Aber Rom schweigt
- Details
- 17. Juni 2021
Zu der erwarteten „Neuinterpretation“ von Summorum Pontificum gibt es derzeit weder neue Informationen noch neue Gerüchte. Auch die Kommentierung (zusammengefasst verlinkt bei New Liturgical Movement) hat inzwischen wohl alle wesentlichen Gesichtspunkte und Einschätzungen vorgetragen. Gelegenheit also, gedanklich einen Schritt zurückzutreten und das Thema im größeren Zusammenhang zu betrachten. Ausgangspunkt dabei muß natürlich sein, daß wir es bisher nur mit Gerüchten zu tun haben – es kann auch ganz anders kommen, oder vielleicht auch gar nicht. Daß es sich bei alledem nur um einen Testballon oder eine „false flag operation“ handelt, wie sie von Fr. Zuhlsdorf (z.B. hier) ins Gespräch gebracht werden, halten wir für eher unwahrscheinlich.
Da ist es schon wahrscheinlicher, daß die seit Jahren andauernde Lobby-Arbeit der Gegner des Alten Ritus in Sant'Anselmo um Andrea Grillo schließlich gefruchtet hat und die Gottesdienstkongregation, vielleicht gemeinsam mit der Ordenskongregation, beim Papst den Auftrag zum Entwurf eines entsprechenden Dokumentes erwirkt hat. Beide Kongregationen achten mit Argusaugen darauf, daß die überlieferte Liturgie eine „Randerscheinung“ bleibt, und als die erst unter Papst Johannes Paul II gegründeten Franziskaner der Immakulata von der so vorgegebenen „Parteilinie“ abwichen und sich der überlieferten Liturgie (genauer gesagt war es eine Art Biritualismus) zuwandten, hatten sie keine Skrupel, diese schnell wachsende und in der Pastoral überaus erfolgreiche Gemeinschaft zu zerschlagen. Keinesfalls durfte sich hier ein häßlicher Präzedenzfall entwickeln. Eines der wenigen Dogmen, die niemand in der Kirche des 21. Jahrhunderts ungestraft leugnen darf, ist, daß es in der Liturgie keinen Weg zurück in die Zeit vor dem Konzil geben kann. Auch nicht als „Reform der Reform“ oder „gegenseitige Befruchtung“. Wie es Erich Honecker einige Jahre vor seinem Sturz so schön formulierte: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“.
Schon im Fall der Franziskaner der Immakulata war nicht nur die partielle Übernahme der überlieferten Liturgie durch die Bruderschaft Motiv für die scharfe Reaktion der Konzils-Wächter. Vielleicht noch mehr Anstoß erregte die Hinwendung beider Zweige des Ordens – die Schwestern nämlich ebenso – zur unverfälschten Lehre und Spiritualität der Tradition. Mehr noch als in der Liturgie, die von vielen Modernisten als etwas Zweitrangiges oder Äußerliches betrachtet wird, fürchtet der Modernismus die Tradition in der Spiritualität, in der Ekklesiologie und im Priesterbild (das freilich in der Liturgie seinen deutlichsten Ausdruck findet). Wie tief diese Abneigung geht – und wie stark die Kräfte sind, die sich darin einig sind – wurde im Jahr 2009 sichtbar, für das der damalige Papst Benedikt ein „Jahr des Priesters“ ausgerufen hatte. Als Beginn dieses Jahres hatte Benedikt die 150. Wiederkehr des irdischen Todestages und himmlischen „dies natalis“ des Pfarrers von Ars Jean Marie Vianney ausgewählt, und sein Schreiben zur Eröffnung des Priesterjahres kreiste ganz um das Lob und das Vorbild dieses in jeder Hinsicht „traditionellen“ Priesters. Damit stieß Benedikt in der Kurie und wohl auch im größeren Teil der Priesterschaft auf derartige Ablehnung, daß es ihm nicht möglich war, die geplante offizielle Ernennung des Heiligen zum Patron des Priesterjahres zu verkünden. Als die Franziskaner d. I. (FFI) sich in eine ähnliche Richtung zu entwickeln begannen, war ihre Vernichtung beschlossene Sache.
Der Umweg über die FFI und den verhinderten Patron des Priesterjahres führt zurück zu der auch von einigen Kommentatoren (z.B. Eric Sammons, teilübersetzt hier) angesprochenen Vermutung, daß die „Neuinterpretation“ von Summorum Pontificum vielleicht weniger darauf abzielt, den Zugang der Gläubigen zur überlieferten Liturgie einzuschränken, als darauf, die Bildung von Gemeinden und (Priester-)Gemeinschaften mit dezidiert traditioneller Orientierung in Lehre, Frömmigkeit und Spiritualität überhaupt zu verhindern. Während Papst Benedikt darauf bestehen wollte – und Kardinal Müller hat es jetzt noch einmal wiederholt – daß die auf das Konzil zurückgehende „neue Ordnung“ der Liturgie und die „neuen Formen der Verkündigung“ kein Abrücken von, keinen Bruch mit den überlieferten und wesensgemäß unwandelbaren Inhalten der Glaubenslehre und -praxis bedeuten, wissen die „harten“ Modernisten sehr wohl, daß sie ihre Ziele nur mit tiefgreifenden Brüchen (Bätzing: „Systemveränderungen“ sind unabdingbar) auf allen Gebieten erreichen können. In der Liturgie ebenso wie in der offiziellen Theologie und in der privaten Frömmigkeit und der gesamten „Weltanschauung“ bei den Gläubigen. Daher können sie die von Summorum Pontificum behauptete Gleichwertigkeit, ja Inhaltsidentität der vor- und der nachkonziliaren Liturgie nicht akzeptieren.
Die Modernisten wissen sehr wohl um den von Prosper von Aquitanien ausgesprochenen Zusammenhang „Lex credendi – lex orandi“ - und sie sehen ja auch in der faktischen Entwicklung der Kirche seit ihrem Sieg in der Interpretation der Konzilsdokumente, daß die Liturgie des Novus Ordo trotz ihrer prinzipiellen Gültigkeit den von ihnen gewollten Veränderungen und Brüchen wenig entgegen zu setzen hat. Dagegen entwickeln sich die Gemeinden und Gemeinschaften der überlieferten Form vielerorts nachgerade zu „Widerstandsnestern“ gegen die große Transformation der Kirche zu einem gesellschaftlich hoch geachteten Weltverbesserungsverein mit einflußreichen, geachteten und lukrativen Positionen – und gänzlich ohne schwer vermittelbare oder gar abschreckende transzendentalen Bezüge. Von diesem Befund her ist es nur logisch, diese Widerstandsnester zu beseitigen, bevor sie den Beweis erbringen können, daß der Modernismus nicht alternativlos ist, weil auch und gerade die traditionelle Lehre und Liturgie der Kirche große Anziehungskraft auf den „modernen Menschen“ entwickeln und diesem – so wie zahllosen Menschen früherer Epochen – Weg zum Heil sein kann.
Bevorzugtes Werkzeug zur Abräumung dieser Widerstandsnester ist die in den vergangenen Jahrzehnten stillschweigend erfolgte Dogmatisierung der modernistischen Interpretation DES KONZILS. Was in den Texten des Konzils steht oder nicht steht, ist zwar wegen der zahllosen Kompromißformulierungen und teilweise absichtsvoll eingebauter Zweideutigkeiten in vielen Fällen gar nicht so leicht zu bestimmen und daher seit Jahrzehnten umstritten. Schon alleine deshalb sind die Texte über weite Strecken als Aussagen des Lehramtes ungeeignet. Für den Modernismus an der Macht ist das freilich kein Problem: Er bestimmt freihändig, was die Texte bedeuten, und wer sich dem nicht fügt, hat in seiner Kirche keinen Platz.
Als Beweis für die Anerkennung DES KONZILS nach ihrem Verständnis verlangen die Machthaber inzwischen weitaus mehr als die Anerkennung der Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der nach dem neuen Ordo zelebrierten Messe und Sakramente. Sie bestehen darauf, daß auch der von ihnen durchgesetzte entsakralisierte und profane Stil in Liturgie und Pastoral für alle verbindlich sein soll, und haben dazu eine äußerst widersprüchliche Argumentation entwickelt: Auf der einen Seite behaupten sie, daß diese Liturgie in Inhalt und geistigem Gehalt ganz und gar mit der „alten“ übereinstimme – um im gleichen Atemzug zu behaupten, der durch „Entwicklung in lebendiger Tradition“ gewonnene neue Ritus sei vom Alten so unendlich weit entfernt, daß dessen weitere Feier und Beibehaltung überaus schädlich wäre und unterbunden werden müsse, um Spaltung zu verhindern. Nur der „ritus modernus“ könne den Weg der Kirche in die Zukunft sichern.
Das ist nicht nur logisch ein Narrenstück, es steht auch im schreienden Widerspruch zu allen empirischen Befunden: Priester und Gottesdienstbesucher in den Novus Ordo-Gemeinden sind überaltert – in wenigen Jahren wird man ihre Zahl gegenüber der Zeit vor DEM KONZIL nur noch in Promille angeben können. Selbst die am Fortbestand der Institution und des Arbeitgebers Kirche interessierten Beschäftigen und Funktionäre sind nur noch zum kleineren Teil dazu zu bewegen, an den Sonntagsgottesdiensten teilzunehmen. Priesterseminare und Klöster sind ausgetrocknet und ausgestorben – es wächst nichts nach. Die Zahl der Priester betrug in Deutschland 1965 etwa 28 000, es gab in diesem Jahr etwa 500 Neuweihen. Die Anzahl der Priester hat sich bereits bis 2009 fast halbiert, und in den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der Priester in Deutschland noch einmal jährlich um ca. 230 verringert – die jährlichen Neuweihen liegen bei 60 – 70. Ein Bankrott auf Raten.
Es ist unbelegbar und wohl auch unsinnig, diesen Rückgang alleine auf DAS KONZIL oder die Einführung der neuen Liturgie zurückzuführen. Erste Anzeichen des Verfalls waren bereits in der Jahrhundertmitte unübersehbar geworden. Aber jeder, der heute noch im Zusammenhang mit DEM KONZIL von 1965 vom „neuen Frühling“ spricht oder die Überlegenheit der Paulinischen Liturgie gegenüber der überlieferten Form preist, muß sich Zweifel entweder an seiner Ehrlichkeit oder an seiner Intelligenz gefallen lassen. Daß die nachkonziliare Liturgiereform gescheitert ist, kann als empirisch belegt gelten. Der Versuch, sie durch administrative Maßnahmen dennoch als alleinige Norm durchzusetzen, muß die Kirche in schwerste Auseinandersetzung führen.
Der von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt gewollte und ausgerufene „liturgische Frieden“ zwischen Reformern und Traditionalisten beruhte also letztlich auf zwei von beiden Seiten hochgehaltenen Fiktionen: Die als Reformer getarnten Modernisten – nicht alle, bekanntlich – schworen jedem, der es hören wollte, hoch und heilig, daß sie keinen Bruch wollten, sondern an dem festhielten, was „immer und von allen“ geglaubt wurde – nur ein wenig „verheutigt“, wegen der Pastoral. Und die Traditionalisten – nicht alle, bekanntlich – schworen ebenso feierlich, daß sie DAS KONZIL und dessen Erstlingsfrucht, die Liturgiereform, anerkennten, irgendwie oder so. Diese Fiktionen sind nicht länger haltbar, und von daher ist auch die Grundlage für den liturgischen Frieden entfallen.
Auf die jetzt deutlicher erkennbar werdenden Einzelheiten dieser Strategie, in der überlieferten Liturgie das Herzstück des bis auf die Apostel zurückgehenden katholischen Glaubens zu treffen und womöglich zu zerstören, sowie auf denkbare Gegenstrategien, wird in weiteren Beiträgen einzugehen sein. Vor allem aber wird das Neo-Dogma von der Suprematie des Geistes DES KONZILS kritisch zu untersuchen sein.