Dynamisierung um jeden Preis - Osterliturgie 5
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- 28. März 2015
Für alle Liturgien der Tage vom Palmsonntag bis Ostern gilt in besonderem Maße Baumstarks Gesetz – daß nämlich eine Liturgie umso eher alte und altertümliche Züge bewahrt, je höheren Rang das Fest hat, dessen Feier sie dient. Die Liturgien der Hohen Woche haben tatsächlich in großem Umfang Abläufe und Elemente bewahrt, die in die früheste Zeit zurückgingen, weil hier fromme Ehrfurcht den stets wirksamen Tendenzen zur Verschleifung und Vereinfachung Einhalt gebot – bis die Bugninisten dem Machbarkeitswahn auch hier freie Bahn schufen. Und so blieb am Palmsonntag buchstäblich kein Stein auf dem anderen.
Die Liturgie dieses Sonntags besteht im Grundsatz aus drei Teilen: Der Palmweihe, der Palmprozession und der anschließenden Messfeier. Die beiden ersten wurden 1951 grundlegend umgestaltet, beim dritten kam die eigentliche Revolution erst 1970 – was nicht heißt, daß es dort bei der ersten Reformwelle keine Veränderungen gegeben hätte. Doch der Reihe nach:
1. Die Palmweihe
In der Palmweihe war für den römischen Ritus eine Tradition erhalten geblieben, deren Ursprünge weit in die Spätantike zurückreichen. Die Weihezeremonie erfolgte in einer Abfolge von Einzug, Lesungen, Weihepräfation und anschließender kanonartiger actio, wie sie auch die hl. Messe selbst prägt. Bei der Beschreibung der älteren Form der Weihe der Osterkerze haben wir diese Abfolge bereits kennengelernt, und bei der Weihe des Taufwassers wird er uns erneut begegnen. Eine ausführlichere Darstellung der Einzelheiten der Palmweihe im Anschluss an Ildefons Schuster haben wir bereits vor zwei Jahren gebracht. Hier geht es weniger um die Sache selbst als um ihre Positionierung innerhalb der Liturgieentwicklung zwischen organischem Wachstum und Revolutionierung.
Bereits im Mittelalter ist der Sinn dieser Weiheliturgien beschädigt worden oder sogar ganz verlorengegangen – das scheint uns aus der Bezeichnung und auch der Praxis der „Missa sicca" hervorzugehen, als die solche Liturgien benannt und teilweise auch losgelöst von Konsekrationen jeder Art durchgeführt wurden. Wenn man von der fertigen Gestalt der hl. Messe ausgeht, mag eine Weiheliturgie wie die der Palmzweige als eine „trockene Messe" erscheinen, da ihr ja das wesentliche Element der Messe, die Konsekration von Brot und Wein als Leib und Blut Christi und das heilige Opfer, abgeht. Geht man jedoch von einer allgemeinen Form der Weiheliturgie aus, sehen die Dinge anders aus: Die hl. Messe erscheint dann als ein Sonderfall einer Konsekration mit höchstmöglichem sakramentalen Rang – aber die anderen Konsekrationen, die in dieser Form vorgenommen werden, erfahren eine beträchtliche Aufwertung: Es geht eben nicht um eine mehr oder weniger bedeutungs- und funktionsrarme „Weihe" eines Leuchtmittels oder von Winkelementen. Es geht um einen sakramentalen Vollzug, durch den die konsekrierten Gegenstände – hier also Osterkerze oder Palmwedel – ihren eigenen Stellenwert als sichtbare und wirkmächtige Zeichen für das Gnadenhandeln Gottes in der Heilsgeschichte damals wie heute erhalten. Formal wird das noch dadurch unterstrichen, daß die der Weihepräfation folgendenOrationen der „actio" hier eine ähnlich komplexe Struktur aufweisen wie die Kanongebete des Ordo Missae.
Das Bewußtsein für solche Sakramentalien scheint in der Kirche des Westens, die anders als der Osten die Sakramente und Sakramentalien früh definiert und abgezählt hat, schon ebenso früh abgeschwächt worden zu sein. Immerhin konnten sich die entsprechenden Weiheliturgien – Baumstark läßt grüßen – in der Heiligen Woche noch über Trient hinaus halten. Im zwanzigsten Jahrhundert war dann aber auch die Pietät, die sie bis dahin konserviert hatte, erloschen. Die überlieferte Weiheliturgie der Osterkerze wurde durch eher banale Weihegebete ersetzt, die formal erhalten gebliebene Weihepräfation des Exultet ihres eigentlichen Inhalts und ihrer Funktion entleert. Die Weiheliturgie der Palmweihe traf es noch härter: Sie wurde bis auf kümmerliche Restbestände einfach abgeschafft. Der Schott von 1963 sieht durchaus zutreffend für die Palmsonntagsliturgie nur noch zwei Bestandteile: „Die heutige Liturgiefeier besteht aus zwei Teilen, die verschiedenes Gepräge haben: Aus der feierlichen Palmprozession mit vorausgehender Palmweihe und aus der Meßfeier.“ Das kurze Gebet zur Palmweihe knüpft nur noch formal an die alte sakramentale Funktion an:
Herr, wir bitten, segne diese Zweige und gib, daß Dein Volk, was es heute zu Deiner Verehrung tut, auch geistig mit ganzer Hingabe vollbringe, daß es den Sieg erstreite über den Feind und innigst liebe das Werk Deiner Barmherzigkeit.“
Es wird den Rubriken nach im Ferialton gesungen; dem folgt sofort der Übergang zur Prozession durch das Austeilen der Zweige unter dem Absingen von Psalm 23 (teilweise) und Psalm 46.
Bevor wir zur Prozession übergehen können, muss aber noch ein bemerkenswertes Element der Rubriken benant werden. Der 1955 erlassene Ordo stellt ausdrücklich fest, daß die Palmweihe so auf einem Tisch im Altarraum vorzunehmen ist, daß die Gläubigen die Weihe beobachten können, und daß der Priester sich dabei den Gläubigen zuwenden soll. Damit wird erstmals die bisher im lateinischen Ritus eingebürgerte Hinwendung aller liturgischen Abläufe auf Kreuz und Altar aufgebrochen und durch die Gegenüberstellung von Priester und Gemeinde abgelöst. Dabei verfängt auch nicht die heute gerne gebrauchte Erklärung, Priester und Gemeinde wendeten sich ja auch bei der neuen Ordnung gemeinsam dem durch Altar und Kreuz verkörperten Christus zu, denn der zur Palmweihe nach neuem Ritus hereingetragene Tisch war eben kein Altar, sondern eine ganz gewöhnliche Kredenz oder Theke.
Eher als Kuriosität zu vermerken ist, daß der Ordo der Palmweihe ausdrücklich bestimmte, die Palmzweige zunächst zu inzensieren und dann mit Weihwasser zu besprengen – während für die Weihe der Osterkerze genau das Gegenteil angeordnet wurde.
2. Die Palmprozession
Die Palmprozession wurde von den Reformen – zumindest auf den ersten Blick – weniger einschneidend verändert. Der Umfang ist in etwa erhalten geblieben; was an Orationen und Antiphonen wegfiel, wurde durch die neu aufgenommenen Psalmen ausgeglichen. Die äußeren Elemente von überlieferter Form und Reform-Version hat László Dobszay ausführlich beschrieben – hier unsere Übersetzung. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Formen liegt auf der Ebene der Inhalte. In der überlieferten Form war die Palmprozession eine Art re-enactment des Einzugs Jesu in Jerusalem als Auftakt zur Leidensgeschichte. Die Antiphonen sind dementsprechend größtenteils aus dem neuen Testament genommen und beschreiben ganz konkret dieses historische Ereignis. Durch das Tragen der feierlich konsekrierten Palmzweige reihen sich die Prozessionsteilnehmer in sakramentaler Weise in die überzeitlich fortdauernde Realität des damaligen Geschehens in Jerusalem ein. In teilweiser Nachahmung der von Egeria aus dem 4. Jahrhundert beschriebenen Prozessionen an den Originalschauplätzen in Jerusalem führte die Palmprozession in vielen Orten des Westens von einer Kirche, in der die Palmweihe stattgefunden hatte, zu einer anderen für die Messfeier.
Die neue Form der Prozession von 1951/55 läßt den sakramentalen Charakter dieses Rückbezuges zugunsten einer beträchtlichen Emotionalisierung verblassen, indem hinter jedem Vers der anstelle der früheren Orationen neueingeführten Psalmen die Antiphon Pueri Haebreorum respondiert wird, die früher nur an einer Stelle gebräuchlich war. Durch die Wahl dieser Psalmen selbst, die durch die Überschriften „Der Einzug des Gottkönigs in sein Heiligtum“ (Ps. 23) und „Der siegreiche Gottkönig“ (Ps. 46) eingeleitet werden, wird eine massive Akzentverschiebung eingeleitet: Das konkrete historische Geschehen, das den Auftakt der Leidensgeschichte bedeutet, tritt zurück, der Blick überspringt den Kalvarienberg und richtet sich unmittelbar auf den Sieger über Kreuz und Tod am Auferstehungstag. Damit verändert auch der aus dem alten Bestand übernommene Hymnus Glorai, laus et honor seinen Aspekt. Der Opfertod am Kreuz, das Ärgernis für die Welt von Anfang an, wird in die Wortlosigkeit abgedrängt. Eine stets naheliegende Gefahr, wo sich die Sprachregelung vom „Paschamysterium“ an die Stelle der überlieferten Redeweisen drängt.
Der Ablauf der Prozession wurde vereinfacht, als liturgische Farbe war nun Rot statt des früher üblichen Violett vorgeschrieben. Das Prozessionskreuz wurde nicht mehr verhüllt, während alle anderen Kreuze nach wie vor verhüllt blieben.
3. Die Messfeier
Die Veränderungen am Ordo Missae waren bei der Neuordnung von 1951/55 am zurückhaltendsten – kein Wunder, ging es doch zunächst nur um die Messen an den Tagen der Heiligen Woche. Am Palmsonntag ging die Prozession nun bruchlos in den Introitus über – das Stufengebet wurde komplett weggelassen. Eine wirklich umstürzende Maßnahme war das nicht. In der Passionszeit entfiel der Psalm Judica ohnehin an vielen Tagen, und in vielen Konventen wurde auch früher schon alles bis zum Introitus weggelassen, wenn zuvor eine andere Liturgie stattgefunden hatte.
Veränderungen gab es auch beim Vortrag der Passion. Traditionell gab es eine Pause zwischen dem Hauptteil der Passion, die von drei überzählichen Diakonen mit verteilten Rollen gesungen wurde, und dem letzten Teil, der vom Diakon des Hochamts als Tagesevangelium vorgetragen wurde. Diese Unterscheidung entfiel – und damit auch die allegorische Deutung, wonach diese Pause und der darin stattfindende „Szenenwechsel“ das Erschrecken der Kreatur angesichts der Ungeheuerlichkeit vom Tod des Gottmenschen am Kreuz darstellen sollte. Außerdem wurde der Text der Passion verkürzt – dabei entfiel auch der Teil, der in der Gregorianik durch eine besondere Melodie die Klage der Kirche über das Sterben des Erlösers ausdrücken sollte. Die neuen Rubriken eröffneten ferner die Möglichkeit, die Passion, die bisher immer gesungen werden musste, auch im Leseton vorzutragen.
Mit der Ordnung von 1955 wurde den Diakonen und Subdiakonen für die Heilige Woche das Tragen von Dalmatik/Tunika vorgeschrieben. Die vorher vielfach übliche planeta plicata (eingeschlagene Kasel) entfiel – freilich nur in der heiligen Woche, an den anderen Tagen von Fastenzeit und Advent wurde sie bis zur endgültigen „Abschaffung“ in der Mitte der 60 Jahre beibehalten – theoretisch. Das sind keine wirklich umstürzenden Neuerungen, aber durchaus Indizien dafür, daß die Reformen zumindest teilweise dem Grundsatz folgten: Hauptsächlich anders als bisher; „Dynamisierung“ um jeden Preis.
Auf der Website der liturgisch extrem konservativen episkopalen St. Clement's Church in Philadelphia finden sich zahlreiche Bilder von Liturgien in den Formen vor 1950.