Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Der Streit um das Konzil

„Priesterausbildung zwischen Säkularismus und Kirchenbegriff“

12. 6. 2009

Kurz nach Ausrufung des Priesterjahres, das nach dem Willen des Heiligen Vaters am 19. Juni beginnt, hat Erzbischof Jean-Louis Bruguès O.P., Sekretär der für die Priesterseminare zuständigen Bildungskongregation, am 16. März eine bemerkenswerte Rede vor den Regenten der Päpstlichen Seminare gehalten. Wir haben die Ansprache, die am 3. Juni im Osservatore Romano veröffentlich wurde, hier vollständig übersetzt nach der englischen Fassung auf chiesa.espressonline.it.

Erzbischof
Jean-Louis Bruguès

Es ist immer gefährlich, eine gesellschaftliche Situation auf Grundlage eines einzigen Denkansatzes zu erklären. Trotzdem gibt es einige Schlüssel, die mehr Schlösser öffnen als andere, und ich bin seit langem überzeugt, das „Säkularisierung“ ein Schlüsselbegriff für unser Verständnis der heutigen Gesellschaft, aber auch der heutigen Kirche ist.

Säkularisierung bezeichnet einen schon seit langem laufenden historischen Prozess, der in Frankreich mitte des 18. Jahrhunderts entstand und sich dann auf alle modernen Gesellschaften ausbreitete. Allerdings gibt es bei der gesellschaftlichen Säkularisierung zwischen den einzelnen Ländern große Unterschiede.

In Frankreich und Belgien z.B. neigt der Säkularismus dazu, Zeichen für die Religionszugehörigkeit in der Öffentlichkeit zu verbieten und Religion auf die Privatsphäre zurückzudrängen. Die gleiche Tendenz läßt sich in deutlich abgeschwächtem Maße auch in Spanien, Portugal und Großbritannien beobachten. In den USA geht die Säkularisierung demgegenüber problemlos mit dem öffentlichen Ausdruck religiöser Überzeugungen zusammen, wie wir das auch während der letzten Präsidentschaftswahl beobachten konnten.

Im Lauf des letzten Jahrzehnts hat sich dazu unter Spezialisten eine interessante Diskussion entwickelt. Vorher ging man allgemein davon aus, daß der europäische Säkularisationstyp den Normalfall und der amerikanische eine Ausnahme darstelle. Inzwischen gibt es jedoch viele Beobachter – zum Beispiel Jürgen Habermas – die es umgekehrt sehen und erwarten, daß Religionen im postmodernen Europa eine neue gesellschaftliche Rolle spielen werden.

Neuanfang mit dem Katechismus

Unabhängig von der Form, in der sie verlaufen ist, hat die Säkularisierung in unseren Ländern einen Zusammenbruch der christlichen Kultur herbeigeführt. Die jungen Männer, die in unsere Seminare kommen, wissen wenig bis nichts von der katholischen Lehre, von der Geschichte und den Gebräuchen der Kirche. Dieser allgemeine Mangel an Bildung zwingt uns dazu, in der bisherigen Seminarpraxis tiefgehende Änderungen vorzunehmen – auf zwei davon möchte ich näher eingehen.

Als erstes scheint es mir unentbehrlich zu sein, diesen jungen Männern eine Zeit der Vorbereitung – ein Jahr oder länger – zukommen zu lassen, in dem sie sich mit den elementaren Grundlagen der katholischen Lehre und Kultur befassen. Für diese Vorbereitungsprogramme sind entsprechend den konkreten Bedürfnissen der jeweiligen Länder unterschiedliche Verfahren zu entwickeln. Ich für meine Person denke daran, ein ganzes Jahr für die Aneignung des Katechismus der Katholischen Kirche anzusetzen, der sich als ein sehr umfassendes Kompendium anbietet.

An zweiter Stelle sollten auch die eigentlichen Ausbildungsprogramme neu gefasst werden. Die jungen Männer, die ins Seminar kommen, wissen, daß sie wenig wissen. Sie sind demütig und geradezu begierig, sich die Botschaft der Kirche anzueignen. Mit ihnen zu arbeiten bringt ganz hervorragende Ergebnisse. Ihr Mangel an Bildung hat auch eine positive Nebenwirkung: Sie schleppen nicht mehr die negativen Vorurteile ihrer älteren Brüder mit sich. Wir haben das Glück, mit einer „tabula Rasa“ arbeiten zu können. Deshalb befürworte ich eine sorgfältige organische theologische Grundausbildung, die sich auf das Wesentliche konzentriert.

Für die Verantwortlichen dieser Bildungsprogramme bedeutet das, daß sie die Grundausbildung nicht länger im Zeichen des kritischen Geistes veranstalten können, wie das in meiner Generation üblich war, für die die Entdeckung der Bibel und der Lehre durch einen systematisch kritischen Ansatz verseucht war. Sie dürfen auch nicht länger der Versuchung zur frühzeitigen Spezialisierung erliegen, denn den jungen Männern fehlt schlichtweg der dazu erforderliche kulturelle Hintergrund.

Lassen Sie mich hier einige der Fragen darlegen, die mich in diesem Moment beschäftigen. Es ist absolut vernünftig, zukünftigen Priestern eine vollständige Ausbildung auf höchstem Niveau zukommen lassen zu wollen. Wie eine fürsorgliche Mutter will die Kirche das Beste für ihre künftigen Priester. Und so hat man die Zahl der Kurse vervielfacht , aber dabei die einzelnen Programme so erdrückend gestaltet, daß es in meiner Sicht als übertrieben gelten muß. Sie haben wahrscheinlich bemerkt, daß viele ihrer Seminaristen ständig in Gefahr sind, sich entmutigen zu lassen. Ich frage Sie: Ist der enzyklopädische Ansatz wirklich der richtige für diese jungen Männer ohne gründliche christliche Bildung? Hat dieser Ansatz nicht vielleicht zu einer Zersplitterung der Ausbildung, einer bloßen Anhäufung von Stoff und einer übertriebenen historisierenden Perspektive geführt? Ist es wirklich notwendig, um nur ein Beispiel anzuführen, jungen Männern, die nie den Katechismus gelernt haben, eine tiefgehende Ausbildung in Soziologie oder Kommunikationswissenschaften vermitteln zu wollen?

Ich empfehle Tiefe vor Breite, Synthese vor der Ausbreitung von Details, Architektur vor Dekoration. Die gleichen Überlegungen führen mich dazu, daß das Studium der Metaphysik, so anspruchsvoll es auch sein mag, die absolut unentbehrliche Vorbereitungsphase für das Studium der Theologie darstellt. Unsere Seminaristen haben oft eine solide technische und naturwissenschaftliche Ausbildung erhalten – wogegen nichts zu sagen ist – aber ihre Defizite in den allgemeinen Kulturwissenschaften erlauben es ihnen nicht, erfolgversprechend an das Studium der Theologie zu gehen.

Zwei Generationen, zwei Kirchenbegriffe

Ich habe zu vielen Gelegenheiten von Generationen gesprochen, von meiner eigenen, von der vorhergehenden und von der künftigen. Darin liegt für mich das Schlüsselproblem der gegenwärtigen Situation. Natürlich war der Übergang von einer Generation auf die andere schon immer mit Anpassungsproblemen verbunden, aber der gegenwärtige Übergang stellt eine absolute Ausnahmesituation dar.

Das Motiv der Säkularisierung kann uns auch hier zum besseren Verständnis verhelfen. Diese Säkularisierung erfuhr in den 60er Jahren eine einzigartige Beschleunigung. Für die Männer meiner Generation, mehr noch vielleicht für die der vorhergehenden, die wir in einer christlich geprägten Umgebung geboren wurden und aufwuchsen, bedeutete dieser Modernisierungsschub eine große Entdeckung und das größte Abenteuer unseres Lebens. Und so kamen sie dazu, die „Offenheit gegenüber der Welt“, die das zweite vatikanische Konzil verlangt hatte, als Hinwendung zum Säkularismus zu verstehen. Dadurch haben wir in den meisten westlichen Kirchen eine äußerst wirkmächtige Selbst-Säkularisierung erlebt oder sogar betrieben.

Dafür gibt es unzählige Beispiele. Die Gläubigen engagieren sich in höchstem Maße für den Weltfrieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte – aber glauben sie auch an das ewige Leben? Unsere Kirchen haben große Anstrengungen für die Katechese unternommen – aber tendiert nicht diese Katechese selbst dazu, die letzten Wirklichkeiten auszublenden? Unsere Kirchen haben sich auf Druck der öffentlichen Meinung fast alle an den aktuellen ethischen Debatten beteiligt – aber wieviel sprechen sie noch von Sünde und Gnade und vom heiligmäßigen Leben? Unsere Kirchen haben mit enormem Einsatz und großem Erfolg die Mitwirkung der Laien in der Liturgie gefördert – aber hat nicht die Liturgie selbst zum größten Teil den Sinn für das Sakrale verloren? Kann man denn abstreiten, daß unsere Generation – möglicherweise ohne sich desse bewußt zu sein – von einer „Kirche der Reinen“ geträumt hat, von einem Glauben, gereinigt von jedem religiösen Ausdruck, und jeder volkstümlichen Frömmigkeit wie Prozessionen oder Pilgerfahrten abgeneigt?

Der Zusammenprall mit der Säkularisierung unserer Gesellschaften hat unser Kirchen tiefgehend verändert. Man kann die These aufstellen, daß wir von einer „Zugehörigkeitskirche“, in der der Glaube durch die Gemeinschaft bestimmt ist, in die man hineingeboren wurde, zu einer „Überzeugungskirche“ geworden sind, in der der Glaube auf einer bewußten und mutigen Entscheidung oft im Widerspruch zur Herkunftsgruppe beruht. Dieser Übergang wurde von auffälligen quantitativen Veränderungen begleitet. Der Kirchenbesuch, die Teilnahme an Katechesen und auch die Eintritte in die Seminare haben sich sichtlich verringert.

Andererseits hat Kardinal Lustiger vor einigen Jahren einmal an Hand von Zahlen nachgewiesen, daß die Relationen zwischen den Zahlen der Priester und er praktizierenden Gläubigen in Frankreich während der ganzen Zeit unverändert geblieben sind.

Unsere Seminaristen gehören, ebenso wie unsere jungen Priester, zu dieser „Überzeugungskirche“. Sie kommen nicht mehr zum großen Teil aus ländlichen Regionen, sondern aus den Städten, insbesondere den Universitätsstädten. Sie sind oft in geschiedenen oder unvollständigen Familien aufgewachsen – oft haben sie davon Narben davongetragen und manchmal eine gewisse emotionale Unreife behalten. Ihr soziales Umfeld gibt ihnen keine Unterstützung mehr, sie haben sich aus Überzeugung zum Priestertum entschlossen und auf alle gesellschaftlichen Ambitionen verzichtet. (Das gilt in dieser Form nicht überall. Ich kenne afrikanische Gemeinschaften, in denen Familien oder Dörfer die Berufungen, die in ihnen entstanden sind, nach wie vor unterstützen) Und so zeigen sie ein schärferes Profil, eine ausgeprägtere Individualität und auch ein stärkeres Temperament – das sollten wir zu schätzen wissen.

Die Problematik, auf die ich ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, geht deshalb über einen gewöhnlichen Generationskonflikt hinaus. Meine Generation, da bin ich mir ganz sicher, hat Offenheit zur Welt als Hinwendung zum Säkularismus verstanden und sieht sich davon in gewisser Weise fasziniert. Doch während die jungen Männer in den Säkularismus als ihr natürliches Umfeld hineingeboren worden sind und ihn quasi mit der Muttermilch aufgenommen haben, leisten sie ihm Widerstand und versuchen, ihre Identität und ihre Unterschiedlichkeit zu behaupten.

Die Welt umarmen – oder ihr widerstehen?

In den europäischen Kirchen und wahrscheinlich auch in der amerikanischen Kirche gibt es eine Scheidelinie, manchmal sogar einen Bruch, zwischen einer „Zusammenarbeitsfraktion“ und einer „Auseinandersetzungsfraktion“.

Die erste macht uns darauf aufmerksam, daß die Säkularisierung auch Werte enthält, die auf christliche Einflüsse zurückgehen – Gleichheit, Freiheit, Solidarität, Verantwortlichkeit, und sie geht davon aus, daß man sich verständigen und in weiten Bereichen zusammenarbeiten kann.

Die zweite Richtung setzt demgegenüber darauf, Abstand zu halten. Sie geht davon aus, daß die Meinungsunterschiede vor allem auf ethischem Gebiet immer stärker hervortreten werden. Sie schlägt daher eine Alternative zu der gegenwärtig herrschenden ersten Richtung vor und ist bereit, eine Minderheitenrolle zu übernehmen.

Die erste Strömung war im wesentlichen in der Zeit unmittelbar nach dem Konzil entstanden, sie stellte den ideologischen Rahmen für die Interpretation des 2. Vatikanums, die Ende der 60er Jahre und im folgenden Jahrzehnt durchgesetzt wurde.

Das begann sich in den 80er Jahren zu wenden, wobei der Einfluss Papst Johannes Pauls II. eine große Rolle spielte, wenn er auch nicht der einzige Faktor war. Die Zusammenarbeitsfraktion ist gealtert, aber ihre Vertreter besetzen immer noch Schlüsselpositionen in der Kirche. Die Richtung des anderen Kurses ist sehr viel stärker geworden, aber sie spielt noch nicht die entscheidende Rolle. Und daraus erklären sich die Spannungen, die gegenwärtig in vielen Kirchen unseres Kontinents herrschen.

Es fällt mir nicht schwer, einige Beispiele für diesen soeben skizzierten Gegensatz zu geben.

Die katholischen Universitäten liegen exakt auf dieser Scheidelinie. Einige mühen sich um Anpassung und Zusammenarbeit mit der säkularisierten Gesellschaft, auch wenn das bedeutet, sich von dem einen oder anderen Aspekt der katholischen Lehre oder Moral distanzieren zu müssen. Andere betonen neueridng wieder stärker das Bekenntnis des Glaubens und der aktiven Teilnahme an der Verbreitung des Evangeliums. In den katholischen Schulen sieht es genauso aus.

Und das trifft, um zum Thema unserer Zusammenkunft zurückzukommen, auch auf das typische Profil der jungen Männer zu, die an die Türen unserer Seminare oder Ordenshäuser klopfen. Bewerber der ersten Richtung sind zum großen Missvergnügen der Priester der älteren Generation immer weniger geworden. Bewerber der zweiten Strömung sind inzwischen zahlreicher als die der ersten, aber sie zögern oft mit dem Eintritt in unsere Seminare, weil sie dort nicht finden, was sie suchen.

Wie ist ein Ausgleich zu erreichen zwischen den Erziehern, die oft der ersten richtung angehören, und den jungen Leuten, die sich mit der zweiten identifizieren? Werden sich die Erzieher weiterhin an die Zulassungs- und Auswahlkriterien klammern, die auf ihre eigene Zeit zurückgehen, aber nicht mehr mit den Erwartungen der Jugend übereinstimmen? Ich habe von einem französischen Seminar gehört, in dem die Verehrung des allerheiligsten Sakraments für gute 20 Jahre praktisch verbannt war, weil man das für abwegig fromm hielt – die neuen Seminaristen führten einen jahrelangen Kampf dafür, sie wieder zuzulassen. Einige der Professoren gaben sogar ihre Ämter auf, weil sie das schließlich erfolgende Nachgeben gegenüber dem Verlangen der Jungen als eine „Rückkehr in die Vergangenheit“ empfanden, durch das all das aufgegeben wurde, für das sie ihr Leben lang gekämpft hatten.

In den Diözesen, in denen ich als Bischof amtierte, habe ich ähnliche Schwierigkeiten erlebt, wenn ältere Priester – oder auch ganze Gemeinden – die größten Schwierigkeiten hatten, mit den jungen Priestern zurecht zu kommen, die man ihnen geschickt hatte.

Ich verstehe die Schwierigkeiten, denen Sie in ihrem Dienst als Regenten von Seminaren begegnen. Es geht nicht nur um den Übergang von einer Generation zur nächsten, sondern um den Übergang von einer Interpretation des Zweiten Vatikanums zu einer anderen, möglicherweise sogar von einem Kirchenbild zu einem anderen. Ihre Aufgabe ist wirklich schwierig, und sie ist von größter Bedeutung für die Kirche.