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Wem gehört das Lehramt?

Bild: Universität TübingenDie scharfe Zurechtweisung, die Bischof Oster gegen Johanna Rahner wegen ihres Vorwurfs ausgesprochen hat, die Kirche verhalte sich in ihrer Verweigerung von Weiheämtern für Frauen „rassistisch“, hat nun ihrerseits wieder eine Replik der Tübinger Hochschullehrerin ausgelöst. Zunächst versucht Rahner gerade wie Politiker, die sich vergaloppiert haben, sich mit der Behauptung herauszureden, sie habe es nicht so gesagt und jedenfalls nicht so gemeint – geschenkt. Und dann geht sie zum Gegenangriff über: Da der Bischof sie wahrheitswidrig beschuldigt habe, sei eine öffentliche Entschuldigung fällig; als passenden Ort dafür schlägt die Aktivistin den Bischofsstuhl in Osters Kathedralkirche vor. Canossa verkehrt, wenn wir die Zeichensprache richtig deuten: Am Symbol seiner bischöflichen Lehrautoritätt soll der böse weiße Mann aus der Gruppe der Apostel-Nachfolger Abbitte tun vor der mit staatliche Approbation beglaubtigten Vertreterin der Wissenschaftsfreiheit.

Besser kann man den Vorwurf der „Überheblichkeit und Präpotenz“, den Kardinal Müller gegen die Mehrheit der deutschen Theologenzunft erhoben hat, kaum illustrieren. Und dabei hat der Kardinal sich noch nicht einmal dazu geäußert, daß die Ansprüche Rahners und anderer Spitzenvertreter der „deutschen Theologie“ nicht nur im Bezugssystem der Kirche reichlich deplaziert sind: Auch in der weltweiten scientific community der Theologie spielt die deutsche Abteilung wegen ihrer durchgängigen Ideologisierung und ihrer Neigung zum Tunnelblick praktisch keine Rolle mehr. Die Bücher ihrer angeblich so hervorragenden heutigen Repräsentanten bleiben unübersetzt und weitgehend auch ungelesen und unzitiert. Der nicht zuletzt unter Berufung auf die Glanzleistungen deutscher Hochschultheologie untermauerte Anspruch, mit dem deutschen Synodalen Irrweg Maßstab und Wegweise für die Weltkirche zu sein, ist eine durch nichts gestützte Anmaßung.

Die Zurechtweisung Rahners durch Bischof Oster berührt aber noch weitere neuralgische Punkte. Seit Jahrzehnten ringt die deutsche Universitätstheologie mit dem römischen Lehramt um die Lufthoheit über der Glaubenslehre. Und da das authentische Lehramt unter dem allgtemeinen Säkularisierungsdruck oft sehr hasenpfötig aufgetreten ist, konnten die Usurpartoren aus den Hochschulen sich zumindest erfolgreich einreden, da einige Geländegewinne erzielt zu haben. Dem hat nun Bischof Oster aus Anlaß der Rahnerischen Rassismus-Eskapade auch über diesen Gegenstand hinaus energisch widersprochen. Er hat sogar an das schlimme A-Wort erinnert: Wer sich aufgrund inhaltlicher Überzeugungen von der festgestellten Lehre der Kirche entfernt, steht zumindest in der Gefahr, ins „Anathema“ zu geraten. Damit wendet er sich gegen eine Lebenslüge der Zunft – kein Wunder, daß der Aufschrei groß ist.

Es steht aber noch mehr auf dem Spiel. Hier geht es weiter In Deutschland gibt es derzeit wenn wir recht gezählt haben, 19 katholische Fakultäten, deren Personal und gesamter Betrieb vom Staat finanziert wird – außerhalb der Kirchensteuer. An diesem Apparat hängen Stellen, Macht, Prestige und Einfluß für Hunderte, ja Tausende von Menschen – größtenteils übrigens „Laien“, die weder einem kirchlichen Oberen unterstehen noch aus eigenem Entschluß verpflichtet sind, mit ihrem ganzen Leben für Lehre und Bestand der Kirche einzustehen. Dieser riesige Apparat bringt seit Jahrzehnten immer weniger solide ausgebildete Priester hervor – doch genau das, die Bereitstellung von qualifizierten Priestern für den Pfarrdienst – war und ist die in den Ablösungsverträgen des 19. Jh. und dem Konkordat des 20. Jh. festgeschriebene Voraussetzung für die staatliche Alimentierung der ganzen Veranstaltung.

Bei seit 2000 konstant unter 100 diözesanen Priesterweihen jährlich (2019 waren es 55) ist dieser Aufwand weder seitens des Staates noch der Kirche zu rechtfertigen. Auch nicht durch Gegenstrategien, die die Zahl der „Seelsorgend*en“ sowie die pseudo-akademischen Voraussetzungen für die entsprechenden Tätigkeiten ausweiten, um die leeren Hörsäle zumindest ein wenig zu füllen. Tatsächlich beschäftigen sich Kirche und Kultusverwaltungen seit Jahren mit Planungen, um das Mißverhältnis zu reduzieren und wenigstens einen Teil der vom Bedarf her nutzlosen und vom gelieferten Ergebnis her eher schädlichen Fakultäten zu retten. Solange das System noch zu halten ist, erfüllt es allerdings beiden Seiten höchst willkommene Funktionen: Die Personalkosten für Gemeindeseelsorger mit einer staatlich anerkannten akademischen Ausbildung werden im Rahmen des Konkordates in großem Umfang aus der Staatskasse beglichen – und der moderne Parteienstaat hat durch diese „Anerkennung“ Einflußmöglichkeiten, die einen Bismarck vor Neid hätten erblassen lassen.

In dieser Verflechtung der Interessen liegen zum einen die Gründe für die seit Jahren beobachtbare Tendenz der Entwicklung der Universitätstheologie zur Staatstheologie. Zum zweiten erklärt der Mechanismus die bis zur Selbstaufgabe reichende Bereitschaft diözesaner Apparate und Apparatschiks, in der Corona-Krise Zuverlässigkeit und „Systemrelevanz“ zu demonstrieren. Wie lange dieser Kurs erfolgreich fortgesetzt werden kann, ist angesichts der von der Säkularisierung zur Kirchenfeindschaft fortschreitenden gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ohne jeglichen Seelsorgebedarf fraglich.

Hinter alledem steht aber ein noch tiefer reichender Konflikt. Die Theologie, Gottesgelehrtheit der Kirche, kann nicht auf ihre Bindung an das Lehramt zu verzichten. Sie hat in erster Linie die Überlieferung zu bewahren, die Christus und seine Apostel ihr anvertraut haben. Ihre Beziehung zum Neuen ist kompliziert: Sie darf die Augen nicht davor verschließen, aber sie muß es kritisch überprüfen und da, wo es das Wesen der Überlieferung verfehlt oder gar verkehrt, abwehren. Damit steht sie in einem unüberwindbaren Spannungsverhältnis zu einem modernen Wissenschaftsbegriff, der ständig das Alte dekonstruieren will, um – angeblich „ideologiefrei“ – Neues zu konstruieren. Soweit dieser moderne Wissenschaftsbegriff – so zweifelhaft er in sich auch sein mag – an den Fakultäten dominiert, müßten die Bischöfe, die den Glauben bewahren wollen, deren Absolventen eigentlich von der Zulassung zum Priesteramt und zu pastoralen Positionen fernhalten. Sie müssten ihre eigenen Zugangsberechtigungen definieren, entsprechende Ausbildungsgänge anbieten und folgerichtig auf die staatliche Anerkennung (und Alimentierung!) verzichten.

Von heute aus gesehen und unter deutschen Verhältnissen ist das schwer vorstellbar. Daß es nicht unmöglich ist, kann im Blick auf die Situation in den USA als erwiesen gelten. Genau um die hier liegenden Konflikte wird es den kommenden Auseinandersetzungen um Bewahrung oder Aufgabe der Einheit der Kirche in Deutschland gehen.

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