Advent und das Heil Israels
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- 29. November 2021
Der Advent hat seit alters her einen Doppelcharakter: Er beginnt im Hinblick auf die zweite Wiederkunft Christi als Weltenrichter und wendet sich dann der frohen Erwartung des ersten Kommens Christi in Bethlehem zu, der Inkarnation, mit der das göttliche Wort sein Werk der Erlösung der gefallenen Menschheit begonnen hat. In dieser Erwartung auf die Ankunft des Erlösers sieht sich die Kirche vereint mit den messianischen Hoffnungen der frommen Juden, die gerade in den Jahrhunderten vor der Weltenwende von Bethlehem einen neuen Höhepunkt erreicht hatten. Umso tragischer daher, daß ein großer, der größerer Teil seines auserwählten Volkes den Messias in der Form, in der er dann schließlich erschien, nicht erkannte, nicht anerkannte, und schließlich sogar dem Tod am Kreuz überlieferte, und ohne Einsicht blieb für das Geheimnis, daß gerade durch diesen Opfertod das Werk der Erlösung vollendet wurde.
Der tiefe Gegensatz zwischen den Anhängern des bereits erschienen und des noch zu erwartenden Messias führte in eine leidvolle Geschichte von gegenseitiger Verachtung und Verfolgung, die in der jüngeren Zeit von interessierter Seite zur Hauptursache des rassistischen Antisemitismus der Moderne umgefälscht worden ist und in der Gegenwart unter dem alles andere überwältigenden Eindruck der faschistischen Judenverfolgung auch und gerade innerhalb der Kirche zum Anlaß genommen wird, die tatsächliche Bedeutung der Inkarnation und des Leidens von Jesus dem Messias herunterzuspielen und angeblichen antisemitischen Tendenzen des überlieferten Glaubens einen hauptsächlich politisch motivierten „Prosemitismus“ gegenüberzustellen. Bis hin zu der abenteuerlichen Konstruktion eines Sonderwegs für Juden zum ewigen Heil, der quasi um die Anerkennung der Erlösungstat Christi herumführen soll. Eines von vielen Zeugnissen der Selbstsäkularisierung der Kirche, deren Leitungspersonal im Bestreben, sich des Beifalls der Weltmächtigen zu versichern, bereit ist, eine ihrer in Evangelium und Tradition begründeten Glaubenspositionen nach der anderen in Frage zu stellen oder komplett zu räumen.
Die Behauptung, die traditionelle Glaubens- und Gebetsform der Kirche sei von Antisemitismus durchdrungen, spielt auch im Kampf gegen die überlieferte Liturgie keine geringe Rolle. Erinnert sei hier nur an die gerade lächerliche Auseinandersetzung um die „Fürbitte für die Juden" in der Karfreitagsliturgie. Nun soll hier gar nicht bestritten werden, daß es in der Kirche, die immer wieder auch vom Ungeist ihres jeweiligen Zeitalters beeinflusst wird, auch Antisemitismus gegeben habe. Seine Spuren sowohl im politischen Agieren allzu weltlich gesinnter Kirchenfürsten als auch in abergläubischen Verirrungen ungebildeter Volksschichten sind unübersehbar. Die Liturgie als der authentische Ort der Artikulation des Glaubens ist davon bemerkenswert frei geblieben – sie hat die Achtung vor und die christliche Liebe zu den irrenden „älteren Brüdern“ stets bewahrt – auch in der Karfreitagsfürbitte.
Der Belesenheit von Fr. Hunwicke verdanken wir den Hinweis auf ein ganz bemerkenswertes Zeugnis dieser Haltung – aber der Reihe nach. Die stark endzeitlich geprägten beiden letzten Sonntage des Kirchenjahres haben als Introitus zunächst eine Prophezeiung aus dem Buch Jeremias: „So spricht der Herr: Ich denke Gedanken des Friedens, nicht des Verderbens. Ihr werdet zu mir rufen, und ich werde euch erhören. Heimführen werde ich euch aus der Gefangenschaft von überall her.“ Dem folgt – freilich nur im Vetus Ordo – noch eine Zeile aus Psalm 84: „Herr, Du hast Dein Land gesegnet und Jakob heimgeführt aus der Gefangenschaft“. Der „Schott“ kommentiert diesen Introitus zusammen mit anderen moderneren Erklärern ganz allgemein im Hinblick auf die Wiederkunft des Herrn und das erhoffte gnädige Gericht – wogegen nichts einzuwenden ist. Fr. Hunwicke macht jedoch darauf aufmerksam, daß Rupert von Deutz aus dem 11. Jahrhundert im finsteren Mittelalter diesem selbstverständlich auch in seiner Zeit schon zum Ende des Kirchenjahres gebräuchlichen Introitus eine zwar keinesfalls widersprechende, aber doch präzisere Deutung unterlegt.
Vielleicht motiviert durch die ausdrückliche Nennung von „Jakob“ als Chiffre für das auserwählte Volk im Vers aus dem Psalm bezieht Rupert den ganzen Introitus und von da her das ganze Proprium dieser Messe auf die endliche Versöhnung ganz Israels, das für ihn und die überlieferte Liturgie eben nicht in Verworfenheit und Verdammnis versinkt, sondern zur Erlösung bestimmt ist:
So sehr verrichtet die hochheilige Kirch4 nach der Aussage des Apostels Paulus „Gebete, Fürbitten und Danksagungen für alle Menschen“ (1.Tim 2,1), daß sie eenso für das zukünftige Heil der Kinder Israels Dank sagt, von denen sie weiß, daß auch sie einmal mit ihrem Leibe vereint werden sollen. Denn weil am Ende der Welt „der Rest“ von ihnen gerettet wird (Röm 9,27), freut sie sich in diesem letzten Offizium des Kirchenjahres über sie , die ja künftig ihre Glieder sein werden. Daher verkündigen ihre Worte im Introitus immerdar, was für sie geweissagt worden ist: „So spricht der Herr, ich denke Gedanken des Friedens und nicht des Verderbens (Jer 29,11). Gedanken des Friedens und nicht des Verderbens gedenkt nämlich der, der ein Gastmahl seiner Gnade mit diesen seinen Brüdern dem Fleische nach zu halten verheißt, wie es durch den Patriarchen Joseph vorausgebildet worden ist. Denn wie zu ihm, der Herr über das ganze Land Ägypten war, seine von Hunger getriebenen Brüder, die ihn verkauft hatt4en, gekommen sind, von ihm wiedererkannt und aufgenommen worden sind, und er mit ihnen ein festliches Gastmahl gehalten hat, so wird ebenfalls zu unserem Herrn, der Herrschwer über die ganze Welt ist – auch über die Ägypter, das heißt die Heiden, die in der Finsternis der Sünde gewesen waren und die er mit dem Brot des Lebens (vergl. Joh. 6,35) in reicherer Fülle nährt –, der Rest der Kinder Israels zurückkehren und in Gnade aufgenommen werden von ihm, den sie verleugnet und getötet haben, und dann wird er mit ihnen Mahl halten, und dieser Joseph (sc. Christus) wird mit seinen Brüdern trunken vor Freude sein.“ (Übersetzung zitiert nach Band 33/4 der Fontes Christiani)
Den zweiten Teil der Explikation Ruperts zum letzten Tag des Kirchenjahres als Vorhersage und Dank für die Rettung des „Restes Israels“ wollen wir an einem der nächsten Tage unter dem besonderen Aspekt des darin ausgedrückten allegorischen Verständnisses der Heiligen Schrift darstellen.