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Der Charakter der Palmprozession - Osterliturgie 6

Im Beitrag über den Palmsontag konstatierten wir die 1955 festgeschriebene einseitige Umdeutung der Palmprozession von einer Rückerinnerung an den Beginn der Leidenstage zu einem vorausgreifenden Jubel über Christus, König und Besieger des Todes. Unter einem höchst praktischen Aspekt wurde diese Frage bereits im 12. Jahrhundert diskutiert: War die Prozession Ausdruck der Auferstehungsgewissheit, konnte sie mit der damals noch allsonntäglich stattfindenden Osterprozession vor dem Hochamt zusammengelegt werden. Betonte sie eher den Passionsaspekt, musste sie diese verdrängen oder noch besser zusätzlich dazu durchgeführt werden. Rupert von Deutz spricht sich in De Divinis Officiis ganz klar für den Charakter der Prozession als Passionsgedenken aus:

Zu Recht hat es denen, die sorgfältig auf die Autorität des Evangeliums achten, gefallen, die heutige Palmprozession, mit der wir ohne jeden Zweifel das Andenken an das Leiden unseres Erlösers erneuern, nicht der sonntäglichen Prozession zuzuzählen, mit der wir an allen Sonntagen das Gedächtnis seiner glorreichen Auferstehung feiern. Bekanntlich kann ja Entgegengesetztes oder Widersprüchliches nicht in ein und derselben Handlung zugleich ausgeführt werden. Diese Prozessionen aber unterscheiden sich deutlich voneinander und sind einander entgegengesetzt. Was nämlich ist der Trauer mehr entgegengesetzt als die Freude, dem Tod mehr als das Leben, dem Untergang mehr als die Auferstehung? (...)

(Es) weiß nun jeder, daß die jährliche Palmprozession die Ankündigung des Leidens ist und daß diese Ankündigung um unserer Wiederherstellung willen mit einem Akt der Frömmigkeit erneuert wird.“

Im folgenden gibt Rupert dann auch noch eine Information darüber, wie zumindest in seinem Erfahrungsbereich die Doppelung der Prozession praktisch gehandhabt wurde: Die Auferstehungsprozession erfolgte stets vor der Terz, die dem Hochamt vorausging; die „Prozession zum Preis des Geheimnisses des Leidens des Herrn“ wurde nach der Terz abgehalten. Beim Wort „Prozession“ wird man in der Regel nicht an große öffentliche Umzüge im Sinne einer Fronleichnamsprozession zu denken haben. Es geht eher um einen Umzug des Klerus und von Teilen der Mitfeiernden innerhalb der Kirche oder um die Kirche - die orientalischen Liturgien haben solche„Einzüge“ bis zum heutigen Tag als reguläres Element bewahrt.

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