Der „Gregorianische Ritus“ ist für alle da!
Interview zu Summorum Pontificum mit Kardinal Castrillón Hoyos in „Jesus“
10. 5. 2008
Die italienische Journalistin Vittoria Prisciandaro hat für die Zeitschrift „Jesus“ ein Interview mit Kardinal Castrillon Hoyos geführt, in dem sie den Vorsitzenden der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei zur Bedeutung und Zielsetzung des Motu Proprio Summorum Pontificum befragt. Wir übersetzen die wesentlichen Passagen des Interviews unter Rückgriff auf die verschiedenen bereits im Internet kursierenden englischen Übersetzungen, z. B. bei WDTPRS und TNLM.
Alle Bilder zeigen Kardinal Dario Castrillon Hoyos beim Pontifikalamt in Loreto am 17. September 2007.
Frage: Eminenz, Wie schätzen sie heute, einige Monate nach dem Erlass von Summorum Pontificum, die Situation ein.
Antwort: Mit dem Motu Proprio wollte der Papst allen die Gelegenheit geben, den großen spirituellen, religiösen und kulturellen Reichtum der Liturgie des Gregorianischen Ritus für sich nutzbar zu machen. Das Motu Proprio soll ein Geschenk für alle sein, nicht nur eine Antwort auf einige Beschwerden und Anfragen. Viele, die zunächst wenig mit der außerordentlichen Form des römischen Ritus im Sinn hatten, bringen ihm jetzt hohe Wertschätzung entgegen. Unter den Gläubigen möchte ich drei Gruppen unterscheiden: Solche, die in einer mehr oder weniger ausgeprägten organisatorischen Verbindung zur Piusbruderschaft stehen, diejenigen von der Petrusbruderschaft, und schließlich am bedeutendsten und am zahlreichsten die Gruppe, die der religösen Kultur aller Zeiten anhängt und die heute die spirituelle Intensität des alten Ritus neu entdecken – darunter gibt es auch viele junge Leute. In den letzten Monaten sind mehrere Vereinigungen neu entstanden, die aus Personen dieser letzten Gruppierung bestehen.
Frage: Wenn wir von Reichtum sprechen: Einige Liturgiker heben hervor, daß der außerordentliche Ritus nicht den biblischen Reichtum enthält, den der Novus Ordo bietet.
Antwort: Diese Leute haben das Motu Proprio nicht gelesen, denn der Papst unterstreicht, daß die beiden Formen sich gegenseitig bereichern sollen. Und es liegt auf der Hand, daß ein solcher liturgischer Reichtum nicht verschwendet werden sollte. Im Novus Ordo wird über die Jahre praktisch die ganze Bibel gelesen, und dieser Reichtum sollte nicht abgewehrt, sondern in den außerordentlichen Ritus aufgenommen werden.
In dieser allgemeinen Form kann man dieser Aussage vielleicht zustimmen. Allerdings erweckt die Vorstellung, man könne eine Integration der bestehenden Lektionare des NO in die alte Form betreiben, schwerste Bedenken – inwieweit die Erarbeitung neuer Lektionare möglich ist, die die Mängel der neuen Leseordnung vermeidet und dennoch mehr biblische Texte präsentiert, bleibt zu diskutieren. Zweifellos wäre es am besten, wenn zunächst eine Art „Moratorium“ ausgerufen würde, das den alten Ritus für die Dauer von ein oder zwei Jahrzehnten vor allen Veränderungen bewahrt und denen, die ihn neu aneignen wollen, die nötige Ruhe gewährt. Jetzt wieder in den gleichen hektischen Reformeifer zu verfallen, der die Jahre zwischen 1955 und 1965 gekennzeichnet hat, kann nur verhängnisvolle Auswirkungen haben. Zur Frage des Lektionars haben wir inzwischen einen eigenen Artikel anzubieten.
Frage: Ein weiterer Einwand zielt darauf ab, daß getrennte und unterschiedliche Messfeiern zur Herausbildung getrennter Gemeinden führen könnten...
Antwort: Es ist eine Vielfalt, die bereichert, es geht um eine größere kulturelle Freiheit, die der Papst hier in kühner Weise möglich gemacht hat. Tatsächlich gibt es ja in den Gemeinden sehr große Unterschiede in der Liturgie, und dabei möchte ich noch nicht einmal von den Mißbräuchen sprechen, denn den Mißbräuche gilt nicht das Hauptaugenmerk des Motu Proprio.
Frage: Ihr Sekretär, Msgr. Camillo Perl, hat angekündigt, daß in Kürze ein Dokument zur Erläuterung des Motu Proprio veröffentlicht wird. Wann soll es herauskommen?
Der langjährige Sekretär der Kommission, Msgr. Perl, ist inzwischen stellvertretender Leiter - hier war die Interviewerin nicht ganz auf dem neuesten Stand.
Antwort: Das war Kardinal Bertone, der das angekündigt hat, und dazu ist er auch berechtigt. Aber ich als Diener des Papstes werde es erst dann ankündigen, wenn der Papst das anordnet. Unsere Kommission hat dem Papst berichtet, daß aus der ganzen Welt sehr viele Fragen an uns gerichtet werden – viele davon sind sehr berechtigt, andere gehen auf mangelndes Wissen zurück. Der hl. Vater und nur er wird entscheiden, ob die Veröffentlichung eines solchen Dokumentes angebracht ist und wann das geschehen soll.
Frage: Welche Fragen haben Sie bekommen, die eine Antwort verdienen?
Antwort: An erster Stelle die Frage nach dem Latein, weil, so sagt man, es nicht angebracht sei, in einer Sprache zu zelebrieren, die man nicht kennt. Unglücklicherweise haben viele Seminaristen, aber auch einige Priester kein Latein studiert und deshalb fällt es ihnen schwer, die außerordentliche Form zu feiern. Dazu sollte man zumindest den Kanon der Messe kennen, den Teil mit der Konsekration. Wir bereiten uns bei Ecclesia Dei darauf vor, Veranstaltungen, Kurse und elektronische Hilfsmittel für die vertiefte Kenntnis der älteren Liturgie anzubieten. In Frankreich, Deutschland, Brasilien, Mittelamerika und den Vereinigten Staaten haben bereits Lehrgänge stattgefunden. In Toledo in Spanien wird überlegt, ob man ein eigenes Seminar speziell für die Vorbereitung im alten Ritus einrichten soll oder ob man dafür besondere Kurse im Seminar der Diözese anbietet. Ganz allgemein stellen wir in der wissenschaftlichen Welt ein Interesse an der Rückkehr des Lateinischen fest. Es war traurig anzusehen, wie in den vergangenen Jahren nicht nur die Sprache vernachlässigt worden ist, sondern auch bestimmte theologische Inhalte, die mit der semantischen Präzision des Lateinischen verbunden sind.
Frage: Ein anderes Problem ist der Priestermangel....
Antwort: Wenn es in einer Diözese zuwenig Priester gibt und nur drei oder vier Gläubige nach dem außerordentlichen Ritus fragen, dann sagt einem der gesunde Menschenverstand, daß es schwer fällt, dieser Nachfrage entgegen zu kommen. Doch da es die Absicht, die Zielsetzung des Papstes ist, diesen Schatz zum Wohle der Kirche zu heben, wäre es am besten, da, wo man keinen Priester speziell dafür abstellen kann, eine der Sonntagsmessen in der Pfarrei nach dem außerordentlichen Ritus zu zelebrieren. Das wäre eine Messe für alle, und alle, auch die junge Generation, könnten am Reichtum des außerordentlichen Ritus teilhaben – beispielsweise an den Augenblicken der Besinnung, die es im Novus Ordo nicht mehr gibt.
Frage: Sie sind also der Meinung, daß man auch da, wo es keine ständige Gruppe gibt, in Zukunft eine der Sonntagsmessen im außerordentlichen Ritus anbieten sollte?
Antwort: Ja. Allerdings ist diese Möglichkeit bereits 1986 von einer Kardinalskommission, der auch der damalige Kardinal Ratzinger angehörte, zugelassen worden – das wurde dann allerdings nicht umgesetzt. Jetzt müßte das aber machbar sein.
Frage: Ein anderer Punkt, der der Klärung bedarf, ist die Definition einer „stabilen Gruppe“. Was ist damit genau gemeint?
Antwort: Das ist eine Sache des gesunden Menschenverstandes: Warum soll das ein Problem sein, wenn die Menschen, die nach dem alten Ritus verlangen, aus einer anderen Pfarrei kommen? Wenn sie sich treffen und eine Messe erbitten, dann werden sie zu einer „stabilen Gruppe“ - auch wenn sie sich vorher nicht gekannt haben. Auch die Frage der Zahl ist eine Sache des guten Willens. Insbesondere auf dem Lande kommen werktags auch nur drei oder vier Leute zur hl. Messe nach dem ordentlichen Ritus, ebenso ist es in einigen Ordenshäusern. Warum könnte es pastoral notwendig sein, ihnen eine alte Messe zu verweigern, wenn die gleichen drei Leute danach verlangen?
Frage: Das künftige Dokument würde also Anfragen von kleinen Gruppen mehr entgegenkommen?
Antwort: Ja. Aber man sollte das nicht so verstehen, als ob das auf Kosten anderer ginge, sondern zu aller Bereicherung und natürlich ohne in irgendeiner Weise Gegensätze aufzureißen.
Frage: Dann gibt es da das Problem der Sakramentenspendung – ich denke an den Ritus der Priesterweihe oder der Firmung, der sich auf einen anderen Kodex des kanonischen Rechtes bezieht und andere Formeln verwendet...
Antwort: Gewiss, auf den ersten Blick gibt es da Probleme hinsichtlich der heiligen Weihen, der Firmung und dann auch hinsichtlich der unterschiedlichen Kalender. Beim Weihesakrament gab es in der älteren Form die Tonsur, die niederen Weihen und den Subdiakonat. Diese Form ist weiterhin in Gebrauch und wird auch weiterhin bei den Einrichtungen in Gebrauch bleiben, die auf Dauer dem alten Ritus verbunden sind – also der Petrusbruderschaft, der Piusbruderschaft und anderen. Hinsichtlich der Firmung hatte die Glaubenskongregation schon vor dem Motu Proprio klar gemacht, daß daß es zwischen den beiden Formeln keinen Konflikt gibt, da beide, die alte wie die neue Formel, gültig sind, und das gleiche gilt auch bei den anderen Sakramenten, wenn verschiedene Formeln gebraucht werden.
Das ist höchst bemerkenswert: Der Kardinal spricht, als ob die Piusbruderschaft schon seiner bzw. Roms Jurisdiktion unterstünde - oder als ob er eine Zusage für diese Zeit machen wolle.
Was den manchmal abweichenden Kalender betrifft, so gibt es da tatsächlich Probleme etwa bei Patronatsfesten, Wallfahrtsorten, Orden usw. Mit Klugheit und gesundem Menschenverstand wird man die erforderlichen Anpassungen vornehmen können – auch das ist Sache der Kommission Ecclesia Dei.
Frage: Wann rechnen Sie mit der Versöhnung mit der Piusbruderschaft?
Antwort: Es gibt positive Zeichen, es gibt einen ständigen Dialog. Erst vor ein paar Tagen habe ich einen Brief an Msgr. Fellay, den Oberen der Bruderschaft geschrieben, um auf einen Brief seinerseits zu antworten. Zusätzlich zu Zusammenkünften und dem Austausch von Briefen telefonieren wir auch miteinander. Ich halte die Versöhnung mit der Priesterbruderschaft des hl. Pius X. Deshalb für möglich, weil – das haben wir bei Ecclesia Dei schon öfter gesagt – es sich hier nicht wirklich um ein Schisma handelt, sondern um eine irreguläre Situation, die durch eine „schismatische Handlung“ von Msgr. Lefebvre entstanden ist, als er ohne päpstlichen Auftrag, ja sogar gegen den ausdrücklichen Willen des Papstes Bischöfe weihte. In meinem Herzen habe ich großes Vertrauen, daß der hl. Vater durch die Rückkehr dieser Brüder in die volle Gemeinschaft das Gewebe der Kirche wieder zusammenfügen kann. Es gibt dann noch einige Meinungsverschiedenheiten, aber das war schon immer so in der Geschichte der Kirche.
Frage: Aber mit den Lefebvristen gibt es auch das Problem der Anerkennung des ökumenischen Dialogs.
Antwort: Ja. Es gibt tatsächlich Probleme mit der Interpretation von Konzilstexten zu dieser Frage und auch hinsichtlich konkreter ökumenischer Aktivitäten, aber kein Bischof der Piusbruderschaft wird behaupten, es sei nicht notwendig, die Einheit der Christen anzustreben.
Frage: Nach dem Motu Proprio sind einige Mitglieder der Piusbruderschaft in die Gemeinschaft mit der römischen Kirche zurückgekehrt?
Antwort: Ja, und andere haben die Absicht, das zu tun. Aber ich habe die Hoffnung, daß die ganze Gruppe kommt, ich möchte nicht, daß sie sich spaltet. Wenn freilich ein Einzelner kommt und sagt, daß er jetzt in die Einheit mit dem Papst eintreten will, dann müssen wir ihn aufnehmen. Das Motu Proprio hat auch andere Menschen näher herangezogen. Am 28. März habe ich den Brief eines nicht-katholischen Bischofs erhalten, der sich entschlossen hat, mit anderen Bischöfen und Priestern, die die tridentinische Messe feiern, in die katholische Kirche zu kommen.
Frage: Schaffen die neuen Vollmachten der Kommission Ecclesia Dei keine Konflikte mit den Aufgaben der Bischöfe?
Antwort: Der Papst, der die Autorität über die ganze Kirche, über alle Gläubigen und die Bischöfe hat, hat mit dem Motu Proprio neue Normen gesetzt, und die Päpstliche Kommission ist nur ein Werkzeug im Dienste des Stellvertreters Christi, um seine Entscheidungen auszuführen. Ecclesia Dei ist bemüht, das Motu Proprio in brüderlicher Eintracht, Verständnis und Zusammenarbeit mit den Bischöfen anzuwenden. Eine konfrontative Haltung gegenüber den Bischöfen wegen des Motu Proprio seitens Einzelpersonen, Gruppen oder Einrichtungen ist zu vermeiden. Gewiss werden die Hirten im Gehorsam gegenüber dem Papst Verständnis für die Gläubigen haben, die der liturgischen Tradition besonders verbunden sind. Mit den Bischöfen, die uns kontaktiert haben, konnte ich stets ein Einvernehmen erzielen.
Frage: In der Einleitung zum Nachdruck des „Kompendiums der praktischen Liturgie“ von Trimeloni schreiben Sie, daß der Papst sich der Kommission Ecclesia Dei bedient, damit in der Verschiedenheit der Formen des Kultes die reichen Schätze der Spiritualität und des Glaubens der Braut Christi zum Ausdruck kommen. Worin besteht der Unterschied zwischen der Liturgie Johannes' XXIII. und der reformierten Pauls VI.?
Antwort: Papst Johannes hat auch die Liturgie in sein Bestreben nach einem Dialog der Kirche mit der Kultur der Gegenwart einbezogen. Paul VI. hat die Reformen, die aus dieser Absicht hervorgegangen sind, zur Ausführung gebracht. Der Hl. Geist, der die Kirche stets begleitet, führt sie zu jedem Zeitpunkt ihrer Geschichte zu den notwendigen Veränderungen, ohne dabei harte Brüche in dem Vollendungsprozess zu bewirken, den er selbst im Verlauf der Geschichte getragen hat. Benedikt XVI. macht mit seinem Motu Proprio den Reichtum beider Phasen dieses Prozesses zugänglich und heilt damit auch die Nöte derer, die glauben, daß es in der Sphäre der Liturgie einen unzulässigen Bruch gegeben habe.
Frage: Nach der Neufassung des Karfreitagsgebetes wurde behauptet, der Jüdisch-Christliche Dialog sei um 40 Jahre zurückgeworfen worden. Haben Sie mit dieser Kritik gerechnet?
Antwort: Ist es denn keine gute Sache, wenn wir für unsere Brüder, die Söhne Abrahams, beten? Abraham ist der Vater des Glaubens, aber er steht in einer Kette der Erlösung, die auf den Messias hofft. Und der Messias ist gekommen. In der Apostelgeschichte lesen wir, daß sich an einem Tag 5000 Juden bekehrten. Ich lehne das Gebet im Novus Ordo nicht ab – aber ich halte das jetzige des außerordentlichen Ritus für vollkommen. Und ich bete sehr gerne für die Bekehrung mir teurer jüdischer Freunde, weil ich wirklich daran glaube, daß Jesus der Sohn Gottes und der Erlöser aller Menschen ist.