Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Die Sprache der Riten

„Dieses ist größer als Du“
oder: Ein Texaner entdeckt die Liturgie

14. 6. 2009

Von Gordon Atkinson

Wir haben diesen Bericht ungekürzt nach dem Blog von Rev. Atkinson übersetzt, wo er unter dem Titel „Nichts für Leichtgewichte“ am 1. Juni erschienen ist. Die Bilder entnehmen wir der Website der Orthodoxen Kirche des hl. Antonius des Großen in St. Antonio, Texas.

Aus einem Baptistenprediger, und sei er liturgisch noch so sensibel, wird natürlich mit einer Teilnahme an einem Orthodoxen Gottesdienst kein Orthodoxer und kein Katholik. Wir haben darauf verzichtet, diese Selbstverständlichkeit zu jeder Gelegenheit anzumerken und nur an einer Stelle eine Sacherklärung eingefügt.

Letzter Sonntag war der vierte von dreizehn in meiner Auszeit (Sabatical). Jeder davon ist mir kostbar, und jede Woche suche ich mir einen Ort und Stil für den Gottesdienst aus. Ich bin kein Kirchentourist, der einfach etwas Neues sehen will – ich bin auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen. Samstag abend hatten Jeanene und ich immer noch nicht entschieden, wo wir hingehen wollten. So etwas ist in unserer Kultur zwar ziemlich verbreitet, aber für mich war es neu: „Wo möchtest Du zur Kirche gehen?“ - „Ich weiß nicht, wo möchtest DU denn hingehen?“ Dann habe ich die Website der Kirche vom Heiligen Antonius dem Großen gefunden.- Das ist eine Orthodoxe Kirche, deren Altarraum wunderschön mit Kunst nach byzantinischem Stil geschmückt ist. Also entschieden wir uns, dorthin zu gehen.

Shelby und Lilian gingen mit. Auf dem Hinweg warnten wir sie, das würde anders sein als die Gottesdienste, die sie kannten: Ich sagte den Mädchen: „Kann sein, daß sie ihren Gottesdienst seit vielleicht tausend Jahren nicht mehr verändert haben.“ Das war eine Untertreibung.

Die Kirche vom hl. Antonius dem Großen ist nicht nur von der alten Schule – sie ist alte Schule mit Wachsschreibtäfelchen und Stylus. Wir kamen 10 Minuten vor Beginn an, und der Raum war schon voll mit Menschen, die Kerzen anzündeten und beteten. Es gab einen Türsteher – den fragte ich: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen.“ Er gab uns ein Heft mit der Liturgie und winkte uns herein.

Bänke? Hier gibt's keine dämlichen Bänke! Sitzgelegenheiten für die Gläubigen, das ist modernistisches Zeug aus dem 14. Jahrhundert. Überall prachtvolle byzantinische Kunst, die man bei einem berühmten Künstler in Bulgarien in Auftrag geben hatte. In Gewänder gehüllte Priester mit Rauchfässern – diese Dinger, mit denen man Weihrauch hin- und her schwenken kann. Lange, schwierige Lesungen, und Gesänge, die dauerten und dauerten und dauerten. Und jeder davon vollgepackt mit schwierigen theologischen Gedanken. Es war, als ob sie rohe Theologie brockenweise aus alten Glaubensbekenntnissen herausrissen und dann mit vollen Händen in die Versammlung würfen. Und damit wir es wirklich nicht zu leicht hätten, wurde alles in eintöniger Stimmlage und mit dem Tempo eines Auktionators vorgetragen.

Ich hörte Wörter und Ausdrücke, die ich seit dem Seminar nicht mehr gehört hatte: Gottesgebärerin - gezeugt, nicht geschaffen - auf den Flügeln von Cherubim und Seraphim - darbringen und flehentlich bitten. Wie ein Alptraum für ein Kind mit Aufmerksamkeitsstörungen. Gewänder, ehrfurchtgebietende Kunstwerke, Weihrauchwolken, plötzlich in der Ikonostase aufspringende geheime Türen, aus denen kleine, ebenfalls in Gewänder gekleidete Jungen mit Kerzenleuchtern kamen, Gesänge eines kleinen Chors, die über die gewölbte Decke zu rollen und dann von der anderen Seite auf einen zu kommen zu schienen – wo aber niemand sang. Die Akustik war umwerfend. Ganz egal, wer sprach – der Ton schien immer von überall zu kommen. Es war so viel los, daß ich unmöglich alles aufmerksam verfolgen konnte.

Lilian ging als Erste zu Boden – nach einer halben Stunde stehen war sie fertig. Jeanene ging mit ihr zu einer Bank an der Seitenwand. Sie sank an Jeanenes Schulter und schaute mich mit diesem perplexen Ausdruck an, ziemlich vorwurfsvoll: Wie konntest du uns nur hierhin schleppen?

Shelby versuchte, es durchzustehen. Wir verfolgten die Handlung in dem 40-seitigen Liturgieheft, das aber nur die Kurzfassung des Gottesdienstes bot, den wir erlebten. Ich habe sicher 10mal den Faden verloren. Nach 50 Minuten beugte Shelby sich zu mir und fragte, wie lange es noch gehen würde. Ich versuchte, mein eingeschlafenes Bein am Einknicken zu hindern und zeigte ihr das Buch – wir waren auf S. 15. Ich blätterte durch die restlichen 25 Seiten Seiten, um ihr zu zeigen, wieviel mehr es noch wäre. Ihr fiel die Kinnlade herunter: „Meinst Du das ernst?“. „Sicher. Und ich denke, irgendwann kommt auch noch eine Predigt.“ „Die Predigt war noch gar nicht? Was war denn das, als der eine soviel redete über – über all das da?“ „Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Ich muß auf die Toilette“ sagte sie, ich drehte mich um und sah, wie sich hinten die Tür schloß.

Und da war‘s nur noch einer.

Ich hielt die ganze Stunde und 50 Minuten durch, ohne mich einmal hinzusetzen, mein Rücken schmerzte heftig. Gegen Schluß kam Shelby dann wieder zurück. Bei der Kommunion meinte ich, daß wir besser nicht teilnehmen sollten, weil ich nicht wußte, welche Regeln hier gelten würden. Wir blieben höflich hinten stehen, eine Frau bemerkte uns und brachte uns etwas von dem Brot, sie verbeugte sich höflich, als sie es uns reichte. Ich fand diese Geste des Willkommens gegenüber Neulingen, die offenbar große Verständnisprobleme hatten, sehr anrührend.

Und genau darum hat es sich gehandelt: Eine Geste des Willkommens.Bei Orthodoxen Gottesdiensten wird oft neben und getrennt von der Eucharistie auch noch ein geweihtes Brot ausgeteilt, dessen Empfang die Gemeinschaft der Versammelten betont.

Und so mußte ich ein wenig weinen. Warum auch nicht; ich wette, Ihnen wäre es auch so gegangen.

Als alles vorbei war, sprach uns eine andere Frau an: „Ich sehe, den Mädchen hat das Stehen schwer zu schaffen gemacht.“ Ja, sagte ich, „dieser Gottesdienst ist nichts für Leichtgewichte“. Da lachte sie und sagte „Ja“ - und das weder beschämt noch als Entschuldigung.

Und was halte ich nun von meiner Erfahrung in der Orthodoxen Kirche des hl. Antonius des Großen?

Ich bin begeistert. Begeistert, begeistert, begeistert und begeistert.

„Sie wissen nicht, was ‚Gottesgebärerin‘ bedeutet? - Nehmen Sie sich ein Buch und lesen Sie nach.“ „Es fällt Ihnen schwer, zwei Stunden lang zu stehen? - machen Sie ein paar Übungen und bringen sich für den Gottesdienst in Form. Wir stehen hier vor dem Herrn, unserem Gott, Sterblicher. Wir kommen Sie nur darauf, Sie könnten ohne Schmerzen dem Ewigen gebührende Ehrfurcht erweisen!

Das leuchtet mir ein, das kann ich verstehen. Es ist mir schwer gefallen, den Worten der Gesänge und der Liturgie zu folgen – aber selbst mein fehlendes Verständnis hat mich etwas gelehrt:

„Es gibt so viel, was Du noch zu lernen hast. Es ist mehr, als ein Mensch in seiner Lebenszeit bewältigen kann. DIESES IST GRÖßER ALS DU. Dein Verständnis ist hier nicht die Hauptsache. Dies sind die uralten Riten der Kirche. Bleibe bei uns, Bruder, und Du wirst es im Lauf der Zeit lernen. Oder geh und such‘ Dir einen weniger anstrengenden Gottesdienst, wenn Du nicht anders kannst. Gott segne dich auf deinen Wegen. Wir haben Verständnis dafür – aber so machen wir es nun mal in unserer Kirche.“

Ich werde am Sonntag wieder dorthin gehen. Ich wollte eigentlich schreiben: „Ich freue mich jetzt schon darauf“, aber das ist nicht ganz passend. Ich fühle, daß es richtig ist.

Und das genau ist es, wonach ich suche.

Nachtrag: Ich war am folgenden Sonntag wieder in der Kirche von St. Antonius dem Großen. Ich denke, ich konnte schon ein wenig besser folgen. Ich profitiere wirklich sehr viel vom Orthodoxen Gottesdienst. Aber Shelby und Lilian haben sich dieses mal geweigert, mitzugehen.