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Kosmischer Karfreitag

Bild: Aus dem Pustet-Missale von 1900, eigene AufnahmeDer Karfreitag hat in unserem Pustet-Missale von 1900 keine eigene Vignette – dafür steht uns diese auf der Gegenseite zum Te Igitur ganzseitig ausgeführte Illustration, die das ewige Opfer in der kosmischen Liturgie versinnbildlichen soll. Nach einer bis in die vortridentinische Zeit zurückreichenden Tradition wurde der Buchstabe „T“ in der Initiale zu diesem Gebet oft als Kreuz, als Kruzifixus, umgezeichnet – daraus entwickelte sich dann die Gewohnheit, zum Anfang des Kanons eine ganzsseitige Illustration mit einer Kreuzigungsszene einzurücken. Dem folgen auch viele Missale von Pustet mit den typischen Holzschnitten von Schmalzl – nicht jedoch einige besonders prachtvolle Ausgaben aus der Zeit um 1900, die hier und im Frontispiz, zum Teil auch in den Initialen des Kanons, in aufwendigem Golddruck ausgeführt sind.

Statt des klassischen Kreuzigungsgruppe steht hier das Motiv des Gnadenstuhls im Zentrum. Der allmächtige Vater auf seinem Thron (daher der Name Gnadenstuhl) hält das Kreuz des geopferten Sohnes in Händen, darüber, seltener auch darunter, schwebt die Taube des Hl. Geistes. Wie es im Gebet vor dem Empfang der Kommunion heißt: Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, dem Willen des Vaters gehorsam, hast Du unter Mitwirkung des Hl. Geistes durch Deinen Tod der Welt das Leben geschenkt.

Dieser Gnadenstuhl ist – was wir so sonst nicht kennen – auf mehrfache Weise eingerahmt, in Bezug zu den Geheimnissen des Erlösungsopfers gesetzt. Unter dem Kreuz, wo in der klassischen Kreuzigungsgruppe die Mutter Jesu und der Jünger Johannes dargestellt sind, sehen wir hier zur Rechten das Sinnbild der Ecclesia, die in ihrem Kelch den Gnadenstrom aus der Seitenwunde des Erlösers auffängt. Links steht die Repräsentation der Synagoge, die sich traurig oder trotzig vom nicht anerkannten leidenden Messias abwendet. Das Banner ihres Bundes ist zerbrochen, die Lilien auf der Krone ihrer Erwählung sind geknickt. Ihre Augen sind mit einem Tuch verbunden – das ist der Schleier, von dem Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther (III, 15, 16) spricht: „Ja, bis auf den heutigen Tag liegt, wenn Moses gelesen wird, ein Schleier auf ihrem (der Juden) Herzen, wenn sie sich aber zum Herrn hinwenden, wird der Schleier weggenommen.“ Es besteht also Hoffnung.

Die Gestalt der Synagoge ist auf diesem Bild in keiner Weise verhäßlicht oder gar dämonisert. Hier geht es weiter Die Synagoge hat auf gleicher Höhe wie die Ecclesia ihren Platz unter dem Kreuz – aber sie verweigert den Blick nach oben, von wo allein Rettung möglich ist. Das so darzustellen ist kein Antisemitismus, das ist der grundlegende Unterschied zwischen dem Juden- und dem Christentum, den der bekehrte Pharisäer Paulus in seinem Brief an die Korinther auf den Punkt gebracht hat und den der Künstler dieses Bildes prägnant darstellt.

Eine weitere Schicht dieses Bildes und des darin dargestellten übernatürlichen Zusammenhangs ist die ganz unten dargestellte Momentaufnahme des Messopfers, bei dem der Priester den Kelch – es ist der gleiche, den Ecclesia in ihren Händen hält, und er erhält aus den Wunden des Gekreuzigten den gleichen Gnadenstrom – zur Gottheit emporhebt. Die Bilder unter dem Altartisch – in unserer Auflösung schwer erkennbar – zeigen links das makellose Opfer des Melchisedech und rechts das schon vor seiner blutigen Darbringung angenommene Opfer Abrahams. Es zitiert somit das Supra quae des Kanon, in dem der Priester sich an den Vater wendet: „Schaue huldvoll (auf mein Opfer) nieder mit gnädigem und mildem Angesichte und nimm es wohlgefällig an, wie du einst mit Wohlgefallen angenommen hast die Gaben Abels, Deines gerechten Dieners, das Opfer unseres Patriarchen Abrahman, das heilige Opfer und die makellose Gabe, die Dein Hoherpriester Melchisedech Dir dargebracht hat.“

Über dem Kelch erkennt man bei genauem Hinschauen zwei geflügelte Räder; sie sind durch die Aufschrift „Throni“ als den Chören der Engel zugehörig gekennzeichnet, die die Bildmitte in einem weiteren Rahmen umgeben. Vermutlich stand dem Künstler dabei die Stelle aus dem unmittelbar auf die Erwähnung Melchisedechs folgenden Kanongebet Supplices te rogamus vor Augen, in dem es heißt: „Demütig bitten wir Dich, allmächtiger Gott: Dein hl. Engel möge dieses Opfer zu Deinem himmlischen Altar emportragen vor das Angesicht Deiner göttlichen Majestät.“

Wieso der Künstler diesen „Opferengel“ mit den Throni identifiziert und warum er diese in Gestalt der Flügelräder darstellt, die sonst den Cherubim oder Seraphim des Thronwagens aus der Vision Ezechiels zugeschrieben wird, konnten wir nicht eruieren. Die Cherubim und Seraphim selbst erscheinen hier, an ihren drei Flügelpaaren erkennbar, unbezeichnet jeweils im oberen Abschnitt der Felder rechts und links, in denen die übrigen Vertreter der insgesamt neun Chöre der Engel ihren Platz haben. In ihrer Gesamtheit repräsentieren sie die himmlischen Scharen, deren unaufhörliches „Sanctus“ im Mittelpunkt der himmlischen Liturgie steht und das auf der davor stehenden Seite des Missales den Auftakt zum Kanon gebildet hat.

Platzierung und Ausführung der drei kleineren Engelssymbole sind sicher eine gestalterische Schwäche der Gesamtkomposition. Inhaltlich noch gravierender erscheint ein weiterer Schwachpunkt: Die Taube des Hl. Geistes hat keinen Platz mehr innerhalb des Bildfeldes für den Gnadenstuhl gefunden und schwebt erst auf den zweiten Blick erkennbar ober- und außerhalb im dekorativen Rankenwerk.

Ob diese Schwächen auf das Konto des pustetschen Hauptillustrators Max Schmalzl gehen oder einem anderen Künstler zuzuschreiben sind, konnten wir nicht ermitteln. Das Bild selbst ist – eher untypisch für den um 1900 schon sehr namhaften Redemptoristen-Frater Schmalzl – nicht signiert. Wir haben es auch nicht im (möglicherweise nicht ganz kompletten) Werkverzeichnis von Schwarzenberger-Wurster gefunden. Bei zwei dort aufgeführten Bildern Schmalzls für Missale und Brevier, die ebenfalls das Motiv des Gnadenstuhles assoziieren, ist die Taube des Geistes jedenfalls korrekter platziert.

Doch solche Schwächen anzumerken ist Klagen auf hohem Niveau. In ihrer Gesamtheit ist diese Ilustration, die das Opfer des Karfreitags in der Verbindung von irdischer und himmlischer Liturgie künstlerisch vergegenwärtigt, ein weiteres Zeugnis für die hohe Sensibilität, mit der die Pustet-Missale der vorletzten Jahrhundertwende gestaltet worden sind.

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