Bereichsnavigation Themen:

Tridentinische Mißverständnisse

Bild: Photo des Buchumschlags der englischen AusgabeDie „Papst Franziskus hat immer Recht“-Leute von WherePeterIs haben eine Satire veröffentlicht, die im Gewand einer „Kurzen kritischen Untersuchung des Novus Ordo von 1570“ daherkommt, angeblich „verfaßt und Papst Pius V. Im Dezember jenes Jahres überreicht von einer Gruppe römischer Theologen“. Diese Gruppe beschwert sich bitter über die unerhörten Neuerungen, die der „neue Ritus“ mit sich gebracht habe, und versucht, Widersprüche einzelner Reformelemente untereinander wie auch gegenüber der Tradition nachzuweisen.

Die Idee, die Anhänger der liturgischen Tradition mit einer solchen Parodie auf die Ottaviani-Intervention des Jahres 1969 auf den Arm zu nehmen, mag auf den ersten Blick ganz lustig erscheinen – aber ach, sie scheitert kläglich am profunden Unwissen des Verfassers über die Geschichte der Liturgie im allgemeinen und der Reform des römischen Missales unter Pius V. im Jahr 1570 im besonderen. Das Missale von 1570 brachte keinen neuen Ritus, sondern hat lediglich den uralten Ritus des Westens, der insbesondere außerhalb von Rom hier und da ein wenig „aus der Form“ gekommen war, auf eine verbindliche Form zurückgeführt – ohne irgendetwas von dem zu verwerfen, was schon immer gut und richtig war.

Peter Kwasniewski konnte über den mißlungenen Scherz der Franziskus-Verehrer auch nicht ein bißchen lachen und hat ihn auf OnePeterFive einer eingehenden Autopsie unterzogen – wir haben die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

Hier geht es weiterI. Es sei eine unerhörte Neuerung, daß die zentralistische Reform das seit unvordenklichen Zeiten bestehende Recht der Bischöfe zur Bestimmung der liturgischen Angelegenheiten untergraben habe.

Nein, wendet Kwasniewski ein, der sich hier wie auch in anderen Punkten auf Übereinstimmung mit dem unsererseits ebenfalls gerne zitierten Fr. Hunwicke beruft: Der Papst habe lediglich den mit der Verbreitung von Reformation und Druckerpresse einhergehenden Tendenzen Einhalt geboten, lokale oder persönliche „Eigenriten“ ins Missale einzuführen.

II. Quo primum habe der Liturgie ihre Vielfalt und ihren Ausdrucksreichtum genommen.

Nein – alle Riten die älter waren als die seit etwa zwei Jahrhunderte währenden reformatorischen Unruhen wurden ausdrücklich bestätigt. Nicht die Vielfalt wurde beseitigt, sondern schädlicher Wildwuchs zurückgeschnitten.

III. Die Reform berufe sich auf die Richtlinie des Konzils von Trient, doch man müsse bezweifeln, daß die Konzilsväter in der schließlich vorgenommenen Reform ihre Absichten wieder erkennen könnten.

Voll daneben. Erstens gab es keinerlei „Leitlinien“ des Konzils – daß eine re-formatio der traditionellen Übung folgen und die überkommene Lehre bekräftigen werde, war eine Selbstverständlichkeit. Und außerdem – fügen wir hinzu – hätten die meisten Konzilsväter kaum einen Unterschied zwischen „vorher“ und „nachher“ bemerkt, weil sie es in der überwiegenden Mehrzahl ohnehin gewohnt ware, die Liturgie in eben diesem Geiste und nach eben diesem Buche zu feiern.

IV. Und dann erst die Abschaffung aller Sequenzen bis auf vier!

Wir müssen zugeben, daß wir selbst diesen vermeintlichen Mißstand gelegentlich beklagt haben, bis eine auch hier rezipierte Arbeit von Gregory Dipippo uns die Augen geöffnet hat: Es gab zwar lokal oder in Ordensgemeinschaften eine Unzahl von mehr oder weniger gelungenen Sequenzen – aber das Missale nach dem Gebrauch der römischen Kurie und seine Vorgänger, die der Kommission von Pius V. als Vorlage für ihre Aufräumarbeiten dienten, kannten immer nur die gleichen vier: Zu Ostern, zu Pfingsten, zu Fronleichnam und für das Requiem. Und so behielten sie das bei - keine mehr und keine weniger. Man mag das bedauern – aber kein Ottaviani des 16. Jh. hätte aus der Beibehaltung dieser Zahl einen Traditionsbruch ableiten können und wollen. Daß dann die lokal verwandten Sequenzen ebenfalls weitgehend außer Gebrauch kamen ist nur eine idirekte Folge von 1570, aber keinesfalls eine Vorgabe.

V. Es verstoße gegen den Geist ökumenischer Übereinstimmung mit den Kirchen des Ostens, mit den Opferungsgebeten die noch unkonsekrierte Gabe darzubringen.

Genau darin ist sich die lateinische Kirche mit allen Kirchen des Ostens einig, die ebenfalls wie die Lateiner in Brot und Wein der „Gabenbereitung“ bereits deren spätere Verwandlung vorausahnen und vorwegnehmen. Die wahre Kirche sieht hier – wie auch sonst – ein Kontinuum, wo der Modernismus das Denken in Brüchen bevorzugt und konsequenterweise die alten Opferungsgebete durch jüdische Tischgebete der nachchristlichen Zeit ersetzte.

VI. Die Reform habe es versäumt, den Kanon der Messe von den ihm innewohnenden Zweideutigkeiten und Mißverständlichkeiten zu reinigen.

Dazu wollen wir Kwasniewski wörtlich wiedergeben: „Diese Worte einem Katholiken der 1570er Jahre in den Mund zu legen ist keine Satire, sondern eine Obszönität: Es geht davon aus, daß die Vandalen des 1960er-Konsioliums im Grunde Recht hatten, und daß wir jedesmal nach einem Ökumenischen Konzil die Liturgie umschreiben müssen, um sie dem, was es soeben gesagt hat anzupassen. … Aber das hat nichts mehr mit katholisch zu tun. Tatsächlich war es immer so, daß die überlieferte Liturgie die Norm für die Konzilien setzte und nicht in deren Belieben stand.“

Nein, katholisch ist das nicht – aber es passt sehr gut zur gegenwärtig propagierten Irrlehre vom besonderen Charisma des gerade amtierenden Papstes, der für richtig erklären könne, was gestern noch falsch war – und umgekehrt.

VII. Bis auf 149 Festt- oder Gedenktage seien alle anderen abgeschafft oder verschoben worden.

Nichts wurde abgeschafft oder gar verboten, setzt Kwasniewski dem entgegen. Das Missale und die Brevier-Ausgaben unter Pius V. begnügten sich lediglich damit, einen römischen „Kernkalender“ für die Orientierung in der ganzen Ritusgemeinschaft vorzugeben und gingen im übrigen selbstverständlich davon aus, daß die Ortskirchen ihre örtlichen Feiertage weiterhin an den traditionellen Tagen feiern würden.

VIII. Es sei eine höchst erstaunliche Änderung, daß am 8. Dezember nicht länger das Fest der Unbefleckten Empfängnis, sondern nur noch das der Empfängnis Mariens gefeiert werde.

Was heißt hier „Änderung“? Unabhängig vom Festgedanken war in den vorhergehenden Ausgaben römischer Messbücher der Name meistens ebenfalls nur als „Empfängnis“ angegeben. Insbesonderen im Inhaltsverzeichnis machten Schreiber und später auch die Drucker reichlich Gebrauch von Abkürzungen. In der hier vorliegenden (dazu unten mehr) Ausgabe des „vortridentinischen“ Missales steht zum 8. Dezember einigermaßen kryptisch: „côeptio btîs. Marie V. D~ mã“ – so war das der Stil der Zeit, und wer überhaupt lesen konnte, wußte schon, was gemeint war.

IX. Und außerdem sei die ursprünglich für diesen Tag vorgesehenen Messe durch die zum Fest der Geburt Mariens ersetzt worden.

Nein – die Messe zum 8. Dezember ist in den vor- und nach-tridentinischen Ausgaben bis auf eine kleine redaktionelle Änderung völlig identisch. So Kwasniewski, um dann hinzuzufügen, vielleicht habe der Autor des Artikels seine Weisheit aus einem der bei Google-Books einsehbaren älteren Missale bezogen, das eben nicht dem Erlass Pius V., sondern den Eingebungen eines lokalen Liturgieverbesserers gefolgt sei.

X. Und schließlich sei das Fest der Eltern Mariens gänzulich abgeschafft worden.

Dazu Kwasniewski: Ja – endlich einmal eine zutreffende Beobachtung. Das war ein Fehler, der auf dem zu strengen Bedürfnis beruhte, Feste auszuschließen, die auf apokryphe Quellen zurückgingen. Dieser Fehler wurde dann schon teilweise vom Nachfolger Pius’ V., Gregor XIII., mit der Einführung des Festes der. hl. Anna 1584 wieder rückgängig gemacht, dann teilweise von Sixtus V. ein Jahr später mit dem Fest der Darbringung und dann weiter von Gregor XV. mit dem Fest des hl. Joachim (1622). Warum wurden diese Eingriffe so schnell wieder rückgängig gemacht? Weil der schrullige Tradi, der darauf hin wies, daß das ein zu gewaltsamer Eingriff in die Volksfrömmigkeit war und von Anfang an besser unterblieben wäre, eben Recht hatte – so wie die schrulligen Tradis heute Recht haben, trotz all ihrer Schrullen. Woran man übrigens sehen kann, daß keine Änderung „unumkehrbar“ ist.

Soweit unser Referat des ersten Teiles des überaus lesenswerten Artikel von Peter Kwasniewski. Der zweite und kürzere Teil geht auf einige tatsächliche (eher geringfügige) Änderungen des Missales von 1570 gegenüher seinen Vorgängern ein. Wir werden bei Gelegenheit darauf zurückkommen.

*

Abschließend noch kurz zur „hier vorliegenden“ Ausgabe des vortridentinischen Missales. Ein solches Buch besitzen wir natürlich ebenso wie das „Original-Tridentinische“ nicht selbst, sondern müssen uns mit Nachdrucken begnügen. Die Universitätsbibliothek von Este in Venetien hat ein sehr schönes und sehr frühes (~1380) Exemplar des Missale secundum consuetudinem curiæ romanæ, das nach allen Regeln der Kunst digitalisiert worden ist und eine Zeit lang als CD-Rom im Handel war – wo wir ein Exemplar ergattern konnten. Dieses und andere Digitalisate vortridentinischer Missale sind über Google Books oder nationale Bibliotheksangebote auch im Internet einsehbar.

Das original-tridentinische Missale (Editio Princeps von 1570) ist ebenfalls im Antiquariatshandel praktisch nicht zu bekommen, weil es bereits durch die Kalenderreform von 1582 reformbedürftig wurde und – zunächst ohne textliche Änderungen – neu herausgegeben wurde. Von der ersten Ausgabe hat die Libreria Editrice in ihrer Reihe Monumenta Liturgica Concilii Tridentini einen brauchbaren Nachdruck auf Papier herausgebracht, der allerdings seit Jahren vergriffen ist. Taucht aber gelegentlich in Online-Antiquariaten auf.

Zusätzliche Informationen