Hl. Messe in der Furcht des Herrn
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- 15. Oktober 2020
Geradewegs ins Zentrum unseres Glaubens und der Liturgie, in der er sich verkörpert trifft ein Artikel von Michael F. Foley auf New-Liturgical Movement: „Gottes Züchtigung im überlieferten Römischen Missale“. Um die Verständnishürde angesichts des außer Gebrauch gekommenen Wortes „Züchtigung“ gleich als erstes anzugehen: „Züchtigung“ ist nicht gleichbedeutend mit Strafe, sondern erfaßt einen weiter reichenden Begriff. Strafe, gerechte Strafe, verhängt Gott (oder eine geordnete Gesellschaft) gegen einen Schuldigen – um ihn zu bessern, um die Gesellschaft zu schützen, um die verletzte Ordnung wieder ins Recht zu setzen. „Züchtigung“ schließt keine dieser Bedeutungen aus – aber sie umfaßt auch Maßnahmen, die sich nicht gegen einen Schuldigen richten, sondern aus väterlicher Fürsorge als Ermahnung, Einübung von Tugend oder Aufruf zur Besserung an (noch) nicht Schuldige richten – also nicht „gegen“, sondern „für“ ihn. Und schon allein die hier gebrauchten Worte und Begriffe, von denen einige reichlich ungewohnt daherkommen, lassen ahnen, daß der Artikel, dessen Anlaß die Corona-bedingte Aktualität der Missa in Tempore Mortalitatis ist, mit seiner Argumentation auch geradewegs ins Zentrum der Verfallsgeschichte von Glauben und Kirche im letzten Jahrhundert treffen.
In Missale von 1962, nach dem diese Votivmesse heute noch vorgesehen ist, kommt der Begriff der „Züchtigung“ (als castigo oder castigatio) in zwei Lesungen und in acht verschiedenen Gebeten vor – in den meisten Fällen als selbst-auferlegte Züchtigung, als freiwilliges sich selbst in Zucht-nehmen, um die Neigung zur Sünde zurückzudrängen,den Blick auf die überirdischen Güter zu öffnen und den Weg dorthin zu erleichtern. Doch zumindest an einer Stelle, nämlich in der Postcommunio der Votivmesse im Angesicht von Unwetter, ist auch von der Züchtigung durch Gott die Rede, die nicht als Strafe für begangenes Unrecht, sondern als allgemeine Mahnung und Ansporn zum Guten erfolgt: Dort wird Gott angesprochen als „der Du uns durch Züchtigung heilest und durch Vergebung errettest“. Die hier zugrunde liegende Vorstellung kann sich biblisch unter anderem auf den 2. Brief an die Korinther und den Hebräerbrief stützen, wonach der Herr die züchtigt, die er liebt, und diese Züchtigung geradezu ein Ausweis dessen ist daß er als Vater die Menschen als seine Kinder angenommen hat. (Ausführlich in Hebr. 12, 4-11)
Das ist eine durchaus unpopuläre Vorstellung in einer Zeit, die alles Männliche verabscheut und die Väter, den Vater am liebsten abschaffen möchte. Von daher ist es leicht erklärlich, daß bereits die leiseste Andeutung, in einer Seuche wie Corona auch eine Züchtigung Gottes zu sehen, in der Kirche schärfsten Widerspruch hervorrufen mußte – Foley nennt Beispiele. Die Seuche als eine unwillige Reaktion der von ihren menschlichen Bewohnern mißhandelten Erde zu deuten, war demgegenüber viel leichter akzeptabel.
Nun tut sich der „moderne Mensch“ in seinem Allmachtswahn ohnehin schwer mit dem Begriff der Seuche (pestilentia), wie er das Leben und das Bewußtsein der Menschen seit Jahrtausenden geprägt hat. Der technisch-zivilisatorische Fortschritt schien dem ja auch ein Ende gemacht zu haben, und insoweit war es nur folgerichtig, daß die Votivmesse „in Zeiten der Seuche“ in der neuen Messe Papst Pauls VI. keinen Platz mehr fand. In dieser Messe kommt das Wort Züchtigung zwar nicht explizit vor, ist aber als Vorstellung durchaus präsent, wenn die Lesung von dem Engel berichtet, der das vom Weg Gottes abirrende Israel in der Wüste mit Pestilenz geschlagen hatte.
Im Zusammenhang mit der „Abschaffung“ der vermeintlich überholten Votivmesse macht Foley auf einen bisher unbeachtet gebliebenen zeitlichen Zusammenhang aufmerksam. Diese Reformmaßnahme war zwar bereits in frühen Vorschlägen des Konsiliums ab1964 empfohlen worden, ihre Umsetzung zog sich jedoch über viele Jahre hin und erfolgte letztlich erst mit der Liturgiekonstitution vom 8. Oktober 1968. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, in dem die in diesem Jahr erstmalig ausgebrochene „Hong-Kong-Grippe“ in Europa ihren Höhepunkt erreichte. Foley schreibt dazu, was wir hier zunächst ungeprüft übernehme: „Einige Städte, darunter Berlin, waren so schwer betroffen, daß sie ihre Toten zeitweise in U-Bahntunneln zwischenlagern mußten. In Westdeutschland wurden Abfallunternehmen eingesetzt, um die benötigten Gräber ausheben zu können. In einigen Regionen Frankreichs war die halbe Erwerbsbevölkerung bettlägerig“.
Nun ist völlige Resistenz gegenüber realen Entwicklungen in Gesellschaft und Kirche ohnehin herrschendes Kennzeichen der ideologiegesteuerten Liturgiereform – aber diese Koinzidenz erscheint doch bemerkenswert, insbesondere auch im Hinblick auf das – nur bei oberflächlicher Betrachtung – so ganz anders erscheinende Verhalten der Kirche im aktuellen Fall.
Tatsächlich hat die Gottesdienstkongregation in einer durchaus ungewöhnlich schnellen Reaktion in diesem Frühjahr eine neue „Messe in der Zeit der Pandemie“ entworfen und als Votovmesse nach den üblichen Vorschriften freigegeben. Die Texte dieser neuen Messe haben jedoch nur noch wenig mit der früheren gemeinsam. Sie bietet zahlreiche Gebetsformeln für die Kranken, Sterbenden oder sonstwie Betroffenen – enthält jedoch keinerlei Hinweis auf Sünde, Buße oder gar den Zorn Gottes, keinerlei Aufruf zu Reue oder Umkehr. Sie sieht die Seuche als eine weitgehend innerweltliche Erscheinung und vermittelt – so Foley – einen starken Eindruck von moralisch-therapeutischem Deismus. Die kirchliche Lehre von der göttlichen Züchtigung, wie sie in der Schrift grundgelegt und in der Überlieferung ausgeformt worden ist. kommt nicht mehr vor.