Aus dem Tagebuch eines Abtes
Der Abt von Neuburg und der Wurm der Nostalgie
26. 11. 2008
Heute bekomme ich per Email eine Nachricht, die mich nicht kalt lassen kann. Die Mönche von Mariawald, dem Kloster, in das ich vor genau 38 Jahren eingetreten bin, haben vom Hl. Stuhl die Erlaubnis bekommen, zum Ritus und zu den Gebräuchen (Usus) von 1964 zurückzukehren. Ich habe keine Ahnung, was Abt Josef und die Mitbrüder zu diesem Schritt bewogen hat.
Die seitdem veröffentlichte Presseerklärung von Mariawald nennt diese Beweggründe: Die verschiedenen nachkonziliaren Reformen haben nicht die erhoffte Blüte in Liturgie und Leben des Konvents gebracht. Abt Franziskus konnte diese Presseerklärung natürlich noch nicht kennen, aber die für Mariawald genannten Gründe können ihm nicht unbekannt sein. Nach einem Fernsehbericht von diesem Sommer hat Neuburg eine ähnlich ungünstige Altersstruktur wie Mariawald. Der Jüngste von 15 Mönchen ist Mitte Fünfzig, die meisten sind im Rentenalter, der letzte Novize wurde vor vielen Jahren gesehen, und der traurige Tag, an dem der letzte Mönch das Licht ausmacht, erscheint absehbar. Was auch immer das Konzil gewollt haben mag - das kann schwerlich Sinn und Ziel der „nachkonziliaren Erneuerung“ gewesen sein.
In den Jahren nach meinem Eintritt war die Gemeinde, wie wir damals unsere Gemeinschaft nannten, auf einem Weg der nachkonziliaren Erneuerung. Das war nicht einfach. Das traditionelle Schweigen wurde durch gemeinsame Gespräche ergänzt. Die jungen Mönche studierten an öffentlichen Universitäten, zuerst Salzburg, dann Freiburg. Die engen und detaillierten Gebräuche wurden gelockert. Die Liturgie wurde nach und nach auf die Landessprache umgestellt. Das alles ging nicht ohne Verunsicherungen und Konflikte, aber es war eine Zeit lebendigen Suchens nach einem neuen Selbstverständnis und den dazu passenden Formen.
Hier fehlt uns, mit Verlaub gesagt, ein Hinweis, ob diese „Zeit des Suchens“ denn auch eine Zeit des Findens hervorgebracht hat. Doch schauen wir genauer hin. Warum nennt sich eine Mönchsgemeinschaft „Gemeinde“, wo dieser Begriff doch landläufig eine klar definierte andere Bedeutung hat? Um zu betonen, daß es keinen Unterschied gibt? Wie ergänzt man Schweigen durch gemeinsame Gespräche? Warum studiert man da, wo alle studieren, lockert die Bräuche und gleicht die Liturgie der in der Pfarrei im Nachbarort an? Offenbar hat man alle Besonderheiten, die diesen Weg zu Christus von allen möglichen anderen Wegen zu allen möglichen anderen Zielen unterschieden, aufgegeben. Kein Wunder, daß dann noch kaum jemand mitgehen will.
Ich habe bis jetzt mit niemandem aus Mariawald darüber sprechen können, warum man zu den Formen und Inhalten zurückkehren will, die von einem Menschenbild geprägt sind, das bereits 1964 nicht mehr den Grundsätzen einer gesunden geistlichen Pädagogik entsprach, ganz zu schweigen von den Erkenntnissen der Psychologie.
Wir können natürlich nicht für Mariawald sprechen - aber einen Tip für Abt Franziskus haben wir schon: Vielleicht ist man in Mariawald nicht (mehr) der Meinung, das Menschenbild des Hl. Benedikt, des. Hl. Bernhard und des Ordensreformators Jean-Armand le Bouthillier de Rancé Menschenbild entspräche nicht „einer gesunden „geistlichen Pädagogik“, vielelicht hat man dort die Fixierung auf angebliche Erkenntnisse der Psychologie“ überwunden. Vielleicht hat man dort noch andere Erkenntnisquellen als die, die in Proseminaren der öffentlichen Universitäten im Mittelpunkt stehen.
Zumal eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber Zeitströmungen eigentlich zur Grundausstattung der Trappisten gehören solte: De Rancés Menschenbild und die daraus gezogenen Konsequenzen ging seinen damaligen Mitbrüdern so auf die Nerven, daß sie ihn mal erstechen, mal im Klosterteich ertränken wollten. Warum also sollte jemand, der am Zeitgemäßen interessiert ist, ausgerechnet zu den Trappisten gehen?
Doch sehen wir, wohin uns die gesunde geistliche Pädagogik und die Erkenntnisse der Psychologie führen:
In Uta Ranke-Heinemanns immer noch lesenswerten Buch über das Frühe Mönchtum (Essen 1964) lese ich zum Thema „Das Motiv der Nachfolge“ passend zu dieser Nachricht: Die frühen Mönche wollten Christus in seinem Leiden ganz nahe sein. Ein Mittel hierzu war die Enthaltung, die sie als eine „lebenslängliche Kreuzigung, eine crucifixio perpetua, ein immerwährendes bewusstes Ertragen, Aufsichnehmen und Überwinden des feindlichen Ansturms und Anspruchs gegen den Durchbruch des wirklichen Lebens“ verstanden. „Die Selbstverleugnung steigerte sich bei ihnen zu dem dauernden Verlangen nach Opfern, Leiden und Schmerzen. Sie glaubten, dass sie, je mehr sie sich kreuzigten, desto mehr die Wirklichkeit Gottes erführen, dass sie, je mehr sie in ihrem Leben auch Dinge sich versagten, die, wenn auch nicht feindlich, so doch nicht Eigentliches bedeuten, um so mehr das Eigentliche begreifen und ergreifen würden.“ (S. 86)
Uta Ranke Heinemann mit einem Buch von 1964 im Jahr 2008 als Zeugin zeitgemäßer geistlicher Pädagogik und Erkenntnisse der Psychologie zu zitieren, hat schon etwas Gewagtes - wieder einmal scheint sich der böse Verdacht zu bestätigen, daß die Revolutionäre der Nachkonzilszeit in einer Zeitschleife gefangen sind, die nur Jahreszahlen zuläßt, die mit 196 anfangen - kein Vorher und kein Nachher. Und über den Unterton und die Vollständigkeit dieser Beschreibung der Ideale des Mönchtums reden wir besser ein andermal.
So sehr ich den Gedankengang nachvollziehen kann, - ja, er fasziniert mich sogar -, so sehr lässt sich dieser Weg nicht verordnen. Der einzelne mag ihn peu à peu für sich entdecken und darin wachsen. Wenn dieser Ansatz aber zur allgemein verbindlichen Spiritualität für jung und alt in einer Gemeinschaft erhoben wird, muss man sich Sorgen machen; dann mögen psychisch ganz Gesunde, falls es die überhaupt gibt, daran zur Heiligkeit emporreifen, aber die anderen werden daran krank oder wenden sich enttäuscht ab und entgleiten in die Mittelmäßigkeit.
In diesen Sätzen zeigt sich ein Mißverständnis, das man nun wirklich bei keinem vermutet, der einmal in ein Kloster eingetreten ist. Oder waren im Jahr 1970 die Unterschiede zwischen den traditionellen Orden vom Sturm der Reformatoren bereits soweit eingeebnet, daß man nichts mehr wußte vom je besonderen Weg und dem besonderen Charisma der Trappisten da, der Benediktiner dort, der Franziskaner anderswo und der Jesuiten sowieso?
So, wie es kein Pflichtzölibat gibt, sondern nur eine freiwillige Entscheidung für das Priestertum mit allen für die priesterliche Lebensgestaltung gültigen Regeln, so gibt es doch auch keinen von außen einwirkenden Zwang zu einer dem einzelnen fremden verbindlichen Spiritualität und Lebensweise, wenn man einem Orden beitritt, der seit Jahrhunderten in allen seinen Ausdrucksformen seine Spiritualität und seine Lebensweise zur freien Wahl ausstellt.
Um 1970 gab es sie doch noch alle, nicht nur die Trappisten und Dominikaner, auch die Vallumbrosaner, die Stigmatiner, die Piaristen und die Barnabiten - ein ganzer Katalog zur freien Auswahl unter verschiedenen Spiritualitäten und Lebensentwürfen, für viele etwas und für niemanden Zwang.
Das ist die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, die mir ein früherer Generalabt der Trappisten bestätigt hat. Welcher nostalgische Wurm meine armen Mariawalder Mitbrüder gebissen hat, welche Zukunftshoffnungen sie damit verbinden und welchen Dienst sie der Kirche mit diesem Schritt zurück zu leisten beabsichtigen, weiß ich nicht. Sie tun mir leid. – Und ich bin froh, nach der Zeit eines gewissen verstiegenen Eifers am Anfang für mich das gesunde Maß des hl. Benedikt entdeckt zu haben. Mir soll es genügen, das je und je Zugemutete als Angebot zu entdecken, mich mit dem leidenden Christus zu vereinen.
In solchen Sätzen kommt die ganze autoritäre Grundeinstellung der Revolutionäre von 196X zum Ausdruck. Als ob das Zeugnis eines früheren Generalabtes viel zu besagen hätte, der mitgeholfen hat, seinen Orden so gründlich in den Schiffbruch zu segeln, daß viele Konvente heute vom Aussterben bedroht sind. Auch Generaläbte werden nicht nach ihren Titeln, sondern nach den Früchten ihres Wirkens beurteilt. Als ob das "Mir soll es genügen" schon ausreichen würde, denen, die etwas anderes (wir sagen ausdrücklich nicht „mehr“) wollen, vorzuwerfen, vom Wurm der Nostalgie gebissen worden zu sein.
Natürlich wissen wir nicht, ob es dem Neuburger Konvent helfen könnte, sich wieder stärker mit der Tradition des Ordens und der Kirche überhaupt zu identifizieren, statt Professorenweisheiten aus den 60er Jahren (oder auch neueren Datums) für zeitgemäße Orientierung christlichen Lebens zu halten. Von hier aus gesehen sieht es so aus: Beide Äbte sind Kapitäne vom Untergang bedrohter Kähne - die vor 40 Jahren eingebauten Super-Duper-V2-Motoren sind stotternd stehen geblieben. Der eine spornt seine Mannschaft an, sich nach alter Väter Sitte mit aller Kraft in die Riemen zu werfen. Und der andere ruft rüber: "Wohl vom nostalgischen Wurm gebissen, was?"
Am 24. November - das ist der Tag, an dem die Nachricht von der Rückkehr der Abtei Mariawald zur alten Ordnung durchs Internet - ging, veröffentlichte Abt Franziskus Heereman von Kloster Neuburg in der rubrik „Tagebuch des Abtes“ auf der Website des Klosters einen Text, in dem er sein Unverständnis über die Etnscheidung von Mariawald zu Protokoll gibt. Wir haben den Text ganz übernommen und wie üblich mit unseren Kommentaren versehen.