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Cupich und die Hermeneutik des Bruchs

ArchivWir können Kardinal Blaise Cupich durchaus dankbar sein, daß er in seinem kurzen Beitrag auf PrayTell den Geist und mehr noch den Ungeist von Traditionis Custodes so klar und übersichtlich zum Ausdruck gebracht hat. Das enthebt uns der Mühe, die in vielem gewohnt undeutlichen und widersprüchlichen Formulierungen des Originaltextes des päpstlichen motu proprio zu interpretieren – was immer mit dem Risiko verbunden ist, sich den Vorwurf der Überinterpretation, ja sogar der böswilligen Entstellung eines Textes zuzuziehen.

Cupich, 1998 zum Bischof ernannt von Johannes Paul II, 2010 „befördert“ von Benedikt XVI. und nach 2014 von von Franziskus zum Erzbischof und Kardinal erhoben, ist einer der engsten Vertrauten und Verbündeten des gegenwärtigen Papstes im amerikanischen Episkopat. Seine Lesart von TC kann als voll und ganz dem Willen des Urhebers entsprechend gelten. Wir übersetzen oder referieren daher hier die wichtigsten Absätze seines mit der Überschrift „Das Geschenk von Traditionis Custodes“ versehenen Textes,und schließen dem jeweils unseren Kommentar an.

Ich denke, es ist wichtig, von Anfang an darauf hinzuweisen, daß eine sorgfältige Lektüre des motu proprio die Absichten verdeutlicht, die den heiligen Vater zur Herausgabe dieses Dokuments bewogen haben. Es geht ihm schlicht gesagt darum, in der ganzen Kirche den Römischen Ritus wieder zur einzigen und überall gleichen Weise des Betens zu machen, die ihre Einheit entsprechend den liturgischen Büchern zum Ausdruck bringt, die von den heiligen Päpsten Paul VI. Und Johannes Paul II entsprechend den Dekreten des zweiten Vatikanischen Konzils herausgegeben worden sind. In anderen Worten: Es gibt keine „zwei Formen“ des Römischen Ritus, denn das Wort „Reform“ hat etwas zu bedeuten – nämlich daß wir eine frühere Weise der Feier der Sakramente hinter uns lassen und eine neue Form übernehmen.

Um nur die wichtigsten Fehlkonzeptionen dieses Absatzes zu benennen: Reform bedeutete immer auch, und so verstehen es auch zumindest im Wortlaut die Dokumente des II Vatikanischen Konzils, die Orientierung an, wenn nicht sogar die Rückkehr zu, einem früheren, und dem Ursprung näheren Zustand. „Das Frühere aufgeben und etwas Neues beginnen“ ist eine Entstellung des Reformbegriffs aus dem „Geist des Konzils“, die freilich im aktuellen Pontifikat zur Leitlinie der Politik erhoben worden ist. Hier geht es weiter Ebenfalls aus dem „Geist des Konzils“ geschöpft ist die Vorstellung, die Einheit der Kirche müsse sich in einem einheitlichen Ritus ausdrücken. Die Liturgiekonstitution des II. Vatikanums bezeugt zumindest in Worten ihre Achtung vor der vielfältigen Tradition der Riten in der Kirche, und die Vertreter der in Einheit mit dem Papst stehenden orientalischen Rituskirchen oder der anglikanischen Ordinariate im Westen werden darauf bestehen, daß es dabei bleibt. Selbst innerhalb der römischen Kirche im engeren Sinne hat es nie eine rituelle Einheit gegeben, ohne daß das als Gefährdung für die Einheit der Kirche gesehen worden wäre. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die Ritus-Revolutionäre des unseligen Consiliums, dem die Kirche die Katastrophe des Novus Ordo verdankt, sehr wohl eine Vereinheitlichung aller Riten im Hinterkopf hatten. Ihre erste Demonstration des NO von 1967 hatte die neue Liturgie als „missa normativa“ vorgestellt. Sie enthielt deutliche Stil-Elemente nicht nur aus dem Ritus von Mailand, sondern auch aus östlichen Liturgie (namentlich im 3. Hochgebet) und war nach dem Verständnis ihrer Urheber, wie es sich in der reichhaltigen Literatur der Zeit zum Thema „Die Messe der Zukunft“ ausdrückt, durchaus mit dem Ziel entwickelt, Grundlage eines Einheitsritus zu werden.

Im nächsten Absatz versucht Cupich seinen (und des Papstes) Reformbegriff dann dadurch zu untermauern, daß schließlich auch der neue Codex des Kirchenrechtes von 1983 den von 1917 ersetzt habe, ebenso der neue Katechismus von 1993 alles seine Vorgänger.

Dabei begeht er freilich eine Reihe von Kategorienfehlern – die „Textsorte“ Gesetzbuch ist nun einmal etwas ganz anderes als das Genre der liturgischen Bücher oder auch der Katechismen. Matthew Hazell macht in einem soeben auf Rorate Caeli erschienen Artikel darauf aufmerksam, daß Papst Benedikt nicht nur in Summorum Pontificum ausdrücklich auf die „Un-Abschaffbarkeit“ legaler und legitimer Liturgien aus der Geschichte der Kirche hingewiesen hat, sondern sich im gleichen Sinne – wenn auch an anderer Stelle – zur fortdauernden Geltung und Nützlichkeit der früheren Katechismen geäußert hat. Etwa 2003 im Interview mit Gianni Cardinale:

Der Glaube an sich ist immer der Gleiche. Daher behält auch der Katechismus Pius‘ X. Seinen Wert. Zwar kann es Änderungen in der Art und Weise geben, in der der Glaube weitergegeben wird – von daher kann man schon die Frage nach der Gültigkeit des Katechismus von Pius X. heute stellen. Ich denke schon, daß der von uns erarbeitete Katechismus besser auf die gegenwärtigen Erfordernisse eingeht. Aber das schließt nicht aus, daß es Menschen oder Gruppen gibt, die leichter mit dem Katechismus Pius‘ XI. Zurechtkommen. … Dessen Text war die Frucht der persönlichen katechetischen Erfahrungen von Giuseppe Sarto und zeichnete sich aus durch gleichzeitige Schlichtheit in der Anlage und Tiefe des Inhalt. Aus diesem Grund dürfte der Katechismus Pius X. auch in Zukunft noch seine Freunde finden.

Das Denken von Kardinal Cupich – und ebenso das von Jorge Bergoglio und seinem ganzen Umfeld – ist zutiefst gekennzeichnet von der Unfähigkeit zu begreifen, was Tradition ist und was sie für das Wesen der Kirche bedeutet. Ein Messbuch „macht“ nicht die Liturgie, und der Katechismus „macht“ nicht den Glauben – wie Franziskus offenbar annahm, als er es eigenmächtig unternahm, den Abschnitt über die Todesstrafe im aktuellen Katechismus im klaren Widerspruch zur überlieferten Lehre der Kirche neu zu fassen. Aber der Katechismus ist nichts anderes als ein mehr oder weniger zeitgemäßer Ausdruck der überzeitlich gültigen Lehre der Kirche. Ebenso „machen“ nicht ein Messbuch oder ein Expertenkreis die Liturgie, sondern das Beten der Kirche findet seinen keinesfalls uniformen Ausdruck in den Liturgien, die aus ihrem geistigen Leben hervorgehen oder hervorgegangen und in ihren liturgischen Büchern niedergeschrieben worden sind.

In einem weiteren Abschnitt beteiligt sich Kardinal Cupich an dem beliebten Verwirrspiel, das als „Pastoralkonzil“ einberufene II. Vatikanum zum dogmatischen Superkonzil zu verklären, dem bedingungslos Gehorsam zu zollen ist.

Als zweites Leitprinzip bringt der Papst in TC zum Ausdruck, daß alle Katholiken uneingeschränkt anerkennen müssen, daß das zweite Vatikanische Konzil und seine Reformen nicht nur authentischer Ausdruck des Wirkens des heiligen Geistes sind, sondern auch in der der Kontinuität der Tradition der Kirche stehen. Diese Anerkennung bedeutet insbesondere die volle Annahme der liturgischen Bücher, die die heiligen Päpste Paul VI. und Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des II. Vatikanums erlassen haben als den einzigen Ausdruck der lex orandi des römischen Ritus.

Schwer, bei soviel zweifelhaften Aussagen den rechten Ansatzpunkt der Kritik zu fixieren. Die Aussagen der Konzilien können jedenfalls nicht pauschal als „Ausdruck des Wirkens des Heiligen Geistes“ der Kritik entzogen werden – sonst müssten wir Katholiken heute noch darauf bestehen, daß die Juden einen spitzen Hut oder gelben Stern tragen, wie das IV. Lateran es um 1215 beschlossen hat. Und das wäre nicht das einzige hier anzuführende Beispiel. Völlig unmöglich ist es, die Anerkennung des Konzils als „in der Tradition der Kirche stehend“ zu fordern, wenn man gleichzeitig erklärt, daß die vor diesem Konzil mit über 1000-jähriger Tradition praktizierte Liturgie heute nicht mehr Ausdruck der lex orandi der Kirche sein könne. Diese Einforderung wahrhaft jesuitischen „Kadavergehorsams“ wird auch nicht dadurch akzeptabler, daß ständig von den „heiligen Konzilspäpsten“ die Rede ist.

Für den nächsten Absatz, in dem der Kardinal als 3. Leitprinzip von TC die Übertragung der liturgischen Autorität an die Ortsbischöfe feiert, können wir wieder auf den bereits angeführten Artikel von Matthew Hazell verweisen, der in einer Liste von 5 Punkten nachzeichnet, wie tiefgreifend die Neuregelung eben diese Autorität einschränkt.

Und damit endlich zum Hauptabschnitt des Artikels von Kardinal Cupich, in dem der Erzbischof von Chicago die Konsequenzen von TC für die diözesane Praxis der Seelsorge nachzuzeichnen versucht. Zunächst der Wortlaut:

Um in der Seelsorge die Ziele von TC zu erreichen ist es erforderlich, daß wir als Seelsorger die Menschen dabei begleiten, die Verbindung zwischen der Feier unseres Gottesdienstes und unserem Glauben, zu verstehen. Dabei müssen wir das Verlangen des heiligen Vaters berücksichtigen, daß die Seelsorger die Gläubigen zur ausschließlichen Verwendung der reformierten liturgischen Bücher führen sollen. Diese Begleitung kann z.B. in der Form geschehen, daß wir uns mit den Gläubigen, die regelmäßig die Messe und die Sakramente nach den früheren Riten gefeiert haben, treffen, um ihnen dabei zu helfen, die Leitprinzipien der vom II. Vatikanum geforderten Erneuerung zu verstehen. Dazu muß auch gehören, den Menschen dabei zu helfen, es wertzuschätzen, wie die reformierte Messe ihnen einen breiteren Zugang zur heiligen Schrift und den Gebeten der römischen Tradition ermöglicht sowie einen erneuerten liturgischen Kalender bietet, der auch die in jüngerer Zeit kanonisierten Heiligen enthält. Diese Begleitung kann auch bedeuten, auf kreative Weise in die vom Konzil reformierte Messe Elemente aufzunehmen, die sie bei der Feier der früheren Form der Messe als erbaulich empfunden haben. Das war ja auch bisher schon als Option möglich: Ehrerbietige Körpersprache und Gestik. Gregorianischer Choral, Latein und Weihrauch, längere Abschnitte der Stille innerhalb der Liturgie.

Ich denke, daß wir diese Gelegenheit nutzen können, allen unseren Menschen ein volleres Verständnis des großen Geschenkes zu erlangen, das uns das Konzil mit der Erneuerung unseres Gottesdienstes gegeben hat. Ich nehme meine Aufgabe sehr ernst, in einer Weise vorzugehen, die eine Rückkehr zu einer einheitlichen Form der Liturgie in Übereinstimmung mit den Richtlinien von TC voranbringt...

Auch hier weiß man kaum, wo man mit Korrektur und Kritik an diesem Wust von Irrtümern und Fehlern beginnen soll. Zunächst fällt der klerikal-autoritäre Ton auf: Die Anhänger der überlieferten Liturgie und Lehre sind für Cupich (und auch für Franziskus) unmündige Dummerchen, die durch die Hirten (die sich im Übrigen seit Jahrzehnten jeder Leitung und Führung verweigern) endlich auf den richtigen Weg gebracht werden müssen. Der richtige Weg – das sei die „vom II. Vatikanum geforderte Erneuerung“ - obwohl inzwischen vielfach belegt und nachgewiesen ist, daß die von Paul VI. schließlich promulgierte Reform bereits weit über die Liturgiekonstitution des Konzils hinausgeht und selbst wiederum längst im schlechtesten Sinne überholt ist durch das, was in den Seminaren gelehrt und in der Mehrzahl der Gemeinden im Gottesdienst praktiziert wird.

Vom breiteren Zugang zur heiligen Schrift kann nur in einem rein quantitativen Sinne, nämlich nach zitierten Abschnitten, die Rede sein. Inhaltlich – auch das vielfach belegt – zensiert der Novus Ordo sowohl in der Papierform als auch noch mehr in der Praxis die heilige Schrift, um den Gottesdienstteilnehmern „schwierige Stellen“ zu ersparen. Noch mehr gilt das für die „Gebete der römischen Tradition“, die gerade noch zu 13-17% in der angeblich erneuerten, in Wirklichkeit jedoch revolutionierten und verfälschten neuen Liturgie zum Ausdruck kommen. Schlichtweg lächerlich ist dann noch der Hinweis, ein paar formale Anleihen bei der Tradition könnten die Umgewöhnung erleichtern – als ob die an der Tradition festhaltenden Teilnehmer an der überlieferten Liturgie durch ein wenig Weihrauchnebel nicht wahrnehmen könnten, was ihnen alles an Inhalt vorenthalten wird.

Die „erneuerte Liturgie“ ist nicht mehr die Liturgie der römischen Kirche von zwei Jahrtausenden, sondern hat mit dieser Tradition in vielem gebrochen. Das zu behaupten, konnte einem bis vor einem halben Jahr noch den Vorwurf einbringen, eine irrige „Hermeneutik des Bruches“ zu verfolgen. Seit Traditionis Custodes, in dem klar ausgeführt.wird, das die überlieferte Liturgie nicht mehr dem Gesetz des Betens und des Glaubens der neuen Kirche entspricht, ist die „Hermeneutik des Bruches“ offizielle Sichtweise von Papst und Kurie und Richtschnur für das Handeln von Ortsbischöfen wie Cupich. Die von Franziskus und Cupich als Motivation ihres Handelns – mißbräuchlich und höchst wahrscheinlich auch gegen besseres Wissen – beschworene „Einheit der Kirche“ wird damit aufs schwerste gefährdet.

Der und die Nachfolger von Franziskus treten ein schweres Erbe an. Sie müssen und sie werden umkehren, was Franziskus als „unumkehrbar“ in Lehre und Leben der Kirche einzupflanzen versucht hat.

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