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Griff zur Pistole

Wenn im Offizierskorps Preussens oder Frankreichs vor einem Jahrhundert ein Angehöriger in Konflikt mit den Interessen des Kollektivs gekommen war, gab es ein höchst probates Mittel, die Sache aus der Welt zu schaffen, bevor seine Majestät, das Parlament, die Justiz oder gar die Presse Wind davon bekamen und vielleicht einen öffentlichen Skandal verursachten. Die Häupter der ehrenwerten Gesellschaft riefen den Übeltäter zu einer kleinen Konferenz, auf der ihm der Ernst der Lage klar gemacht wurde. Dann verließen sie den Raum, und der letzte legte eine geladene Pistole auf den Tisch. Wenn dann der erlösende Schuß gefallen war, ging man frohen Herzens an die Abfassung ehrender Nachrufe. Die Welt war wieder in Ordnung.

Dieses Verfahren ist seit einiger Zeit etwas aus der Mode gekommen - obwohl manches unerwartete Hinscheiden auch heute noch ähnliche Hintergründe haben mag. Wenn der Gemeinschaftsschädling nicht schon den Anstand hat, sich umzubringen, sollte er wenigstens für den Rest seiner Tage unsichtbar werden - etwa so wie der aus dem Amt gemobbte Bischof Mixa von Augsburg. Bischof Tebartz van Elst hat sich offenbar noch nicht unsichtbar genug gemacht - und deshalb hat das Offizierskorps der Diözese Limburg ein Problem. Nicht nur mit dem Bischof, sondern auch mit dem Papst, und mit dem sogar ein doppeltes: Erstens hat er Tebartz einen zwar bescheidenen, aber doch ehrenhaften Job in der Kurie gegeben, statt ihn buchstäblich dorthin zu schicken, wo der Pfeffer wächst. Und zweitens hat er sich immer noch nicht bereit gefunden, durch die Ernennenung eines neuen Bischofs einen Schlußstrich zu ziehen,der es den Limburgern ermöglichen würde, erhobenen Hauptes weiter zu machen wie bisher.

Deshalb haben sie jetzt zur Pistole gegriffen. bzw. der Bistumssprecher hat mit der Bildzeitung gesprochen, und heute hat die ganze Presse ihr Thema: Das Bistum will vom vertriebenen Bischof 3 Millionen Schadenersatz - ab in den Schuldturm mit ihm, lebenslänglich. Schon mehrfach habe der Bistumsverweser Grothe im Vatikan verlangt, er möge einer entsprechenden Klage Raum geben, plaudert Sprecher Schnelle aus dem laufenden Verfahren, nun müsse der Papst entscheiden. Auch eine Frist setzt ihm Schnelle: Bis September erwarte man Post aus Rom, sonst...

Sonst gibt es wahrscheinlich noch mehr Pressegespräche. In Zeiten medienvermittelter Ochlokratie ist das fast so wirkungsvoll wie der Revolver auf dem Tisch des preussischen Offizierskasinos.

Für eine kirchenrechtliche Würdigung des Vorgangs fühle ich mich nicht zuständig, und in Zusammenhang mit den Limburger Abläufen von „Anstand“ zu reden, wäre gänzlich fehl am Platze. Aber die Sache wirft ein bezeichnendes Licht auf die aktuelle Verfassung der deutsch-katholischen Kirche. Die Diözesen, die von Limburg ganz bestimmt, funktionieren wie Betriebe (manche auch wie Konzerne) im Besitz der Belegschaft, bzw. deren selbsternannter Vertreter. Die Referatsleiter und Verbandspräsiden führen den Laden wie eine realsozialistische Produktions-Genossenschaft, ihr Interesse bestimmt den Kurs. Und dabei steht die Erhaltung größtmöglicher Kompatibilität zu Staat und Gesellschaft an aller erster Stelle: Nur das ermöglicht den Betrieb zahlloser (von kirchlichem Geist längst entleerten) „Räume der Stille“, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und Weingüter, die ihrerseits einen umfangsreichen Verwaltungsapparat verlangen, kostbare Planstellen mit Pensionsberechtigung schaffen und der Klientel lebenslange Beschäftigungsgarantie bieten, selbst wenn die ganze Maschinerie, wie die jüngst veröffentliche Statistik wieder einmal belegt, nur noch im Leerlauf rotiert.

Was die gesellschaftliche Akzeptanz (und Alimentierung!) dieses Apparats gefährden könnte, wird von den Obergenossen erbittert (und erfolgreich) bekämpft, sei es nun eine „überholtes Eheverständnis“, eine nicht mehr „der Lebenswirklichkeit der Menschen“ entsprechende Sexaualmoral, ein „weltfremder Zölibat“ oder ein „der demokratischen Gesellschaft“ nicht mehr genügendes theozentrisches Liturgieverständnis. Verwaltungsratsvorsitzende, pardon, Bischöfe, die aus diesem Apparat stammen, habe keine Probleme damit, in seinem Sinne zu funktionieren. Andere werden - der Vorgang ist immer wieder zu beobachten - in kurzer Zeit zu Funktionären gemacht oder, in den selteneren Fällen, wo das aus welchem Grund auch immer nicht recht gelingt, aus dem Weg geräumt. Die deutschen Bischöfe wollen/sollen zwar „keine Filialleiter Roms“ (Rainhard Marx) sein - mit dem Status als nur noch dem Konzern verantwortliche Filialleiter der Genossenschaft vereinigter Kirchenbetriebe Deutschlands scheinen sie sich längst abgefunden zu haben.

Und wenn dieser status quo auch nur scheinbar in Gefahr gerät, wedelt der Pressesprecher mit dem Revolver.

Michael Charlier

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