Spaltung und Einheit
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- 10. Juni 2021
Zur Entwicklung in Dijon (s. Randspalte) müssen wir uns aus Mangel an Information jeder Stellungnahme enthalten – außer, daß wir es in jedem Fall bedauern, wenn eine Priestergemeinschaft der Tradition ihr Tätigkeitsfeld in einer Diözese verliert. Deshalb können wir uns auch der Klage des französischen Distriktsoberen der FSSP über die in vielen Fällen unbefriedigende rechtliche Absicherung dieser Tätigkeit anschließen – eine vorteilhaftere Lösung böte z.B. die in Summorum Pontificum eröffnete Möglichkeit zur Errichtung von Personalpfarreien. Allerdings weigern sich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland – vermutlich auf Druck der Mehrheit in den Bischofskonferenzen – sämtliche Bischöfe hartnäckig, solche Personalpfarreien zu errichten.
Als Grund für die Ablehnung der überlieferten Liturgie wird seitens der Bischöfe oft die Befürchtung genannt, damit würde Spaltung in die Gemeinden getragen. So argumentierte die von der französischen Bischofskonferenz an Stelle der einzelnen Bischöfe nach Rom geschickte Antwort auf die Umfrage der Gottesdienstkongregation, die wir hier referiert haben. Das gleiche Thema klingt an in der Erklärung aus Dijon, wenn es dort im letzten Absatz zur Rechtfertigung der getroffenen Maßnahme heißt, diese habe „kein anderes Ziel als die Stärkung der kirchlichen Einheit unter Wahrung der berechtigten Befindlichkeiten.“
Einheit und Spaltung, Bruch und Kontinuität – das sind quasi die Eckpunkte des Spannungsfeldes, in dem die Diskussion über Summorum-Pontificum und die Rolle des überlieferten Ritus in der Kirche stattfindet. Und dabei geht es eben nicht nur um die Liturgie, sondern um das ganze Gefüge von Lehre, Pastoral und Spiritualität, das in der Liturgie lediglich seinen sinnfälligsten Ausdruck findet. Allerdings wird diese Diskussion seit über 50 Jahren dadurch verzerrt, daß es streng verboten war, von Bruch oder Spaltung auch nur als Denkmöglichkeit zu sprechen. Dieses Denkverbot macht sich auch in Text und Konzept von Summorum Pontificum bemerkbar, wenn die Missales von Papst Johannes XXIII. und Paul VI. kategorisch als bruchlos übereinstimmend angesprochen werden und daraus abgeleitet wird: „Diese zwei Ausdrucksformen der "Lex orandi" der Kirche werden aber keineswegs zu einer Spaltung der "Lex credendi" der Kirche führen; denn sie sind zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus.“
Daß keine Spaltung der Lex Credendi beabsichtigt war, zumindest nicht seitens der Päpste, die das neue Missale promulgierten bzw. seinen Gebrauch regelten, ist jederzeit zu konzedieren. Ob das auch für alle Mitglieder der Gremien gilt, die den Nous Ordo konstruierten, ist sehr zu bezweifeln. Und auch den Päpsten, namentlich Paul VI. als Promulgator, ist der Vorwurf nicht zu ersparen, daß sie sie den Zusammenhang zwischen Form und Inhalt, die pragmatischen Auswirkungen so tief gehender Eingriffe in die Form- und Textgestalt der Messfeier, geradezu sträflich unterschätzten. Wer auch nur ein wenig praktisches Bewußtsein davon hat, wie das Denken von nicht akademisch ver/gebildeten Menschen funktioniert, kann heute nicht mehr nachvollziehen, wie man damals faktisch sagen konnte: Ab morgen ist alles anders – es hört sich anders an, es sieht anders aus, es riecht anders – aber der Inhalt ist exakt der gleiche wie bisher. Damit können „normale“ Menschen nicht umgehen. Damit war für diejenigen, die tatsächlich die Inhalte ändern wollten, das Einfallstor weit geöffnet.
Sie haben diesen Umstand weidlich genutzt. In Predigt und Unterricht, in Druckschriften und an Seminaren, wurden alles was „vorher“ war, abgewertet und durch Neuheiten nach der Mode des Tages ersetzt.. DAS KONZIL in einer sehr einseitigen und in vielem längst alls unzutreffend erwiesenen Interpretation wurde zum einzigen Superdogma erhoben, in dessen Namen alle bisherigen Dogmen in Frage gestellt werden konnten. Mit den bekannten Folgen: Der Glaube an die Realpräsenz Christi in den Eucharistischen Gestalten – die Grundlage der gesamten Messopfer-Theologie – wird heute in Ländern wie Deutschland oder USA nur noch von einer Minderheit der Kirchenmitglieder geteilt, selbst bei den regelmäßigen Gottesdienstteilnehmern ist es nur ein Drittel. Wie es bei den Priestern aussieht, wurde bisher nicht ermittelt. An der Theologie des Messopfers hängt aber gewissermaßen das ganze Glaubensgefüge – die Lehre von der Trinität und der Erlösung, das Verständnis von Schuld und Vergebung, die Verbindlichkeit der Gebote, die übernatürliche Sendung und Struktur der Kirche – all das hat sich unter dem Einfluß eines primitiv-materialistischen und säkularistischen Zeitgeistes tiefgreifend gewandelt bzw. ist weitgehend verschwunden. Wenn es in der Kirche heute Spaltungen gibt – tatsächlich sind sie schwer zu übersehen – dann durch diese Kräfte, die die Fülle der Tradition verwerfen, und nicht durch die, die daran festhalten.
Hinsichtlich der Liturgie ist hier eine doppelte Differenzierung erforderlich. Diesen Glaubensverlust zu konstatieren heißt nicht zu behaupten, die Liturgiereform (oder weiter gefasst pauschal DAS KONZIL) sei dessen Ursache. Die Zeitgeisttendenzen waren schon vor Konzil und Liturgiereform sichtbar, und sowohl die Dokumente des Konzils als auch die Reform war für eine Mehrheit derer, die daran mitwirkten, von dem Willen getragen, dem sich abzeichnenden Verfall entgegen zu wirken. Aber inzwischen führt kein Weg mehr an der Einsicht vorbei, daß die damals gewählten Mittel offensichtlich ungeeignet waren, die darein gesetzten Hoffnungen zu erreichen, einige mögen sich sogar als krisenverstärkend ausgewirkt haben. Und vieles deutet daraufhin, daß die Formen und Formeln der Tradition, denen, die an ihnen festhalten, größere Widerstandskraft gegen den Tsunami des Zeitgeistes verleihen. Man sieht es an der Zahl der Gottesdienstbesucher und ihrem Alter, an der Zahl der Kinder in den Familien und der daraus hervorgehenden Priesterberufungen, um nur einige Kennziffern anzusprechen.
Die zweite Differenzierung betrifft die Frage nach der Zulässigkeit und Gültigkeit der Reformliturgie. Deren Scheitern in der Praxis ändert nichts daran, daß diese inzwischen als Deformierung kenntlich gewordene Reform seinerzeit auf rechtmäßige Weise zustande gekommen ist. Und die von den Päpsten – beginnend mit Paul VI. – stets feierlich bekundete Absicht, mit der neuen Form keine neuen Inhalte einzuführen, garantiert auch die Gültigkeit der Neuen Liturgie und ihre Wirksamkeit für diejenigen, die sie in der rechten Disposition und Gesinnung feiern. Das Paradox liegt darin, daß die neue Form und ihre Begleiterscheinungen es vielen Menschen mit durchaus gutem Willen erschwert oder sogar unmöglich macht, die rechte Disposition und Gesinnung zu entwickeln. Das eindrücklichste Beispiel bietet die offenbar von vielen Priestern und Bischöfen gar nicht mehr als hochproblematisch empfundene Erscheinungen, daß die Teilnahme am Sakrament der Beichte auch unter regelmäßigen Gottesdienstbesuchern praktisch auf Null zurückgegangen ist – und die gleichen Gottesdienstteilnehmer sonntags in geschlossener Formation zum Empfang der Eucharistie antreten.
Es waren Einsichten der hier skizzierten Art, die Papst Benedikt vor 14 Jahren dazu bewogen, die überlieferte Liturgie aus ihre babylonischen Gefangenschaft zu befreien und wieder verstärkt ihren Nutzen für das Leben der Kirche entfalten zu lassen. Diejenigen, die das heute wieder rückgängig machen wollen, lassen sich offenbar von ganz anderen Zielvorstellungen leiten. Die verhängnisvolle Tätigkeit der als intellektuelle Glaubenszerstörer wirkenden Jesuiten und der eher praktisch orientierte deutsche Synodale Irrweg geben einen Eindruck davon, welche Zielvorstellungen das sind. Sie sind nicht mehr katholisch; sie spalten sich ab.