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Der Ritus sucht seine Kirche

Bild: Wikimedia Commons, gemeinfraiGenerell bringt es wenig, sich mit Äußerungen aus Interviews des gegenwärtigen Papstes zu beschäftigen – schon der Psalmist wußte: „Erhitze dich nicht, es führt nu zu Bösem“(36,8). Aber in seinem jüngsten 90-Minuten-Interview für den Sender der spanischen Bischofskonferenz (COPE, hier eine leicht bearbeitete offizielle Fassung in Englisch; die ebenfalls von Vatikan News gebotene deutsche Version ist stark gekürzt und praktisch unbrauchbar) finden sich doch einige Sätze, die Anstoß zu weiteren Überlegungen geben können. Im Abschnitt zu Traditionis Custodes – der ehrlich gesagt ziemlich viel Unsinn und Unwahres enthält – verwendet Franziskus einigermaßen überraschend den Begriff „Bi-Ritualismus“ zur Beschreibung eben der Situation, die Papst Benedikt unter der Formel von den „zwei Formen des einen römischen Ritus“ zu erfassen versucht hatte. Franziskus beschreibt die Änderung, die sein Erlaß gegenüber der vorherigen Regelung bedeutet, so: „Ein Priester, der so (nach den alten Büchern) zelebrieren will, ist jetzt nicht mehr in der Lage wie zuvor – da konnte er aus Nostalgie oder nach eigenem Verlangen und ähnlichem so zelebrieren – und daher muß er eine Erlaubnis aus Rom einholen. Das ist eine Art von Erlaubnis zum Bi-Ritualismus, die nur von Rom erteilt wird. Wie bei einem Priester, der im Ostritus und im lateinischen Ritus zelebriert, der ist dann bi-rituell, aber mit römischer Erlaubnis.“

Drei mal „Biritualismus“ in einem Absatz! Das ist nicht nur ein Versprecher, hier enthüllt sich ein komplexer gedanklicher Ansatz, der davon ausgeht, daß der novus ordo und der usus recentior zwei verschiedene Riten darstellen. Damit will Franziskus einerseits offenbar die Konsequenz aus der Behauptung von TC ziehen, die überlieferte Liturgie sei nicht länger Ausdrucksform der „lex credendi“ des römischen Ritus, ja, sie gehört dem, was er unter „römischem Ritus“ versteht, gar nicht mehr an. Andererseits scheut er aber – den Weg hat Papst Benedikt versperrt – davor zurück, den Ritus pauschal für „abgeschafft“, nicht mehr anwendbar oder ungültig zu erklären – er verweist ihn aus der nachkonziliaren „Kirche des römischen Ritus“ irgendwohin in einen leeren Raum, wo er bis zu seinem Aussterben eine schattenhafte Existenz führen soll, streng reguliert durch die am römischen Zügel geführten Bischöfe.

Seinen jesuitischen Ratgebern und sicher auch ihm selbst mag das als ein besonders schlauer Schachzug erschienen sein: abzuschaffen ohne zu verbieten, mit der liturgischen Tradition zu brechen, ohne den Bruch formal zu ratifizieren. Allerdings gehen er bzw. seine Ratgeber mit der Hereinnahme des Begriffs vom „Bi-Ritualismus“ ein großes Risiko ein. Wie Franziskus mit seinem Hinweis auf die Ostriten selbst einräumt, ist die Rede vom Bi-Ritualismus nach bisherigem römischen Verständnis nur im Verhältnis zwischen Teilkirchen möglich und denkbar. Kein Ritus existiert im luftleeren Raum, und man kann ihn auch nicht in einen solchen verbannen. 

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Und genau das ist der Irrtum des unglücklich herrschenden gegenwärtigen Papstes und seiner unseligen Ratgeber. Wie sie alle sehr wohl wissen, existiert der überlieferte Ritus nach der Liturgie des hl. Gregor in der kirchlichen Realität des Jahres 2021 in einem Raum, der von mehreren Millionen Gläubigen bevölkert ist, dazu kommen über tausend Priester und eine nicht genau bezifferbare Zahl von Bischöfen und sogar Kardinälen. Die alle, nicht die Gläubigen und nicht ihre Seelsorger, verschwinden nicht durch einen Machtspruch des Papstes – sie bleiben als Teil der Kirche Träger des Ritus, der seit anderthalb Jahrtausenden die unbestrittene lex orandi der römischen Kirche darstellt. Es wird an ihnen, an ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit liegen, aus diesem Teil der Kirche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine wahrhafte Teilkirche mit eigenem Ritus und eigenem Recht zu formen, der gegenüber die Rede vom „Bi-Ritualismus“ tatsächlich möglich und angebracht wäre, gerade so wie Franziskus den Begriff in seiner Aussage auch anwendet.

Natürlich ist das nicht das, was Franziskus und seine Ratgeber wollen, ganz und gar nicht. Sie wollen, daß die bisher – wie sie behaupten aus bloßer Nostalgie – der überliefertten Liturgie anhängenden Gläubigen dem Machtspruch eines seine Kompetenzen überschreitenden Papstes gehorsam sich in „seine“ Rituskirche einordnen und diese angeblich „überholte“ Liturgie zu einer bloßen Erinnerung in Büchern über die Vorgeschichte der „modernen Kirche“ verblaßt. Einer Kirche, die in lex orandi und lex orandi gleicherweise von einem vielfach in die Irre gehenden „Geist des Konzils“ geprägt oder besser gesagt entstellt ist.

Doch das wird nicht geschehen. Dahingehende Erwartungen haben sich bereits nach dem Oktroi der Liturgiereform in den 70er Jahren nicht erfüllt, sie sind heute gänzlich unrealistisch, da die traditionstreuen Gemeinden zu den wenigen grünen Zweigen am Stamm einer Kirche gehören, bei der immer mehr einstmals starke Äste im Mehltau des Relativismus oder gar wegen der Wurzelfäule der Gottvergessenheit absterben. Sie werden überleben.

Allerdings werden sich die Gläubigen der überlieferten Lehre und Liturgie und ihre Priester und vor allem die Oberen der Priestergemeinschaften von Illusionen abwenden müssen, dieses Überleben werde allein auf regulärem Wege und im Vertrauen auf die von Gott eingesetzte kirchliche Obrigkeit gesichert werden können. Wo die Frage, ob denn der örtliche Bischof oder gar der regierende Papst katholisch sei, kein dummer Witz mehr ist, sondern Ausdruck schwer abweisbarer Zweifel, verliert das Denken in den Kategorien des „Regulären“ einen guten Teil seiner Sinnhaftigkeit. Wo die Obrigkeit alle Regeln und Gebote zu ihrer Disposition stellt – das gilt in der Kirche ebenso wie in der Gesellschaft – können sie die den Regeln Unterworfenen nicht mehr in der Weise binden, wie das vordem der Fall war. Wie es Fr. Alcuin Reid ausgedrückt hat, kann kein Vater seinem Sohn befehlen, sich selbst umzubringen – der Vater bleibt Vater, der Sohn Sohn – aber der Gehorsam hat seine Grenzen. Die Ausführungen der Ex-Ecclesia-Dei Oberen zur Problematik der Gelübde ihrer auf das Charisma der überlieferten Liturgie verpflichteten Gemeinschaften lassen erkennen, daß dort dieses Dilemma zu Bewußtsein kommt.

Man muß nicht in die Zeit des hl. Athanasius zurückblicken, der oft fast allein gegen die dem Arianismus verfallenen Bischöfe und den Papst stand, um zu sehen, daß dieses Dilemma nicht so neu ist, wie wir von drei oder vier Jahrhunderten „guter“ Päpste verwöhnten Heutigen das vielleicht empfinden. Gerade die über eigenen Ritus, eigenes Recht, eigene Organisation und eigene Spiritualität verfügenden „unierten“ Rituskirchen gehen in ihren Ursprüngen so weit wir sehen ausnahmslos auf irreguläre Situationen und eine oft jahrhundertelange Geschichte der Konfrontation mit „Rom“ zurück. Diese Art von Teilkirchen sind nicht wie ein Bistum aus päpstlicher Machtvollkommenheit „errichtet“, sondern sie wurden, nachdem sie schon lange bestanden und auch nicht verschwinden wollten, „anerkannt“, nachdem sie einigen wenigen grundlegenden Voraussetzungen der Einheit unter Petrus zugestimmt hatten. Und die bisherigen Päpste waren auch klug genug, diese Einheit nicht unbillig zu strapazieren. So bildet das Verhältnis zwischen den Rituskirchen des Ostens und der Kirche von Rom ein beherzigenswertes Beispiel für „versöhnte Verschiedenheit“ unter dem Nachfolger des hl. Petrus.

Die Perspektive einer solchen eigenständigen Rituskirche für die Gläubigen, die der überlieferten Lehre und der Liturgie des. Hl. Gregor anhängen, erscheint heute als utopisch. Der Kampf für ihre Verwirklichung verlangt großen Einsatz, ein hohes Maß an Konfliktbereitschaft und wird vielleicht Generationen dauern. Aber gibt es eine Alternative?

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Eine lesenswerte Untersuchung der oft in sich unstimmigen Aussagen der Hauptpunkte des Interviews von Fr. Raymond de Souza bringt der National Catholic Register unter Datum vom 3. September.

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