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Aufbruch aus der Hölle

Wo sich heute unser Blick an Ostern vor allem auf das leere Grab und den Auferstandenen in seiner Glorie richtet, stand den Gläubigen im Mittelalter mindestens ebenso deutlich ein anderes und vielleicht noch stärkeres Bild vor Augen. „Hinabgestiegen in die Hölle“ sprengt der Auferstandene die Pforten der Vorhölle, in der die Gerechten des Alten Bundes auf die ihnen verheißene Erlösung warteten. Zahllose Buchmalereien vor allem aus dem angelsächsischen Raum geben ein plastisches Bild davon, wie Christus den Rachen der Unterwelt aufreißt, um die Seelen der Gerechten als Siegesbeute mit sich in das Paradies zu führen. In den Kirchen des Ostens wird das Motiv auch in der Ausmalung von Kirchen verwandt, im Western eher selten.

Die Evangelien berichten – wenn überhaupt – nichts Eindeutiges von dieser Höllenfahrt. Hauptquelle sind bis in das zweite Jahrhundert zurückreichende Teile der apokryphen „Pilatusakten“, die bei aller späteren romanhaften Ausschmückung wertvolle Informationen zu den allerfrühesten Überlieferungen enthalten und als solche auch von den Kirchenvätern anerkannt und genutzt wurden. Das „descendit ad inferos“ des apostolischen Glaubensbekenntnisses, in modernen Übersetzungen durchaus vertretbar wiedergegeben mit „hinabgestiegen in das Reich des Todes", gehört deshalb unbestreitbar zu den frühesten Glaubensaussagen der Christenheit.

Die „Pilatusakten“ bzw. deren spätere (aus dem frühen 4. Jahrhundert stammende erweiterte) Version, das „Nikodemus-Evangelium“, bieten von dieser Höllenfahrt einen über 350 Zeilen langen hochdramatischen Bericht (hier in Griechisch mit deutscher Übersetzung im Netz) in dessen Zentrum der Dialog zwischen Satan, dem „Erben der Finsternis“, und seinem unterirdischen Statthalter Hades steht.

Das Erdbeben, das den Tod Jesu am Kreuz begleitet, ist auch in der Unterwelt vernommen worden. Hades zeigt sich erschüttert und fürchtet um den Bestand seiner (geliehenen) Macht. Satan macht ihm Mut:

Allesverschlingender und unersättlicher Hades, du bist in solche Angst geraten, da du von unserem gemeinsamen Feind hörtest? Ich hatte keine Angst vor ihm, sondern wirkte auf die Juden ein, und diese kreuzigten Ihn und gaben ihm zu trinken Galle mit Essig. Sei also bereit, nun, wenn er kommt, dich sicher seiner zu bemächtigen.“

Damit kann er aber den Hades, dem erst kurz zuvor auf unerhörte Weise ein gewisser Lazarus entrissen worden war - das dünkt ihm ein übles Vorzeichen - nicht recht überzeugen. So streiten und beratschlagen sie lange hin und her. Doch dann ertönt von draußen der Ruf:

Öffnet, ihr Herrscher, eure Tore, gehet auf ewige Pforten! Einziehen wird der König der Herrlichkeit.“(Ps 23,7)

Daraufhin läßt Hades die Pforten der Hölle für den Sturm befestigen. Aber die von ihm gefangen gehaltenen Vorväter halten ihm die Schrift vor, in der dazu seit David und Jesaia vorhergesagt ist:

Die Toten werden auferstehen, und die in den Gräbern werden auferweckt werden, freuen werden sich die unter der Erde (Ps 26,19). Tod, wo ist dein Stachel, Wo ist, Hades, dein Sieg?“

So fragt schließlich Hades: Wer ist dieser, der König der Herrlichkeit? Und der Einlass verlangende Engel des Herrn vor dem Tor erwidert:

Der Herr, gewaltig und mächtig, der Herr, mächtig im Krieg! (Ps 24).Und zugleich mit diesem Bescheid wurden die ehernen Tore zerschlagen und die eisernen Querbalken zerbrochen und die gefesselten Toten alle von ihren Banden gelöst und wir mit ihnen. Und es kam herein der König der Herrlichkeit wie ein Mensch, und alle dunklen Winkel des Hades wurden licht.“

Der Auferstandene läßt sich dann nicht in lange Dialoge verwickeln, sondern packt alsgleich den Satan am Hals und läßt ihn von seinen Engeln mit Eisenketten an Händen und Füßen fesseln. Darauf kommt es zu einer uns Heutigen eher unerwarteten, in der Antike aber unmittelbar einleuchtenden Wendung:

Dann übergab er ihn Hades und sprach: Nimm Ihn und halte Ihn fest bis zu meiner zweiten Ankunft! Und Hades nahm Satan in Empfang und sprach zu ihm: Beelzebul, Erbe des Feuers und der Pein, Feind der Heiligen, was zwang dich, den Kreuzestod des Königs der Herrlichkeit ins Werk zu setzen, so daß er hierhin kam und uns entmachtete? Wende dich um und schaue, daß kein Toter bei mir zurückgeblieben ist und daß du alles, was du durch das Holz der Erkenntnis gewonnen, durch das Holz des Kreuzes verloren hast!

Christus aber nimmt den Urvater Adam bei der Hand und führt ihn zusammen mit den anderen Vorvätern, Propheten, Märtyrern und Urmüttern aus der Hölle hinaus zum Paradies. Dabei singen die Erlösten Psalm 118: Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn, Alleluja. Ihm gebührt die Herrlichkeit von allen Heiligen.

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Wie das Nikodemus-Evangelium sich den Fortgang der Geschichte vorstellt und wen die Heiligen bei der Ankunft vor dem Paradies dort antreffen, haben wir hier nachgezeichnet.

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