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Die wahre Realität der Liturgie

Die Debatte über die Formen von Gebet und Gottesdienst in Zeiten staatlich verfügter Kirchenschließung dauert an – und sie wird mehr und mehr zum Zeugnis des Scheiterns der „horizontalen“ gottesdienstlichen Konzepte, die im vergangenen Jahrhundert von großen und kleinen Reformatoren als Weg in die Kirche der Zukunft „entwickelt“ und vielfach auf brachiale Weise durchgesetzt worden sind.

Seinen sinnfälligen Ausdruck findet dieses Scheitern in der Aufnahme einer Selfie-Messe in einer italienischen Gemeinde. Der Pfarrer, der offensichtlich die absurde Situation eine Messe „ad populum“ ohne Volk nicht ertrage konnte, hatte Gemeindemitglieder gebeten, ihm Selfies zuzuschicken, die er dann ausdruckte und in den Kirchenbänken aufstellte. Und so konnte er auf einmal in mehr Gesichter sehen als jemals bei einer normalen „Gemeindemesse“ - die hinten zugestellten Stühle sprechen Bände. Aber in Wirklichkeit ist da niemand, auch nicht „virtuell“. Menschen sind körperlich da, oder sie sind nicht da.

Warum kommt so ein Priester nicht auf den Gedanken, die Messe so zu zelebrieren, wie es die Kirche an die zweitausend Jahre lang getan hat: Dem Herrn zugewandt, vor dem Angesicht Gottes, dem er doch im Namen und Auftrag der Kirche das Opfer darbringt? So denkt er halt nicht, das hat man ihm nicht beigebracht, auf den Gedanken kommt er nicht, soll er nicht kommen: die Vertikale Dimension ist ihm nicht mehr zugänglich. Und diejenigen, die ihm diese verquere Denke beigebracht haben, bemerken plötzlich, wie ihr ganzes eindimensionales Gedankengebäude ins Wanken kommt und erfinden in gekränkter Eitelkeit schnell eine Theorie, nach der das, was die Kirche immer praktiziert hat, nach dem verflossenen Konzil nicht mehr möglich sein soll. Wir hatten uns damit bereits letzte Woche auseinandergesetzt, inzwischen ist eine hervorragende Kritik von Peter Kwasniewski zuerst auf englisch und dann auch auf deutsch erschienen.

Erschreckt von dem doch recht negativen Echo auf ihren Vorstoß haben die drei Verfasser des oben angeführten Artikels sich nun erneut zu Wort gemeldet – wie es sich in diesen Kreisen eingebürgert hat, an erster Stelle mit dem Aufruf „man sollte sich auch gegenseitig nicht die Kirchlichkeit absprechen“. Hier geht es weiter Ja, was soll man denn sonst dazu sagen, wenn die Herrschaften sich direkt gegen das wenden, was verbindlich im Kirchenrecht und den Vorschriften für die Feier der Messe festgelegt ist? In der Sache wollen sie das nun nicht wiederholen, aber in ihrer Frage: „Wie läßt sich (ohne körperliche Teilnahme) vermitteln, daß Teilhabe glaubhaft erfahren werden kann?“ treten die Versäumnisse und Irreführungen ihrer horizontalen „Theologie“ in den letzten Jahrzehnten nur umso deutlicher hervor.

Wie sollen die Gläubigen denn die übernatürliche Dimension jedes Messopfers erfassen können, wenn man ihren Blick immer nur auf dessen gemeindliche Aspekte und die ganz und gar natürliche Seite gelenkt hat? Wann hätte man ihnen denn gesagt, daß die hl. Messopfer kein punktuelles oder lokales Geschehen ist, sondern ein Vorgang, der die ganze Erde umspannt. „Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang wird mein Name groß werden unter den Völkern, und an allen Orten wird meinem Namen geopfert und ein reines Opfer dargebracht“. Was der Prophet Malachias einst voraussagte, ist seit Jahrhunderten Wirklichkeit: Zu jeder Minute des Tages spricht an irgendeinem Ort dieser Erde ein Priester die Wandlungsworte und ereignet sich das Wunder der Verwandlung von irdischer in göttliche Realität. Wann hätte man den immer weniger gewordenen Leuten in den Kirchenbänken denn vermittelt, daß in der hl. Messe eben nicht nur die konkret Versammelten, sondern die ganze Kirche gemeinsam mit den Heiligen und den himmlischen Heerscharen vor das Angesicht Gottes treten, um das sühnende, versöhnende und erlösende Opfer des Gottessohnes zu vergegenwärtigen?

Nur wenn man diese transzendente – und von daher ganz und gar unzeitgemäße – Seite des liturgischen Geschehens in den Mittelpunkt stellt, wird einsichtig und bei entsprechender Gestaltung auch sinnfällig erfahrbar, daß wirklich alle Glieder der Kirche an diesem Gottesdienst teilhaben können – auch wenn ihnen ein dicker Pfeiler den Blick auf den Altar versperrt, auch wenn sie sich im Bewußtsein eigener Unwürdigkeit gar nicht aus dem Narthex in den eigentlichen Kirchenraum hineingetraut haben, und auch, wenn sie etwa durch Krankheit oder widrige Umstände an der körperlichen Anwenseheit ganz gehindert sind.

Statt diese Grundtatsachen endlich wieder herauszustellen, setzen Gerhards und Co auf zeitgeistige Mätzchen und finden es großartig, daß bei einer im Fernsehen übertragenen Eucharistiefeier „ein Junge, nachdem er einen entsprechenden Gebetstext gelesen hat, am Ende der Fürbitten eine brennende Kerze auf den Altar gestellt (hat), damit die Gebete der zu Hause Mitfeiernden auch während des Eucharistieteils sinnenhaft präsent blieben.“ (Quelle) Das ist geradezu eine Parodie auf den Gebrauch der überlieferten Liturgie, zum Kanon als Sinnbild der sich ereignenden Präsenz Christi eine „Sanctus-Kerze“ auf dem Altar zu entzünden. Sinnbilder sollen sein – aber sie müssen auch richtig sein.

Und genau damit gibt es Probleme, wenn die metaphysische Grundierung des Geschehens der hl. Messe nicht deutlich gemacht wird – entweder aus Unwissenheit, oder um diese Dimension klein zu reden. Der österreichische Theologe Jan-Heiner Tück hat, wie auf Kath.net zu lesen war, sein Unbehagen über die ersatzweise Medienübertragung von Gottesdiensten geäußert: „Wir feiern Realpräsenz, nicht Virtual-Präsenz“. Soweit er damit davor warnen will, den Unterschied zwischen einem „gestreamten“ und einem persönlich vor Ort mitgefeierten Gottesdienst unzulässig einzuebnen, ist dem zuzustimmen. Bedenken ruft die bei Tück durchscheinende Einschränkung von „real“ auf Ort und Zeitpunkt der Messfeier hervor. Die Realität der Messfeier ist nicht in Ort und Zeit des aktuellen Vorgangs begründet, sondern im Kreuzesopfer von Golgotha und reicht seitdem über alle Orte und Zeiten hinaus. Sie ist nicht virtuell im Sinne von scheinbar, sondern „überreal“ (der Begriff ‚surreal‘ ist leider anderweitig besetzt), Ausdruck höchster Wirklichkeit.

Die im Lauf einer an die zweitausendjährigen Entwicklung erreichte Gestalt der Messfeier der überlieferten Liturgie namentlich in ihrer Vollform des (pontifikalen) Hochamtes hat viel dazu beigetragen, auch unter Menschen ohne besondere theologische Bildung ein gewisses Verständnis, zumindest eine Ahnung von dieser „Überrealität“ zu vermitteln. Das war (zusammen mit einem darauf gerichteten Kirchengebot und „vertikaler“ Katechese) ein Ansporn, auch selbst physisch dieser „Überrealität“ näher zu sein, und das gebotene Fenster für den Blick auf die andere, die wirklich reale Welt zu nutzen. Das bot aber auch Trost und eine Stütze für den Fall, daß physische Anwesenheit nicht möglich war – in der  „Überrealität“ war Anwesenheit nicht nur eine Frage des Ortes – wenn auch sicher nicht immer auf dem hohen Abstraktionsniveau deutscher Professoren.

Zusammen mit den starken Säkularisierungstendenzen in der Gesellschaft haben die theologischen Prämissen der Liturgiereform und deren praktische Umsetzung in einer horizontalen Liturgie das Fenster der Liturgie in die Überrealität trübe und für viele völlig undurchsichtig gemacht. Höchste Zeit, daß zunächst die Priester bei der ihnen – immerhin – von vielen Bischöfen empfohlenen „Privat“-zelebration mit freier Aussicht auf das leere Kirchenschiff sich wieder zum Herrn wenden und die Augen nach oben richten wie die Generationen vor ihnen.

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