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Der 8. Sonntag nach Pfingsten 2021 oder: Der 1. Sonntag nach „Traditionis Custodes“

Eine Detailanalyse von Clemens Victor Oldendorf, 1. Teil

Das Motuproprio Traditionis Custodes (TC) erschien am Freitag, den 16. Juli und trat nach dem Willen von Papst Franziskus sogleich mit dem Erscheinen in Kraft. Somit war der 18. Juli 2021 der erste Sonntag mit der neugeschaffenen Rechtslage für die überlieferte Römische Liturgie. Doch kann man das überhaupt noch so sagen, nachdem TC Art. 1 das nachkonziliare Missale Pauls VI. zum alleinigen Ausdruck der lex orandi im Römischen Ritus erklärt? Strenggenommen kann man, wenn man der positivrechtlichen Festlegung von Papst Franziskus inhaltlich zustimmt, höchstens noch vom früheren Römischen Ritus sprechen, der ganz der Vergangenheit angehört.

Dieser 1. So. n. TC war datumsmäßig aber außerdem der 151. Jahrestag des Dogmas des Päpstlichen Jurisdiktionsprimates, und in diesem Dogma heißt es: „Wir lehren demnach und erklären, dass die Römische Kirche auf Anordnung des Herrn den Vorrang der ordentlichen Vollmacht über alle anderen innehat, und dass diese Jurisdiktionsvollmacht des Römischen Bischofs, die wahrhaft bischöflich ist, unmittelbar ist: ihr gegenüber sind die Hirten und Gläubigen jeglichen Ritus und Ranges – sowohl einzeln für sich als auch alle zugleich – zu hierarchischer Unterordnung und wahrem Gehorsam verpflichtet, nicht nur in Angelegenheiten, die den Glauben und die Sitten, sondern auch in solchen, die die Disziplin und Leitung der auf dem ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche betreffen [Fettsatz zur Hervorhebung, Anm. CVO] so dass durch Wahrung der Einheit sowohl der Gemeinschaft als auch desselben Glaubensbekenntnisses mit dem Römischen Bischof die Kirche Christi e i n e Herde unter e i n e m obersten Hirten sei [vgl. Joh 10,16]. Dies ist die Lehre der katholischen Wahrheit, von der niemand ohne Schaden für Glauben und Heil abweichen kann“ (DH 3060). Und der zugehörige Kanon lautet: „Wer deshalb sagt, der Römische Bischof besitze lediglich das Amt der Aufsicht beziehungsweise der Leitung, nicht aber die volle und höchste Jurisdiktionsvollmacht über die gesamte Kirche, nicht nur in Angelegenheiten, die den Glauben und die Sitten, sondern auch in solchen, die die Disziplin und Leitung der auf dem ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche betreffen; oder er habe nur einen größeren Anteil, nicht aber die ganze Fülle dieser höchsten Vollmacht; oder diese seine Vollmacht sei nicht ordentlich und unmittelbar sowohl über alle und die einzelnen Kirchen als auch über alle und die einzelnen Hirten und Gläubigen: der sei mit dem Anathema belegt.“

So also 1870 - ein erster Höhepunkt des Hyperpapalismus, ebenfalls aus der Verteidigungsstellung gegen die außer Kontrolle geratenen Zeitläufte geboren.

In der Schärfe des Tonfalls besonders des Begleitbriefes zum neuen Liturgie-Motuproprio, aber auch in der Strenge und Enge der neuen Detailnormen des ohne Übergangszeit verpflichtend gemachten päpstlichen Erlasses, befindet sich Franziskus zu Pius IX. in vollkommener Harmonie, Kontinuität und Übereinstimmung. Auch in der Entschiedenheit des Durchsetzungswillens steht er ihm in nichts nach. Ein Beispiel:

Hier geht es weiter1.) In einem Belobigungsschreiben vom 30. Dezember 1872 an seinen Päpstlichen Zeremonienmeister, den Apostolischen Protonotar Msgr. Pio Martinucci, begründete Pius IX. das Motiv zur nachtridentinischen Liturgiereform mit folgenden Worten: „Ad uniformitatem vero sensim inducendam, quae tam belle unitatis spiritui, quo informatur Ecclesia convenit, utque ipsi Ritus mentem illustrarent, animum moverent, corda erigerent ad superna et quodammodo Caelestibus throno Dei ministrantibus sociarent, Pius V. sanctus aliique Pontifices […] in emendandis libris liturgicis nedum strenue adlaborarunt; sed et ea quae ordini, splendori, maiestatique Dei cultus spectant diu provide promoverunt“ (abgedruckt in: Martinucci, P., Manuale sacrarum caeremoniarum, Rom 1879, S. v.). Also habe der heilige Pius V. und hätten andere Päpste deshalb auf die Herausgabe der liturgischen Bücher hingearbeitet, um sanft eine Einheitlichkeit – oder Uniformität – einzuführen, welche so schön mit der Einheit des Geistes, von dem die Kirche beseelt wird, übereinstimmt, und damit die Riten selbst die Gesinnung erleuchten, die Seelen bewegen, die Herzen zu dem hin, was droben ist, aufrichten und sie gewissermaßen zu Genossen der himmlischen Diener am Throne Gottes machen, aber auch um die Dinge, die zur Ordnung, zum Glanze und zur Majestät des Kultes Gottes gehören, dauerhaft und sorgsam zu fördern.

Wer ein wenig die Tendenz der römisch-tridentinischen Liturgie kennt, als Einheitsliturgie auch auf solche Riten eine Art Sogwirkung auszuüben, die eigentlich aufgrund eines Alters von mehr als 200 Jahren, das sie 1570 nachweisen konnten, beibehalten und bewahrt werden sollten, der wird schon diese Beschreibung euphemistisch nennen und den weiteren Vereinheitlichungsschub im 19. Jahrhundert wenig sanft finden. Das Motiv ist aber tatsächlich dasselbe, das jetzt Papst Franziskus anführt, wenn er festlegt, nur noch der nach dem Zweiten Vaticanum erneuerte Gottesdienst sei der Römische Ritus der Gegenwart und Zukunft. Von Sanftmut oder Zärtlichkeit freilich ist in den neuen Anordnungen des regierenden Heiligen Vaters weit weniger spürbar als jemals in den Akten oder dem Vorgehen der Päpste Pius V. und Pius IX., was deutlich wird, wenn wir die ab sofort geltenden Bestimmungen in TC im Horizont des Begleitbriefes und der vorhergehenden Regelungen näher untersuchen werden.

2.) Juristisch betrachtet ist TC sehr unpräzise und offensichtlich flüchtig zusammengestellt. Daraus haben manche abzuleiten versucht, es betreffe überhaupt nur Messfeiern oder sogar, es tangiere nicht den Gebrauch des MR1962, sondern das Übergangsmessbuch von 1965 unter Einbezug der rubrizistischen Änderungen bis 1967 einschließlich. Es seien also weiterhin alle anderen Bestimmungen von SP unvermindert in Kraft. Gestützt wird diese These eventuell durch den ausgesprochen restriktiven Charakter von TC, das deswegen nach klassischer Rechtsregel entsprechend eng auszulegen wäre.

Persönlich gehe ich aber davon aus, dass es im Endeffekt kontraproduktiv ist, so zu argumentieren, denn erstens kann man sicherlich bei jemandem, der ein juristisch derart ungenügend fundiertes und mangelhaft formuliertes Gesetz verfügt, nicht die Geltung klassischer Grundsätze der Rechtsinterpretation und –auslegung präsumieren und zweitens befürchte ich, dass so höchstens eine Klarstellung vonseiten Roms erreicht werden wird, die bekräftigt, dass TC durchaus alle vorangegangen rechtlichen Regelungen der Gesamtmaterie aufhebt und ersetzt, das heißt, alle Regelungen, die seit 1970 jemals Zugeständnisse und Erlaubnisse ermöglicht und gewährt haben, an der (Mess-)Liturgie, die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegolten hat, ausschließlich oder teilweise und gelegentlich festzuhalten.

3.) Seit der ersten weltweiten Indultregelung von 1984 (und selbstverständlich auch zuvor bereits partikularrechtlich) stand immer schon fest, dass nur solche katholischen Gläubigen in den Genuss kommen konnten, die Alte Messe zu besuchen und nur solche Priester in jenen, sie zelebrieren zu dürfen, die die Gültigkeit und Legitimität der nachkonziliaren Liturgiereform nicht in Zweifel ziehen oder bestreiten und die nicht die Rechtmäßigkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils oder der Päpste und des Lehramtes seither prinzipiell ablehnen.

Aus diesem Grunde erstaunt es jetzt in TC, wenn die Bischöfe laut Art. 3 § 1 als eine Art Gesinnungspolizei fungieren sollen. Denn die Traditionalisten, die Franziskus im bisherigen Milieu von SP vermutet, haben sich noch nie an den Vatikan oder die Diözesanbischöfe gewandt, um eine Genehmigung zu irgendetwas zu erhalten. Selbst die Piusbruderschaft, die keine sedisvakantistische Position vertritt oder in ihren Reihen duldet und auch nicht die sakramentale Gültigkeit der nachkonziliaren Riten grundsätzlich in Abrede stellt, hat für ihr Festhalten an der überlieferten Liturgie niemals ein Indult in Anspruch genommen. Die Konzilskritik der Piusbruderschaft verbleibt, wenn sie auch fundamental ist, in einem theologisch grundsätzlich legitimen Rahmen. Was Gläubige oder auch Priester „bei sich in ihrem Herzen sinnen“ (vgl. DH 2804), das kann Franziskus oder ein Bischof genausowenig erzwingen, wie es Pius IX. konnte, der diese sehr problematische Formulierung sogar in die Dogmatische Bulle zur Verkündigung der Unbefleckten Empfängnis Mariens als Glaubenssatz einfließen ließ.

Problematisch deswegen, weil eine echte Irrlehre nach außen vertreten werden und auch beharrlich daran festgehalten werden muss, damit sie Konsequenzen zeitigen kann. Nicht jeder Irrtum oder jede Fehleinschätzung ist gleich schon Häresie. Umso weniger kann man alles auf die Goldwaage legen, was theologische Laien so denken oder auch sagen und tun, das gilt außerdem nicht nur für die Traditionalisten, auf die Papst Franziskus es mit TC abgesehen und auf die er sich besonders eingeschossen hat. Deshalb erst recht ist der Generalverdacht, den der Papst in den Raum stellt, eine Beleidigung sämtlicher Priester und Gläubigen, die bei aller Bindung an die überlieferte Liturgie immer Wert darauf gelegt haben, in regulärer Einheit und in Harmonie mit Papst und Bischöfen zu stehen.

Bis zum Erscheinen von Teil 2 sei nochmals auf frühere Grundsatzüberlegungen verwiesen, die 2012 hier übernommen wurden; sie bilden nunmehr sogar bekräftigt einen wichtigen Rahmen und Kontext in der Auseinandersetzung mit der jetzigen Situation, in der eine Reform der Reform und eine (wenigstens theoretisch beanspruchte) Hermeneutik der Kontinuität offensichtlich wieder out sind.

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