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Schlechte Theologie macht schlechte Übersetzungen

Bild: Jörg Bittner Unna, Wikimedis, CC BY 3.0Wir Katholiken allgemein stehen nicht gerade in dem Ruf, uns besonders intensiv mit der Bibel zu beschäftigen. Als das II. Vatikanum daher in seiner Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ dazu aufforderte, den Gläubigen „den Tisch des Wortes reicher zu bereiten“, sprach es in der Tat einen großer Reformanstrengungen würdigen Punkt an. Leider an einer eher ungeeigneten Stelle: Die hl. Liturgie ist nicht der primäre und auch kein gut geeigneter Ort für die Bibel-Katechese. Der unkommentierte Text der hl. Schrift enthält salopp gesprochen viele schwer verdauliche Brocken, die einfach so aufzutischen wenig Nährwert bringt. Der Vortrag von Gottes Wort im Gottesdienst – also nicht nur, um das Volk zu belehrten, sondern auch zur Ehre Gottes – erfordert, daß die Gläubigen bereits über einiges an Vorwissen zur Bedeutung dieser Worte mitbringen: Eine grundlegende Kenntnis der heiligen Schrift wäre bereits außerhalb des Gottesdienstes zu vermitteln bzw. zu erwerben.

Die in den vergangenen Jahrzehnten mit einigem Aufwand in den Markt gedrückten „katholischen“ Bibelausgaben erscheinen dazu nur sehr bedingt geeignet. Zum einen, weil sie von wenigen Ausnahmen abgesehen kaum brauchbare Anmerkungen oder Hilfen enthalten – selbst bei „härtesten Brocken“ nicht. Zum anderen, weil die seit 1980 mit Nachdruck verbreiteten „Einheitsübersetzungen“ sowohl in der Erstfassung von 1980 als auch in der Revision von 2016 viele problematische Stellen enthält. Einige davon beruhen auf objektiven Schwierigkeiten des Textes – dazu gibt es zum Teil seit den Kirchenvätern zahllose Erklärungsversuche, zu deren Nutzung oder gar Weitergabe sich die Übersetzungskommittees aber oft zu vornehm waren. Dann gibt es aber auch von Übersetzern hereingetragene Schwierigkeiten, die bestenfalls deren Anspruch unterstreichen, die „neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft“ zu verarbeiten. Dabei nehmen sie in der Regel weder Rücksicht auf den Leser – wir brachten kürzlich dieses haarsträubende Beispiel „küsst den Sohn“ – noch auf den Umstand, daß die „neuesten Erkenntnisse“ oft schon überholt sind, bevor die sie feiernden Bücher aus der Druckerpresse herauskommen.

Als Fortsetzung unserer Bemühungen zu einer kritischen Sichtung insbesondere der Einheitsübersetzung von 2016 bringen wir heute einen Beitrag des Innsbrucker Religionsphilosophen und Sprachenkenners Hubert Franz Xaver Alisade, der am nur scheinbar entlegenen Ort des vierten Liedes vom leidenden Gottesknecht des Propheten Jesaja einige Probleme der Einheitsübersetzung darstellt. 

Dabei macht Alisade sichtbar, daß das, was zunächst als „Übersetzungsproblem“ erscheint, auch tiefgehende theologische Auswirkungen (und Voraussetzungen!) haben kann – im Klartext: Der „Übersetzer“ nutzt eine objektive Schwierigkeit des Textes, um seine eigene höchst subjektive Theologie und Ideologie im Gewande vom „Wort Gottes“ zu verbreiten.

Doch nun zum Text, dessen Lektüre wir auch Nicht-Übersetzern und Nicht-Exegeten sehr ans Herz legen. Man sollte schon eine Ahnung davon haben, was einen auch bei bischöflich approbierten Übersetzungen der Heiligen Schrift erwarten kann.

Wer bringt das Sühnopfer?

Hubert Franz Xaver Alisade (Innsbruck)

Der hebräische Text des vierten und letzten sogenannten „Gottesknechtsliedes“ des Propheten Jesaja (52,13-53,12) bietet so manche lexikalische und auch grammatikalische Schwierigkeit. Praktisch alle dieser Schwierigkeiten spiegeln sich bereits in den antiken Übersetzungen, also der Septuaginta, der Vulgata, der Peshitta etc. wieder und treten in gleicher Weise auch dem modernen Bibelübersetzer herausfordernd vor den Geist. Seit dem 18. Jahrhundert wurden von protestantischen, seit dem frühen 20. Jahrhundert auch von katholischen Exegeten unzählige Konjekturen („Vermutungen“) vorgeschlagen, um den für verderbt gehaltenen masoretischen Text zu „verbessern“. Dabei kamen die Exegeten in vielen Fällen zu (Schein-)lösungen, die mehr über den jeweiligen Exegeten selbst als über wirkliche oder vermeintliche Schwierigkeiten des masoretischen Textes aussagen. Die alte Einheitsübersetzung von 1980 ist – natürlich nicht nur in Bezug auf das vierte Gottesknechtslied! – ein typisches Produkt dieser Verbesserungssucht, d. h. sie greift an zahllosen Stellen, die (aus welchen Gründen auch immer) textkritisch oder theologisch(!) suspekt erscheinen, unbekümmert in den Bibeltext ein. Eine Anmerkung, die einen solchen Eingriff kenntlich und damit für den Leser potentiell nachvollziehbar macht, ist nur selten vorhanden. Aber wer meint, in der revidierten Einheitsübersetzung von 2016, deren Herausgeber schon vor ihrem Erscheinen vollmundig die besondere Treue zum hebräischen Text propagiert haben, werde dieser Übelstand behoben, der wird bei näherem Zusehen herbe enttäuscht. Zahlreiche Fehler wurden zwar verbessert, aber ebenso viele alte stehengelassen und – was besonders schwer wiegt – neue geschaffen.

Hier geht es weiterDoch zurück zum vierten Gottesknechtslied! In vorliegendem Beitrag soll lediglich ein Teil von Vers 10 von Jesaja Kapitel 53 etwas näher unter die Lupe genommen werden. Der masoretische Text von Jesaja 53,10 bietet im Wesentlichen zwei Probleme, von denen das Erste vorrangig theologischer, das Zweite sowohl grammatikalischer als auch theologischer Natur ist.

Die Einheitsübersetzung von 1980 übersetzt Jesaja 53,10 folgendermaßen:

„Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), / er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. / Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen.“

Die revidierte Einheitsübersetzung macht daraus:

„Doch der HERR hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten. Wenn du, Gott, sein Leben als Schuldopfer einsetzt, wird er Nachkommen sehen und lange leben. Was dem HERRN gefällt, wird durch seine Hand gelingen.“

Das erste Problem in diesem Vers bezieht sich auf die Frage, an wem oder was JHWH Gefallen hat. In der alten Einheitsübersetzung ist es der „zerschlagene (Knecht)“, wobei offenbleibt, wer den Knecht zerschlagen hat, und zudem das „krank sein“ bzw. die „Krankheit“, wovon im Hebräischen Text wie auch in der Vulgata zweifelsfrei die Rede ist, zu „retten“ verändert wird. In der revidierten Einheitsübersetzung dagegen ist es der „von Krankheit Zermalmte“, an dem JHWH Gefallen hat. Keine der beiden Versionen ist richtig! Beide Einheitsübersetzungen haben hier etwas begangen, was der emeritierte Tübinger Alttestamentler Walter Groß, als Mitarbeiter an der revidierten Einheitsübersetzung ein gewiss unverdächtiger Zeuge, „Verschleierung des göttlichen Subjekts“ genannt hat (Biblische Zeitschrift 62, 2018, 117-125). Denn der hebräische Text – und in seinem Gefolge auch die Vulgata – lässt keinen Zweifel daran, dass JHWH 1. Gefallen daran hat, den Knecht zu zerschlagen und 2. den Knecht krank/schwach werden ließ.

Der masoretische Text ist wörtlich etwa so zu übersetzen:

„JHWH aber gefiel sein Zerschlagen (oder: gefiel es, ihn zu zerschlagen), er hat krank (oder: schwach) werden lassen (oder: gemacht).“

Vergleicht man damit die Vulgata, so fällt auf, dass Hieronymus die hebräische Konsonantenfolge החלי („hḥlj“, von den Masoreten „hæḥæli“ vokalisiert) als Substantiv gelesen hat, was zweifellos möglich ist und dem Sinne nach sehr gut mit der masoretischen Lesart harmoniert:

„Et Dominus voluit conterere eum in infirmitate“ – „Der Herr aber wollte ihn durch Krankheit (oder: Schwachheit) zermalmen“

Interessanterweise hat auch der karäische Gelehrte Yephet ben Eli noch im 10./11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ebenso wie viele Jahrhunderte zuvor der Kirchenvater Hieronymus ein Substantiv gelesen und entsprechend ins Arabische übersetzt:

„Dem Herrn der Welten aber gefiel es, ihn durch Krankheit zu erniedrigen.“

Der in der Tat theologisch nicht ganz einfach nachzuvollziehende Gedanke, dass Gott Gefallen daran hatte, seinen Knecht zu zerschlagen und schwach oder krank werden zu lassen, war den modernen katholischen Übersetzern wohl derartig suspekt, dass sie einfach die syntaktischen Bezüge geändert haben.

Das zweite Problem von Vers 10 betrifft die Frage, ob der Gottesknecht sich selbst als Sühn-/Schuldopfer darbringt oder Gott den Knecht. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die hebräische Verbform תשים (ṯaśim) entweder „sie wird setzen“ oder „du (maskulin!) wirst setzen“ bedeuten kann. Im ersten Fall wäre „seine Seele“ (= „er selbst“) das Subjekt des Satzes, während die konkrete Materie des Sühnopfers unbezeichnet bliebe:

„Wenn setzen (= bringen) wird ein Sühnopfer seine Seele (= er selbst)“

Entscheidet man sich jedoch für die 2. Person Singular maskulin, dann ist zwar das Sühnopfer näher spezifiziert, aber Gott zum Subjekt des Opferns gemacht:

„Wenn du setzen (= bringen) wirst als Sühnopfer seine Seele (= sein Leben)“

Es bedarf wohl keiner langwierigen Beweisführung, dass aus christlicher Sicht die erste Lesart wie die Faust aufʼs Auge zu der Lehre passt, wonach Jesus Christus in seinem Kreuzesleiden und –tod Opfernder und Opfer zugleich war. In der alten Einheitsübersetzung ist diese Lesart ungeachtet aller sonstigen Schiefheiten noch präsent, die revidierte hat hier wie schon beim „Zerschlagen“ den Bezug geändert, JHWH anstelle des Knechtes zum Opfernden gemacht und noch dazu das Wort „Gott“ als erläuternde Glosse in den Text geschmuggelt. Die Übersetzung als 2. Person Singular mag grammatikalisch betrachtet nicht auszuschließen sein, ist aber schon sprachlich betrachtet bedenklich, da kein wirklicher Grund ersichtlich ist, warum der Text abrupt in die Du-Anrede wechseln sollte. Diesbezüglich lässt sich auch schlecht mit der Septuaginta argumentieren, die zwar eigenartigerweise eine 2. Person Plural(!) bietet, aber gerade dadurch, d. h. durch die Verwendung der Mehrzahl, einen wiederum ganz anderen Bezug herstellt:

„Wenn ihr(!) gebt (= ein Opfer bringt) für die Sünden, wird eure(!) Seele langlebige Nachkommenschaft sehen.“

Sehr stark betont ist das Selbstopfer des Gottesknechtes in der Vulgata, die dem Leser auch in Bezug auf diesen Versteil nicht vorenthalten werden soll:

"Si posuerit pro peccato animam suam" – "Wenn er (ein-)gesetzt haben wird für die Sünde seine Seele (= sein Leben, sich selbst)"

Dass diese Lesart keineswegs eine bloße messianische Marotte des hl. Hieronymus ist, sondern sich gut aus dem hebräischen Text heraus rechtfertigen lässt, zeigt u. a. die Tatsache, dass auch mittelalterliche Rabbinen wie etwa der berühmte Exeget David Kimḥi, der nicht im Traum daran dachte, das vierte Gottesknechtslied messianisch zu lesen, die Stelle in diesem Sinne interpretiert haben.

Die Möglichkeiten dieses Verwirrspieles unterschiedlicher Übersetzungsvarianten oder –unvarianten sind damit natürlich noch lange nicht ausgeschöpft. Man darf aber getrost der Meinung sein, dass der Sinn des biblischen Textes mit hinreichender Sicherheit feststellbar ist, wenngleich dieses in der Einheitsübersetzung – alt wie neu – in Bezug auf Jesaja 53,10 und auch sonst oft leider nur höchst unzureichend geschehen ist. In den meisten Fällen ist nicht der hebräische Text an sich das Problem, sondern eine Exegeten- und Übersetzerzunft, die offenbar immer noch nicht bereit ist, sich von den Irrwegen der Konjekturalkritik loszusagen und den real vorliegenden masoretischen Text – freilich unter stetiger Zuhilfenahme der ehrwürdigen antiken Versionen wie der Septuaginta, der Vulgata und der Peshitta, ohne die wir gänzlich hilflos wären bei der Übersetzung und Deutung vieler schwieriger Stellen des hebräischen Alten Testamentes – zu übersetzen.

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