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Prophetische Lektionen im Missale Romanum

Bild: Wikimedia Commons,  Davide Mauro; CC BY-SAIn der dritten Fastenwoche – beginnend mit dem 13. März – hatten wir einen etwas näheren Blick auf die in diesen Tagen gelesenen Perikopen aus dem Alten Testament geworfen. Nicht, um zu versuchen, den ganzen Reichtum dieser Schriftstellen auszuloten, sondern um darauf aufmerksam zu machen, daß dieses Alte Testament in gar keiner Weise veraltet ist – auch und gerade da nicht, wo es den Christen des beginnenden 3. Jahrtausends manchmal eher peinlich sein mag. Mit ähnlicher Zielsetzung hat sich Gregory Dipippo am letzten Tag der Osterwoche mit zwei Prophetien aus der Liturgie des Karsamstags (heute: Vigil von Ostern) beschäftigt, die bereits 1955 aus der offiziellen Liturgie getilgt worden sind. Hier die Übersetzung der dieses Thema betreffenden Passagen aus seinem Artikel in New Liturgical Movement vom 15. April:

Es beginnt ein langes ZitatUnter den vielen Brüchen, die die Reform der Heiligen Woche im Jahr 1955 in den römischen Ritus einführte, waren zwei ganz besonders gewaltsam: die Verringerung der Zahl der Prophetien für die Ostervigil auf vier und die vollständige Eliminierung des gesamten Taufrituals aus der Feier der Pfingstvigil, darunter auch die Wiederholung von sechs dieser ursprünglich zwölf Prophetien. Damit sind aus der Römischen Liturgie auch zwei alttestamentarische Texte vollständig verschwunden, die von den Kirchenvätern vielfach im Zusammenhang mit dem Ostergeheimnis zitiert worden sind.

Die erste ist Genesis 22, 1-18 – also jene Erzählung, die etwas unzutreffend als die Opferung Isaaks bezeichnet wird, der freilich letzten Endes nicht wirklich geopfert wird. (Die jüdische Tradition spricht daher von der „Fesselung Isaacs“). Die älteste überhaupt bekannte Osterpredigt (vom hl. Melito von Sardes, etwa um 170) deutet diese Geschichte dementsprechend als die Vorgestalt der Opferung eines anderen Sohnes:

Hier geht es weiterWenn Ihr also das Geheimnis des Herrn betrachtet, schaut auf Abel, der so wie er getötet wurde, auf Isaak, der so wie er gebunden wurde (59), … und er trug das Holz auf seinen Schultern zur Hinrichtung, so wie Isaak zur Schlachtung an der Hand seines Vaters. Doch Christus erlitt dies tatsächlich, Isaak nicht, denn er war ein Typos der Passion Christi, die erst noch kommen sollte.“

Ähnlich schrieb sein Zeitgenosse, der hl. Irenäus:

Zu Recht also folgen wir Christus nach, da wir den gleichen Glauben haben wie Abraham und das Kreuz auf uns nehmen so wie Isaak das Holz. Abraham befolgte, so wie es seinem Glauben entsprach, dem Befehl des Wortes Gottes und bot bereitwillig seinen einzigen und geliebten Sohn als Opfer dar, damit es Gott seinerseits gefallen möge, Seinen einzigen und geliebten Sohn zu seiner (Abrahams) Nachkommen und unserer Erlösung zum Opfer zu bringen.

Die Dummheit, diese Lesung abzuschaffen, wurde erkannt und im Novus Ordo für die Ostervigil korrigiert, allerdings mit einer der wahlweise verwendbaren kürzeren Varianten, die das nachkonziliare Lektionar entstellen. Allerdings erlaubt es diese Kürzere Form, viel von dem, was die Dramatik dieser Geschichte ausmacht, auszulassen: die Stelle, in der Isaak seinen Vater fragt: „Wo ist die Opfergabe für das Brandopfer?“ und Abraham antwortet: „Gott selbst wird für die Opfergabe zu unserem Brandopfer sorgen, mein Sohn“. Hoffentlich gehen die Gläubigen, die die Feier der Ostervigil vorbereiten, ehrfürchtiger mit dem Wort Gottes um als seinerzeit die Mitglieder des Consiliums. Die zweite (1955 abgeschaffte) Lesung von Ezechiel 37, 1 – 14, wurde von den Kirchenvätern seit den ältesten Zeiten als eine Prophetie der leiblichen Auferstehung der Toten am Ende der Tage und der das erst ermöglichenden Auferstehung Christi wahrgenommen. Noch einmal der hl. Irenäus:

Nun erklärt Isaias (26, 19), daß Er, der zu Anbeginn den Menschen erschuf, ihm eine zweite Geburt nach seiner Auflösung in der Erde verhieß: „Die Toten werden sich wieder erheben und die in den Gräbern werden aufstehen und alle, die in der Erde ruhen, werden sich freuen. Und Ezechiel sagt so: „die Hand des Herrn erfaßte mich und der Herr führte mich im Geiste fort und setzte mich nieder inmitten der Ebene, und der Ort war voller Gebeine. Und Er ließ mich sie umschreiten und wahrlich, es waren sehr viele auf dieser Eben und ganz trocken. Und Er sprach zu mir: Du Sohn eines Menschen: Können diese Knochen leben? Und ich sagt: Herr, Du bist es, der sie gemacht hat, Du weißt es. Und Er sprach zu mir: Sprich eine Prophezeiung über diese Gebeine, und du sollst ihnen sagen: Ihr dürres Gebein, höret das Wort des Herrn. Und so spricht der Herr zu diesen Knochen: Wahrlich, Ich werde den Geist des Lebens auf euch herabsenden, und Ich werde Sehnen auf euch legen und wieder Fleisch auf euch bringen und ich werde Haut über euch spannen und meinen Geist in euch geben und ihr werdet leben und ihr sollt wissen, daß Ich der Herr bin.

Diese Stelle wird in der gleichen Weise im Westen auch bei Tertullian, beim hl. Cyprian, und dem hl. Ambrosius zitiert, im Osten von Origines, dem hl. Kyrill von Jerusalem und dem hl. Johannes Chrysostomus und vielen anderen.

Wenig überraschend finden sich diese beiden Lesungen am Karsamstag auch im byzantinischen Ritus, allerdings nicht in der gleichen Feier. Genesis 22 ist dort die zehnte von 15 Lesungen zur heiligen Liturgie der Vesper, die im übrigen mit dem römischen Ritus hier auch ganz oder in Teilen die Lesungen aus Genesis 1, Exodus 12, dem Buch Jonas, Exodus 14 und Daniel 3 gemeinsam hat. (Die beiden letztgenannten sind dabei in der byzantinischen Version weitaus länger und sind ebenso wie im römischen Ritus mit Cantica versehen. Die Byzantiner lesen auch das ganze Buch Jona, ebenso wie die Ambrosianer bei der Messe des letzten Abendmahls.)

Ezechiel 37 wird zum Orthros (entspricht etwa der Matutin) des Karsamstag gelesen – einer der schönsten Liturgien des ganzen Jahres, die vielfach auch als „Jerusalemer Mette“ bezeichnet wird. Der Karsamstag ist der einzige Tag, an dem der Orthros mit einer besonderen Ordnung von drei Lesungen endet: Ezechiel 37, 1-14; als eine Lesung zusammengefasst 1. Brief an die Korinther 5, 6-8 und Galaterbrief 3, 13-14 sowie als dritte Lesung Matthäus 27, 62 – 66 mit dem Bericht über die Anordnung, Wachen am Grab des Herrn zu stationieren.

Soweit aus dem Artikel von Gregory Dipippo, dem wir unsererseits nur noch zwei Punkte hinzufügen wollen. Einmal den Ausdruck des Erstaunens über die doch sehr weitgehenden Ähnlichkeiten zwischen dem authentischen (also vor 1955!) römischen Ritus des Karsamstages und dem Gebrauch der Byzantiner. Und zum zweiten die Feststellung, daß die willkürliche Verkürzung der Lesungen in der Osternacht-Liturgie Pius’ XII. , die sogar den Konstrukteuren des Novus Ordo zu weit ging, so daß sie sie schon wenige Jahre später für den Novus Ordo zumindest teilweise rückgängig gemacht haben, ein schwerwiegendes Argument dafür bietet, das Missale von Johannes XXXIII. aus dem Jahr1962 jedenfalls nicht als unhintergehbaren Ausgangspunkt für die hoffentlich zukünftig wieder mögliche „organische Weiterentwicklung“ der traditionstreuen römischen Liturgie zu akzeptieren.

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