Rechtliches zu „Traditionis Custodes“
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- 08. März 2023
Die gröbsten rechtlichen Fehlleistungen der Autoren von Traditionis Custodes, die die Wirksamkeit des Erlasses empfindlich eingeschränkt hatten, sind durch das „Reskript“ vom Februar repariert worden. Ursprünglich hatte TC die Zuständigkeit der Bischöfe für die Ordnung der Liturgie bekräftigt – in der Erwartung, die Mehrheit der Bischöfe brenne darauf, die von Benedikt eröffneten Freiheiten für die Feier der überlieferten Liturgie wieder zurückzunehmen. Nachdem sich das als Fehlspekulation erwies, hat das Reskript die Rechtslage kurzerhand umgekehrt und alle Entscheidungen, die mit der überlieferten Liturgie zusammenhängen, den Bischöfen entzogen und in die Kompetenz des Diskasteriums und letztlich des Papstes verwiesen. Von daher hat sich einen Teil der primär juristisch argumentierenden Kritik an TC, die Fr. Réginald-Marie Rivoire Ende letzten Jahres im von Peter Kwasniewski gegründeten Verlag Os Justi veröffentlichte, erledigt. Aber das betrifft nur einen kleinen Teil der knapp 100 Seiten starken Broschüre.
Die zentralen Aussagen der Kritik Rivoires an den ideologischen Grundlagen und historischen Fehldarstellunge von TC sind nach wie vor gültig – und diese Gültigkeit läßt sich auch nicht durch eine juristische Manipulation wie die mit dem Reskript vorgenommene beseitigen. Der Papst mag sich als an kein übergeordnetes Recht gebundene souveräne oberste Gesetzgeber der Kirche sehen, der geltendes Recht jederzeit willkürlich ändern oder aufheben kann. Geschichte und Tradition der Kirche selbst kann er nicht ändern, auch nicht die Dokumente und Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils, gegen die er und seine Mitstreiter immer öfter verstoßen, wo sie ihren Machtansprüchen im Weg stehen.
In den entsprechenden Kapiteln des Buches entwickelt der Autor auch für künftige Diskussionen wichtige Argumente dafür, daß der Papst als oberster Gesetzgeber nicht völlig frei in seinen Entscheidungen ist, sondern in jedem Fall an die Tradition der Kirche gebunden bleibt. Das positivistische Rechtsverständnis, das mit Paul VI. verstärkt in der Kirche Raum gegriffen hat, ist für die Regelung von Fragen mit primär theologischen Implikationen nicht geeignet, seine Anwendung kann dazu führen, daß die entsprechenden Rechtsakte keine Legitimität gewinnen und demzufolge auch keinen Anspruch auf Gehorsam seitens des Klerus und der Gläubigen haben. Das gilt nicht nur für neuere Erscheinungen in der auf inzwischen etwa 40 „Motu-proprien“ ;angeschwollenen und teilweise eben deshalb fragwürdigen Gesetzgebung von Franziskus. Das gilt in Einzelfällen auch schon für frühere Akte päpstlicher Gesetzgebung, indenen der Amtsinhaber „ultra vires“ operierte: sich Kompetenzen anmaßte, die er nicht besitzt. Von daher meldet Rivoire eine grundsätzliche Kritik am Novus Ordo an, dem er zwar nicht die Gültigkeit, wohl aber sowohl die Kontinuität zum historischen Römischen Ritus als auch die Übereinstimmung mit dem Reformauftrag abspricht, den das II. Vatikanum in seinem Dokument „Sacrosanctum Concilium“ niedergelegt hatte. Der Novus Ordo wäre danach wohl Ritus der römischen Kirche im 20. Jahrhundert – gehörte aber nicht mehr zum eigentlichen Ritus romanus.
Von besonderer Bedeutung für möglicherweise in der Zukunft bevorstehende Auseinandersetzungen sind die Überlegungen, die P. Rivoire hinsichtlich der Frage stellt, ob es überhaupt möglich ist, daß der Papst einen über viele Jahrhunderte praktizierten und durch das Zeugnis zahlloser Heiliger beglaubigten Ritus „abschaffen“ und verbieten könnte. Er bietet eine ganze Reihe guter und überzeugender Argumente dafür, daß das nicht möglich ist. Ob sich Arthur Roche und Franziskus davon beeindrucken lassen, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Schon Paul VI., der vor einer förmlichen „Abrogation“ des überlieferten Ritus zurückschreckte, hat – wie der Autor anhand mehrerer Reden und Dokumente darlegt – keinen Zweifel daran gelassen, daß es seine Absicht war, mit dem neuen Ritus den Vorgänger vollständig zu ersetzen und abzulösen. Der weitere Gebrauch des überlieferten Missale sollte nur in eng umschriebenen Sonderfällen und für begrenzte Zeit gestattet sein. Am Willen des päpstlichen Gesetzgebers kann es daher keinen Zweifel geben. Doch ebensowenig kann es einen Zweifel daran geben, daß dieser Wille in der Praxis der Kirche nie vollständig akzeptiert und umgesetzt wurde, weil eine beträchtliche Zahl von Priestern und Laien diesem Willen die Legitimität absprachen und ihn als Überschreitung der päpstlichen Amtsvollmacht, letztlich als Machtmißbrauch , betrachteten. Die Praxis der Nachfolger Pauls VI., die den Gebrauch des überlieferten Liturgie – wenn auch mehr oder weniger stark kontrolliert - wieder zuließen, kann daher als Bestätigung dienen: Es ist nicht möglich, einen Ritus, der über tausend Jahre lang die bevorzugte (wenn auch nie ausschließliche) Ausdrucksform der „lex credendi“der römischen Kirche war, durch Machtwort abzuschaffen.
Sollte ein Papst es dennoch versuchen, überschreitet er – was den rechtlichen Aspekt betrifft – die Grenzen, die seiner Amtsvollmacht gezogen sind. Und was die praktische Wirksamkeit einer solchen Gesetzgebung betrifft: Das hat schon bei Paul VI. nicht funktioniert, und wird ein halbes Jahrhundert später noch viel weniger funktionieren. Wer an der alten Liturgie festhalten will, weil sein geschultes Gewissen ihm sagt, daß er damit recht handelt, wird das weiterhin tun. Und wer das mit zusätzlichen theologischen und rechtlichen Argumenten untermauern will, wird in dem Buch von P. Rivoire bestens bedient.
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Das Kürzel F. S. V. F. hinter dem Namen von P. Rivoire steht für die Fraternity of Saint Vincent Ferrer – das sind die im französischen Chémeré-le-Roi residierenden traditionstreuen Dominikaner, die sich wegen des Widerstandes des teilweise ganz und gar nicht traditionstreuen, dafür aber offiziell anerkannten, Dominikanerordens nicht „Dominikaner“ nennen können.