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Die verlorenen Feste - II

Bild: Wikimedia, Gustavo La Pizza, CC BY-SAHeute ist also der zweite Termin unserer „Oktav der verlorenen Feste“: Das „Fest des hl. Johannes, Apostels und Evangelisten, von der lateinischen Pforte“, Farbe rot - wie bei Märtyrerfesten. Es gedenkt einer alten Erzählung, nach der der Apostel Johannes mit seiner Missionstätigkeit den Unmut der römischen Staatsgewalt erregte und deshalb wie seine Mitapostel Petrus und Paulus als Gefangener nach Rom gebracht wurde, um ihm den Prozess zu machen. Der habe vor der (heute noch zu besichtigen) Porta Latina stattgefunden, und nach vielen Foltern sei der Apostel zur Vollstreckung des Todesurteils in siedendes Öl geworfen worden. Doch der Herr habe ihn wunderbar daraus errettet, so daß er „stärker und reiner als zuvor“ (so das Martyrologium) hervorgegangen sei, um seine Mission fortzusetzen.

Man sieht geradezu, wie sich bei solchen Erzählungen Unmutsfalten auf der Stirn moderner Theologen bilden und sie allen Scharfsinn aufbieten, um uns zu erklären, daß dieses a) unmöglich tatsächlich stattgefunden haben könne und deshalb b) das unmögliche Fest aus dem Kalender der Kirche zu streichen sei. Und mit a) haben sie ja vermutlich auch recht: Es ist extrem unwahrscheinlich, daß der Apostel, der nach dem wenigen, was wir über ihn wissen, sicher kein römischer Bürger war, nach Rom gebracht und dort vor Gericht gestellt worden wäre.

Aber folgt daraus wirklich auch b)? Wäre es denn so unmöglich, rund um dieses Gedenken eine Katechese zu entwickeln, die es für den „modernen Menschen“ nicht nur akzeptabel, sondern ebenso liebens- (und glaubens)wert machte wie für unsere Vorfahren?

Doch darum geht es den Leuten mit den Unmutsfalten auf der Denkerstirn zuletzt. Schon der Gedanke des Martyriums bereitet ihnen Unbehagen (ach, wie recht sie haben). Die Rede von barbarischen Foltern und scheußlichen Hinrichtungsarten ist ihnen zutiefst zuwider, und zwar nicht nur, weil jeden, der davon hört, zu recht grausiges Schaudern überkommt – neben der bangen Frage: Und wie würde ich auf solche Drohung reagieren? Da ist noch mehr, das weit über die individualpsychologische Ebene hinausgeht. Hier geht es weiter All diese Märtyrergeschichten und -legenden widersprechen der Grundüberzeugung der modernen Theologie, daß der Mensch doch im Grunde gut und der Mitmenschlichkeit zugeneigt sei. An historische Grausamkeiten zu erinnern sei nicht hilfreich für die gedeihliche Weiterentwicklung der Menschheit (zumindest, solange diese Grausamkeiten nicht von alten weißen Männern europäischer Prägung begangen worden sind). Und dann dieses Rettungswunder! Es widerspricht nachgerade einem Grunddogma der modernen Dogmenzertrümmerer: Nämlich daß Gott, falls es ihn überhaupt geben sollte, jedenfalls nicht in das Erdengeschehen eingreife, weder mit strafender, noch mit rettender Hand. Und so bietet der in der Tat historisch höchst unwahrscheinliche Ausgangspunkt des heutigen Festes willkommenen Anlaß, durch seine Tilgung aus dem Kalender den Geltungsbereich der modernen Grundüberzeugungen zu erweitern.

Was wäre eine Alternative gewesen? Eine untere Ebene wäre der rationalistische Ansatz, die unbestreitbare Tatsache, daß in Rom Christen vor den Stadttoren gefoltert und getötet wurden, zum Ausgangspunkt einer Überlegung zu nehme, wonach die Erinnerung an irgendeinen ansonsten unbekannten dort mißhandelten oder getöten „Johannes“ später in die (praktisch nicht vorhandene) literarische Lebensgeschichte des Apostels Johannes integriert worden sei. Und gab es nicht im mittelalterlichen Recht einen Grundsatz oder zumindest eine Gewohnheit, mißlungene Hinrichtungen – ja, so etwas kam vor! – im Sinne eines Gottesurteils zu verstehen und den Überlebenden zu begnadigen? Schon haben wir die Bausteine der Erzählung zusammen!

Der rationalistische Ansatz könnte die Legende retten, kaum jedoch ihren geistlichen Inhalt – und erst der rechtfertigt den Platz des „unmöglichen" Festes im Kalender. Dem geistlichen Inhalt kommt man näher, wenn man das schier unglaubliche Wunder ins Auge fasst, daß der verlorene Haufen der Anhänger dieses um das Jahr 30 hingerichteten Unruhestifters Jesus innerhalb weniger Jahrzehnte im ganzen Raum des östlichen Mittelmeers und bis an den Euphrat, ja schon darüber hinaus, Anhänger fand und Gemeinden gründete, so daß die „Bewegung“ schon bald den Kaiser in Rom beunruhigte. Welche persönlichen Opfer die Apostel dabei auf sich nahmen – und wie sehr sie von der Hand Gottes geführt wurden – ist den mit dem Namen des hl. Paulus verbundenen Schriften zu entnehmen, deren Historizität selbst dann schwerlich zu bestreiten ist, wenn auch dort die eine oder andere biographische Episode aus einem anderen Apostelbericht eingeflossen sein sollte.

Es hat Verkünder des Evangeliums gegeben, die wegen ihres unermüdlichen Einsatzes für die Lehre des Gekreuzigten vor den Stadttoren gefoltert und getötet wurden. Es hat Glaubenszeugen gegeben, die durch Willen und Hand Gottes aus äußerster Not und vorzeitigem Tod gerettet wurden – und alles zusammen bildet das große Wunder hinter dem heutigen Festgedanken, den man nicht verwerfen kann, ohne die Kirche selbst zu verwerfen.

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