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Nicht Entwicklung, sondern Zerstörung der Lehre

Bild: CNA/IbanezIn einem ausführlichen Artikel auf „First Things“ hat Kardinal Müller, der letzten Sommer entlassene Präfekt der Glaubenskongregation, Stellung genommen zu jüngsten Äußerungen hoher Würdenträger, die in den umstrittenen Passagen von Amoris Laetitiae die Aufforderung zu einem „Paradigmenwechsel“ in Morallehre und Sakramentendispziplin der Kirche sehen. Die Position Müllers ist eindeutig und hart: Ein „Paradigmenwechsel“ und zwar sowohl im wissenschaftstheoretischen als auch im umgangssprachlichen Sinn des Wortes, ist für ihn keine „Entwicklung“, sondern eine „Verfälschung“ der Lehre.

Diese harte Kritik trifft insbesondere den mächtigen Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin, der sich die These vom Paradigmenwechsel kürzlich zu eigen gemacht und behauptet hatte: „Der Text (der Enzyklika) betont genau das und verlangt von uns diesen neuen Geist und dieses neue Herangehen (Quelle). Ebenso trifft sie den päpstlichen Vertrauensmann im US-Episkopat Kardinal Cupich, der ebenfalls diesen „Paradigmenwechsel“ verlangt. Und sie betrifft auch den Papst als Verfasser der Enzyklika selbst, falls dieser sich nicht endlich dazu bereit findet, den entsprechenden Auslegungen seiner überaus problematisch formulierten Abschnitte vom Amoris Laetitia eine autoritative Interpretation im Sinne der überlieferten Lehre nachzureichen.

Zunächst zitiert Müller den seligen John Henry Newman, der aus seiner anglikanischen Tradition heraus sehr wohl die Versuchungen und Gefahren von „Anpassungen“ (den Begriff ‚Paradigmenwechsel‘ gab es damals noch nicht) des Glaubens an aktuelle Vorstellungen kannte:

Nach Newman erfolgt dann eine wahrhafte Entwicklung, wenn der christliche Glaube imstande ist, sich seine (nicht seiner) Umgebung anzugleichen und deren Kultur zu bereichern und zu verändern. Eine Verfälschung tritt dann ein, wenn umgekehrt diese Umgebung das Christentum sich angleicht. Ein Paradigmenwechsel, mit dem die Kirche sich die Kriterien der modernen Gesellschaft zu eigen macht, bedeutet daher keine Entwicklung, sondern eine Verfälschung. ...Damit es zu einer gesunden Entwicklung kommen kann, bedarf es einer logischen Fortsetzung der Lehre der Vergangenheit. Gibt es eine logische Fortsetzung zwischen Absatz 84 von Familiaris Consortio Pauls II – darin wird gelehrt, daß Geschiedene, die in eine neue Verbindung eingehen, entweder enthaltsam leben oder den Sakramenten fernbleiben müssen – und der Veränderung eben dieser Disziplin, wie einige sie vorschlagen? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder man bestreitet ausdrücklich die Gültigkeit von Familiaris Consortio 84... Oder man versucht, daß Absatz 84 von Familiaris Consortio implizit die Umkehrung dessen enthält, was dort explizit gelehrt wird. Bei jeder seriösen Lektüre des Textes von Johannes Paul II wird klar, daß man damit die grundlegenden Regeln der Logik wie z.B. das Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs verletzen müsste. (...)

In der Ausübung ihres Lehramtes kann die Kirche sich nicht einfach auf ihre gesetzgeberische oder disziplinäre Vollmacht berufen, als ob es in der Lehre nur um einen rechtlichen oder disziplinären Positivismus ginge. Das Lehramt muß überzeugende Positionen entwickeln und dabei darlegen, daß diese in sich selbst widerspruchsfrei sind und in Kontinuität mit der Vergangenheit stehen. Die Autorität des päpstlichen Lehramtes steht und fällt mit seiner Kontinuität zum Lehramt vorangegangener Päpste. Wenn ein Papst die Macht hätte, die verbindliche Lehre seiner Vorgänger aufzuheben, oder wenn es ihm möglich wäre, die heilige Schrift entgegen ihrer offensichtlichen Aussage zu interpretieren – dann könnten alle seine Lehrentscheidungen wiederum von seinem Nachfolger aufgehoben werden – und dessen Nachfolger könnte dann ebenfalls aufheben oder wiederherstellen, was ihm beliebte. In diesem Fall hätten wir es nicht mit einer Entwicklung der Lehre zu tun, sondern mit dem deprimierenden Anblick eines auf Grund gelaufenen Schiffes Petri.

Ein bemerkenswertes Bild: Untergehen kann die Kirche nach dem Versprechen ihres Gründers nicht - aber stranden und dabei vielleicht sogar zerbrechen schon.

Der ganze Artikel ist dringend zur Lektüre empfohlen. Noch stärker als die immer noch unbeantworteten „Dubia“ lenkt er den Blick auf die ganze Misere des gegenwärtigen Pontifikats. Damit stellt er unabweisbar auch die Frage, wie lange diese Verwirrung um das Lehramt noch andauern kann, ohne den im Inhaltlichen anscheinend bereits unheilbar vollzogenen Bruch auch in äußeren Formen sichtbar werden zu lassen. Eine Frage, die Kardinal Müller nicht zum ersten Mal (s. dazu hier) öffentlich aufwirft. Aber wie könnte man sie beantworten? Vielleicht gibt der letzte oben zitierte Absatz einen Hinweis.

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