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Gregor der Große und die Pastoral

Erschienen im Carthusianus Verlag, 400 Seiten, 36,90€Nach dem überlieferten Kalender ist der 12. März der Festtag des hl. Papstes Gregor,  Ordner der Liturgie und der Disziplin der Kirche sowie Verteidiger des Glaubens und der Stadt Rom. Seine in diesen Tage neu übersetzt und kommentiert erschienen Regula Pastoralis ist aktuell wie eh und je.

„In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche“. So der Titel eines neuen Dokumentes, das auf der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt wurde. Auf der Homepage der DBK heißt es hierzu: „Die Kirche muss den Begriff der Seelsorge ständig den veränderten Bedingungen im Kontext ihres pastoralen Handelns anpassen.“ In der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag war viel von dem erarbeiteten 61-seitigen „Papier“ die Rede, vom pulsierenden „Herz der Kirche“ war jedoch wenig zu spüren. Wie auch? Der moderne Pastoraljargon von „Seelsorge als ganzheitliches und mehrdimensionales Interaktionsgeschehen“ erscheint eher als Symptom akuter Herzinsuffizienz der DBK und ihrer zahlreichen Kommissionen denn als Ausdruck pastoraler Vitalität. Wer stattdessen nicht vermeintlich unumgängliche Anpassungen pastoralen Handelns sucht, sondern nach zeitlos gültigen Maßstäben fragt, findet verlässliche Orientierung beim heutigen Tagesheiligen. Von Papst Gregor I. (590-604) stammt bekanntlich das Wort, die Seelsorge sei „die Kunst aller Künste“, also die anspruchsvollste Aufgabe, die sich denken lässt und daher vom Seelsorger höchste Qualifikationen verlangt.

Um den bestehenden Missständen seiner Zeit entgegenzuwirken, die der gegenwärtigen Bischofskrise keineswegs unähnlich waren, verfasste Gregor gleich zu Pontifikatsbeginn die Regula pastoralis, ein Handbuch, um Seelsorgern, insbesondere Bischöfen, biblisch fundierte Leitlinien einer verantwortungsvollen Ausübung des pastoralen Dienstes zu bieten. Die „komplexe Lebenswirklichkeit“, auf die elf Generalvikare deutscher Diözesen in einem offenen Brief vom 12. Februar 2022 an den DBK-Vorsitzenden Bischof Bätzing verwiesen, um arbeitsrechtliche Sanktionen bei Fragen der persönlichen Lebensführung von sogenannten „Mitarbeitenden“ im kirchlichen Dienst auszusetzen, war auch einem Papst Gregor in der Spätantike keineswegs unbekannt.

Hier geht es weiter Im dritten Buch der Pastoralregel beschreibt er 34 verschiedene Kategorien von Menschen, um den Seelsorgern mit zahlreichen psychologisch einfühlsamen Ratschlägen ein differenziertes Eingehen auf deren komplexe Lebenswirklichkeit zu empfehlen. Allerdings nicht, um sie darin kritiklos zu bestätigen, sondern um sie zu korrigieren und weiterzuführen. Gregor warnte vor einem falschen Entgegenkommen. Niemand dürfe sich „durch übertriebenes Bemühen, den Menschen gefällig zu sein, sogar zur Respektierung ihrer Laster drängen lassen“ (Reg. past. III,17). Ebenso warnte er vor dem Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche, wenn die persönliche Lebensform der in ihrem Dienst „Mitarbeitenden“ der geltenden Glaubens- und Sittenlehre widerspricht. Nicht „Kirche als Angst-freier Raum“ war Gregors Anliegen, sondern Kirche als glaubwürdige Institution, deren Botschaft nicht durch die Lebenspraxis ihrer „Mitarbeitenden“ konterkariert wird. Der Papst unterstrich die Überzeugungskraft, die das Wort der Verkündigung gewinnt, wenn der Verkünder es in seinem eigenen Leben exemplarisch verwirklicht, so dass die Gläubigen „eher durch Beispiele als durch Worte auf dem Weg des Lebens vorankommen“ (Reg. past. II,3).

Auch für die Spitzenfunktionäre der Kirche hatte Papst Gregor eindringliche Worte, wenn er einen drohenden Realitätsverlust ansprach, der sich immer dann einstellt, wenn Inhaber höchster Positionen sich mit Claqueuren umgeben, die keine Kritik mehr zu äußern wagen, sondern selbst Kritikwürdiges überschwenglich loben: „Oft wird jedoch der Vorsteher gerade durch seine herausgehobene Position verleitet, sich in Selbstüberschätzung über alle zu erheben; und da ihm alles zu Diensten steht, alle seine Anweisungen unverzüglich nach Wunsch ausgeführt werden, da alle seine Untergebenen ihn mit Lob überhäufen, wenn er etwas gut gemacht hat, aber niemand die Autorität besitzt, ihn zu kritisieren, wenn er etwas falsch gemacht hat, und er für gewöhnlich auch noch dort Lob erhält, wo er Tadel verdient hätte, so wird er sich von dieser unterwürfigen Dienstbarkeit verleiten und zur Selbstüberhebung verführen lassen. Während er äußerlich von allen Seiten übermäßige Gunsterweise erfährt, büßt er in seinem Innern den Realitätssinn ein. Er vergisst, wer er ist und richtet sich nur nach dem, was andere Menschen über ihn sagen, und er glaubt wirklich, er sei so, wie er es draußen hört, und nicht so, wie er sich im Innern beurteilen sollte“ (Reg. past. II,6).

Im Blick auf die aktuellen Diskussionen über eine Reform kirchlicher Ämter besitzt Gregors Pastoralregel ein durchaus kritisches Potential, das an die unverrückbaren Maßstäbe des Evangeliums erinnert und Prinzipien einer wahren Reform vor Augen führt. Gregors Überzeugung nach kann diese nur durch innere Umkehr und geistliche Erneuerung geschehen. Wer mehr darüber erfahren möchte, wie dieser Papst über die Seelsorge dachte und andere in „die Kunst aller Künste“ einzuführen suchte, dem sei die kürzlich erschienene zweisprachige Ausgabe der Pastoralregel mit umfangreicher Einleitung empfohlen.

Prosper Guéranger OSB schloss in seinem Werk ‚Das Kirchenjahr‘ die Ausführungen zum Heiligen des heutigen Tages mit einem Gebet, das aktueller kaum sein könnte:

Vater des christlichen Volkes, Stellvertreter der Liebe Christi ebenso wie seiner Autorität, Gregor, wachsamer Hirte, das christliche Volk, das du so sehr geliebt und dem du so treu gedient hast, wendet sich vertrauensvoll an dich. Du hast diese Herde nicht vergessen, die dich in so lieber Erinnerung behält; nimm heute sein Gebet an. Beschütze und leite den Papst, der in unseren Tagen den Platz Petri und deiner innehat; erleuchte seine Ratschlüsse und stärke seinen Mut. Segne die gesamte hierarchische Körperschaft der Hirten, die dir so schöne Weisungen und so bewundernswerte Beispiele verdanken. Hilf ihnen, das heilige Gut des Glaubens mit unantastbarer Festigkeit zu bewahren; hilf ihnen bei ihren Bemühungen, die kirchliche Disziplin wiederherzustellen, ohne die alles Unordnung und Verwirrung ist. Du wurdest von Gott auserwählt, den Gottesdienst, die heilige Liturgie, in der Christenheit zu ordnen; unterstütze die Rückkehr zu den frommen Gebetstraditionen, die bei uns geschwächt wurden und vom Untergang bedroht sind. Festige immer mehr das lebendige Band der Kirchen im Gehorsam gegenüber dem Römischen Stuhl, der Grundlage des Glaubens und Quelle der geistlichen Autorität.“

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Gregor der Große - Regula Pastoralis - Pastoralregel. Herausgegeben und kommentiert von Michael Fiedrowicz, übersetzt von Claudia Barthold. Carthusianus-Verlag 2022, 400 Seiten 36,90€

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