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Vorwärts immer, rückwärts nimmer!

Bild: Aufnahme Felici, gemeinfrei, wikimedia commonsIn der vergangenen Woche hielt Erzbischof Roche, seit Mai dieses Jahres Präfekt der Gottesdienstkongregation, die Festrede zur Eröffnung des akademischen Jahres an der Benediktinerhochschule Sant‘Anselmo in Rom. Kernstück seines Vortrags, den wir hier in englischer Sprache als PDF zum Download anbieten, war die Behauptung der „Unumkehrbarkeit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils“. Dabei berief sich Roche auf Aussagen des „Konzilspapstes“ Paul VI., der seine Liturgiereform „mit Gewissheit und lehramtlicher Autorität“ für irreversibel erklärt habe. Das Messbuch von Paul VI. sei das „reichhaltigste Missale, das die Kirche je hervorgebracht“ habe. Es gründe nicht einfach in der Leistung „eines klugen Geistes“, sondern sei entstanden „durch Gottes Hand mit Hilfe des reichen biblischen und patristischen Erbes zusammen mit dem Lehramt der Kirche“.

Nun entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn ausgerechnet in den Tagen, in denen so ziemlich jede Lehre der Kirche für umkehrbar oder zumindest zur Unkenntlichkeit veränderbar erklärt wird, einzig die neuschöpferische Festsetzung eines Ritus eine Ewigkeitsgarantie erhalten sollte, aber da ist noch mehr. Die Liturgie Pauls VI. ist natürlich nicht die „DES KONZILS“, dessen Dokument Sacrosanctum Concilium sie in vielen Punkten widerspricht. Sie gründet auch nicht in der Leistung eines „klugen Geistes“ (der Paul VI. zweifellos war, aber dennoch in vielem dem Irrtum erlegen), sondern in den zahllosen Fehlleistungen eines Kreises von Wissenschaftlern, die dazu neigten, den sehr beschränkten Kenntnisstand ihres akademischen Jahrgangs für den Höhe- und Endpunkt der wissenschaftlichen Entwicklung zu halten. Wie seitdem Uwe M. Lang (Conversi ad dominum), Stefan Heid (Altar und Kirche) und viele andere aufgezeigt haben, sind Theologie und Archäologie längst weiter fortgeschritten und haben in der Tat einige von den vermeintlichen Erkenntnissen der 60er Jahre des verflossenen Jahrhunderts umgekehrt.

Am irritierendsten aber ist die Behauptung von Arthur Roche, das Missale Pauls VI. sei das „reichhaltigste Missale, das die Kirche je hervorgebracht“ habe.

Hier geht es weiter Zusammen mit der Aussage von Franziskus, in jenem Missale seien „alle Elemente des Römischen Ritus zu finden, insbesondere der Römischen Kanon“, sind diese Behauptungen zentrale Elemente eines Mythos, der viel mit Ideologie, aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Das Gegenteil ist richtig: Der Ritus Pauls VI. ist die inhaltlich abgemagertste und formal bis zum Gehtnichtmehr trivialisierte Form der gottesdienstlichen Feier, die es in der katholischen Kirche – mit Ausnahme von Notsituationen wie in Gefangenenlagern oder Untergrundkirchen – jemals gegeben hat. Der von Roche mit Stolz angeführte Umstand, daß das NO-Missale vier dickleibige Bände umfasst, sollte niemanden täuschen.

Wie Mathew P. Hazell in seinem akribisch zusammengestellten „Index Lectionum“ nachgewiesen hat, enthält des vielgerühmte Lektionar zwar wesentlich mehr Masse als jede dem vorausgehende Fassung – aber es ist systematisch von fast allen Aussagen gereinigt, die dem modernen Zeitgeschmack schwer verständlich oder unangenehm sind. Hazell hat dann mit anderen Untersuchungen nachgelegt: Auch der Heiligenkalender wurde von vielen heute als anstößig empfundenen Gestalten bereinigt, und im Widerspruch zu der Behauptung von Franziskus enthält das Missale von 1969 nur einen Bruchteil der Orationen aus dem Missale von Pius V. Bei genauerem Hinsehen sind tatsächlich nur 14% unzensiert aus dessen Bestand übernommen. Und was den von Franziskus in seinem Begleitbrief zu Recht als „eines der charakteristischsten Elemente“ des römischen Ritus bezeichneten römischen Kanon betrifft, so ist er nicht nur theologisch seit der Liturgiereform „umstritten“, sondern zumindest in Mitteleuropa aus der gottesdienstlichen Praxis fast vollständig herausgedrängt – und das in Deutschland so weit, daß das offizielle „Gotteslob“ ihn in seiner aktuellen Auflage gar nicht mehr enthält.

Der Ritus Pauls VI., der allsonntäglich in fast allen deutschen Pfarrkirchen veranstaltet wird, mag ein rechtmäßig angeordneter Ritus der Kirche sein und von seinen Anhängern als „unumkehrbare“ Errungenschaft gefeiert werden – der römische Ritus, der seit der Zeit von Papst Gregor dem Großen in der Kirche des Westens zelebriert wird, ist er definitiv nicht.

Seine (und der anderen „reformierten“ Riten) sakramentale Wirksamkeit zu beurteilen, übersteigt in jeder Hinsicht unsere Kompetenz. Aber es ist erlaubt, einen Blick auf seine pastorale Wirksamkeit zu werfen – pastorale Überlegungen, so sagt man uns, waren schließlich ausschlaggebend für seine Einführung und begründen auch die Entschlossenheit zu seiner Beibehaltung. Wenn wir als Maßstab hier das Glaubensbewußtsein heranziehen, das auf dem dafür doch zweifellos repräsentativen „Synodalen Weg“ demonstriert wird und – unter anderem – dazu führt, über die weitere Notwendigkeit des Priestertums diskutieren zu wollen, dann drängt sich ein hartes Urteil auf: Eine pastorale Wirksamkeit ist nicht feststellbar, zumindest nicht im Positiven. Nach 60-jähriger Praxis hinterläßt der „Ritus des hl. Konzilspapstes Paul VI.“ nicht nur in Deutschland eine geistige Wüste, in der große Teile des „pilgernden Gottesvolkes“ samt seiner Hirten der Apostasie zustreben. Dieser seit 1969 eingeschlagene Weg erscheint tatsächlich als unumkehrbar, der Ritus des Konzils schafft sich selbst ab.

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Die Überschrift „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ zitiert einen Satz aus der Rede des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 – einen Monat bevor der Fall der Berliner Mauer den Zusammenbruch seines Regimes vor den Augen der ganzen Welt offenbarte.

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