalter überkommene Benefizienwesen hatte dazu geführt, daß die Masse des Klerus arm und unzureichend ausgebildet war, während die reichlich ausgestatteten Bischofsstühle und Abtssitze von Söhnen des Adels okkupiert waren, die ebenfalls vielfach theologisch ungebildet waren und keinerlei Interesse an der Seelsorge hatten. Das System verleitete die Kirche zum Verharren in feudalen und vor-geldwirtschaftlichen Strukturen und war für die beginnende Neuzeit nicht mehr tragfähig. In der Erkenntnis dieses Mißstandes war das Konzil durchaus auf der Höhe der Zeit – im Versuch zur Abhilfe versagte es kläglich. Es erließ halbherzige, widersprüchliche und letztlich auf Konservierung der bestehenden Verhältnisse gerichtete Edikte, die keines der angeblich gewollten Ziele erreichen konnten. Die während und nach dem Konzil ausgebrochenen Bürgerkriege in Deutschland (Stichwort Bauernkrieg) und Italien (Frankreich gegen Habsburg) hatten zwar wenig mit dem Konzil, aber doch einiges mit der Reformation und der Unfähigkeit der Kirche zur Bewältigung ihrer Ursachen zu tun. Sie machten die meisten Konzilsdokumente innerhalb weniger Jahrzehnte zu Makulatur.

Die wahre Antwort auf die Nöte der Zeit fanden die heiligen (und manchmal auch nicht so heiligen) Vordenker und Propagisten der Gegenreformation. Sie hätten vermutlich jeden Erzprälaten und Fürstbischof dem Spott preisgegeben, der sie auf die Unantastberkeit der Beschlüsse „DES KONZILS“ (im Lateran) hätte verpflichten und die Unhinterfragbarkeit von dessen Dokumenten zum Rang eines Dogmas erheben wollen. Knapp vierzig Jahre nach dem gescheiterten Laterankonzil berief unter ihrem Einfluß der zwar keinesfalls tadellose, aber aufrichtig um Reformen bemühte Paul III. das Konzil von Trient ein, das die Schwächen und Fehler von Lateran V. kraftvoll korrigierte und Reformen einleitete, die die Kirche auf Jahrhunderte prägten und trugen.

Es versteht sich von selbst, daß auch die Beschlüsse und Richtlinien dieses Konzils, soweit sie sich auf eher weltliche Dinge bezogen, nicht für die Ewigkeit bestimmt sein konnten. Seine Aussagen zur Lehre, die jede Neuerung vermieden und sich darauf beschränkten, das Überlieferte zu sichern und vorsichtig zu entfalten, sind jedoch heute noch so eindeutig und so verbindlich wie bei ihrer feierlich mit dem Anathema bewehrten Verkündigung. Nicht nur daran müssen alle Versuche von Modernisten scheitern, insbesondere das Zweite Vatikanum als Korrektur der Lehren von Trient darzustellen, mit denen neue Lehrinhalte verkündet worden wären. Tatsächlich hat der „Konzilspapst“ Paul VI. mehrfach in Beratungen und Dokumente des Konzils (und später auch des Consiliums zur Liturgiereform) eingegriffen, um darauf gerichtete Ansätze abzuwehren.

Wirklich erfolgreich war er damit (zuletzt wegen eigener Zwiespältigkeiten) nicht. In vielen zentralen Fragen verkündet ein häretisierender „Konzilsgeist“ heute aus dem Munde von Bischöfen und Theologen genau das Gegenteil dessen, was Dokumente des Konzils (zumindest an einigen Stellen) aussagen. Angesichts des am desolaten Zustsand der Kirche unwiderleglich ablesbaren Scheiterns von Vatikan II, das durchaus mit dem historischen Versagen von Lateran V vergleichbar ist, führt also an einer kritischen Bestandsaufnahme, Klarstellung und erforderlichenfalls auch Korrektur des bislang letzten Konzils kein Weg vorbei. Das trotzige Bestehen auf der angeblich unverzichtbaren „Anerkennnung DES KONZILS“ kann die Krise nur weiter in die Länge ziehen. Allerdings erscheint unter den Bedingungen der säkularisierten Mediengesellschaft der im 17. Jahrhundert mit Trient so erfolgreich beschrittene Weg eines Reform- (und „Korrektur“-) Konzils nicht mehr gangbar.

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