Aus dem Archiv von Kardinal Castrillón Hoyos
Antwort des Vorsitzenden Kardinals der Päpstlichen Kommission „Ecclesia Dei“ auf bestimmte Fragen.
29. 10. 2008
Fragen an Ecclesia Dei
Da wiederholt Fragen zum Motu Proprio Summorum Pontificum an die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei gestellt wurden, von denen sich viele auf die Vorschriften des Dokumentes Quattuor abhinc annos an die Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen vom 3. Oktober 1984 bezogen, hat der Vorsitzende der Kommission, S. E. Kardinal Castrillon Hoyos es für angebracht erachtet, in folgender Weise zu antworten:
Frage: Ist es zulässig, sich auf den Brief Quattuor abhinc annos zu beziehen, um Fragen bezüglich der Feier der hl. Messe nach der außerordentlichen Form des römischen Ritus, also nach dem Missale Romanum von 1962 zu regeln?
Antwort: Offensichtlich nicht. Mit der Veröffentlichung des Motu Proprio Summorum Pontificum sind die Vorgaben für die Verwendung des Missale von 1962, wie sie vorher in Quattuor abhinc annos und danach im Motu Proprio Ecclesia Dei adflicta des Dieners Gottes Johannes Pauls II. gegeben worden sind, hinfällig geworden.
Tatsächlich bestimmt Summorum Pontificum selbst bereits im 1. Artikel ausdrücklich, daß damit die „Bedingungen für die Verwendung dieses Missales, so wie sie in den früheren Dokumenten Quattuor abhinc annos und Ecclesia Dei festgelegt worden waren“ abgelöst werden. Das Motu Proprio stellt die neuen Bedingungen für seine Verwendung auf.
Daher ist es nicht länger möglich, sich auf die Einschränkungen, die in diesen beiden Dokumenten hinsichtlich der Verwendung des Missales von 1962 getroffen worden waren, zu beziehen.
Frage: Was sind in dieser Hinsicht die wesentlichen Unterschiede zwischen dem neuen Motu Proprio und den beiden vorhergehenden Dokumenten?
Antwort: Der erste wesentliche Unterschied besteht zweifellos darin, daß man heute die hl. Messe nach dem außerordentlichen Ritus feiern kann, ohne dafür eine besondere Erlaubnis in Form eines Indults zu benötigen. Der hl. Vater Benedikt XVI. hat ein für allemal entschieden, daß der römische Ritus aus zwei Formen besteht, die er als die „Reguläre Form“ (Zelebration des Novus Ordo nach dem Missale Papst Pauls VI. Von 1970) und die „Außerordentliche Form“ (Zelebration des Gregorianischen Ritus nach dem Missale des sel. Johannes XXIII. von 1962) bezeichnet, und er hat bekräftigt, daß das Missale von 1962 niemals abgeschafft worden ist. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß jeder katholische Priester des Lateinischen Ritus in Messen „sine populo“ jedes dieser beiden Missale verwenden kann (Art. 2). Darüberhinaus obliegt es dem Pfarrer oder dem Rektor der Kirche, in der jemand für die Gläubigen oder „sine populo“ zelebrieren möchte, den Priestern, die ein Zelebret ihres zuständigen Ordinarius vorlegen, die Genehmigung zu geben. Sollte er diese Genehmigung versagen, hat der Bischof in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Motu Proprio sicherzustellen, daß eine Erlaubnis erteilt wird (vergl. Art. 7).
Man muß wissen, daß bereits am 12. Dezember 1986 ein Ad-Hoc-Ausschuss von Kardinälen (bestehend aus den hochwürdigsten Herren Kardinälen Paul Augustin Mayer, Präfekt der Gottesdienstkongregation, Agostino Casaroli, Bernardin Gantin, Joseph Ratzinger, William W. Baum, Edouard Gagnon, Alfons Stickler, Antonio Innocenti) gebildet wurde, der „nach dem Willen des hl. Vaters die Aufgabe hatte, die erforderlichen Schritte zu untersuchen, um die Wirkungslosigkeit des Päpstlichen Indults Quattuor abhinc Annos (betreffend die Erneuerung der sogenannten Tridentinischen Messe in der Lateinischen Kirche nach dem Missale romanum in der Editio Typica von 1962) zu beheben, das von der Gottesdienstkongregation unter Protokollnummer N. 686/84 am 3. Oktober 1984 erlassen worden war.“ Diese Kommission hatte dem hl. Vater Johannes Paul II. bereits damals viele wesentliche Elemente zur Erreichung dieses Zieles vorgeschlagen, die im jetzigen Motu Proprio wieder aufgenommen worden sind.
Referat der Empfehlungen der Kardinalskommission
Ich möchte in einer Zusammenfassung dieses Berichtes die Worte der hochwürdigsten Herren Kardinäle zitieren, um zu zeigen, wie das aktuelle Dokument im Wesentlichen die Vorstellungen wiedergibt, die diese bedeutende Kardinalskommission schon so kurz nach Quattuor abhinc annos entwickelt hatte.
Sie unterstrichen, daß:
- „es der Wille und die Absicht des Hl. Vaters (Johannes Paul II.) war, die Innere Harmonie der Kirche und damit auch die Erbauung der Gläubigen zu fördern“;
- „dieses zu erreichen ist einerseits durch die vorrangige Wiederherstellung der Gemeinschaft in der praktizierten lex orandi, welche eine gesunde Realisierung der Liturgiereform darstellt, andererseits aber auch mit dem nötigen Respekt für die legitimen Bedürfnisse von Minderheiten, die sich nicht nur durch vollständige Orthodoxie in der Lehre auszeichnen, sondern auch durch eine beispielhafte christliche Lebensweise und eine ernsthafte und tief verwurzelte Liebe zum Heiligen Stuhl“;
- „Daher muß es die Aufgabe aller, der Bischöfe, Priester und Gläubigen sein, mit den skandalös willkürlichen Praktiken Schluß zu machen, die aus mißverstandener „Kreativität“ hervorgehen. Sie haben „Wilde Messen“ und andere Sakrilegien hervorgebracht, die jene Gläubigen tief verletzt haben und es ihnen unmöglich machten, die Liturgiereform und die neuen liturgischen Bücher einschließlich des Missales zu begrüßen, da diese unerbaulichen Aktionen unglücklicherweise den falschen Eindruck hervorriefen, daß diese Bücher die Ursache dieser Mißbräuche seien.“
Des weiteren schlug die Kommission vor:
- „Es sollte von dem zuständigen Dikasterium wiederholt werden, daß der Papst wünscht, durch die konkrete Anwendung der von ihm per Indult erteilten Genehmigungen den inneren Frieden unter den Gläubigen der Ortskirche zu befördern.“
- „Die Bischöfe sollen den Willen des Papstes in Übereinstimmung mit seinen Absichten ausführen“
- „Die Bischöfe sollen denen eine angemessene Antwort erteilen, die die Anwendung des Indultes behindern wollen und es als eine Ursache der Spaltung und nicht der Wiedervereinigung darstellen. Diese Antwort darf nicht polemisch, sondern muß pastoral gehalten sein und den Buchstaben und den Geist des Indults mit Feingefühl und Geduld verdeutlichen.“
Des weiteren wurde mit Nachdruck bekräftigt:
- „Das eigentliche Problem scheint weniger der künstliche Konflikt zu sein, den das Indult lösen sollte, sondern das, was darin als Ursache sichtbar wurde, nämlich der Widerspruch zwischen einer korrekten Durchführung der Liturgiereform und den geduldeten Mißbräuchen durch unkontrollierte Phantasie. Es ist daher – unabhängig von diesem Indult – erforderlich, daß der Heilige Stuhl auf anderer Ebene handelt, um die bekannten Mißbräuche, zu beheben, welche die Liturgiereform entstellen.“
- „So wie das Indult formuliert war, vermittelte es auf der einen Seite den eindruck, daß die Lateinische Messe, die sogenannte Tridentinische Messe, nur minderen Wert habe und zweiten Ranges sei, und daher nur aus Mitleid und Gnade wieder zugelassen werde. Andererseits vermittelte es wegen seiner stark einschränkenden Bedingungen den Eindruck, daß der Heilige Stuhl diese Ansicht unterstütze und daß Indult nur deshalb gewährt habe, weil er dazu gezwungen war.“
- „Es ist notwendig, den Bischöfen erneut den eigentlichen Willen des hl. Vaters zu verdeutlichen, der nicht nur auf eine Tolerierung im negativen Sinne abzielt, sondern eine positive und wahrhaft pastorale Initiative darstellt, die darauf abzielt, nicht nur die Reaktion auf Mißstände zu besänftigen, sondern den Konflikt wahrhaft zu überwinden und zu versöhnen.“
- „Es ist notwendig, alles Einschränkungen im Indult zu beseitigen, die den Bischöfen den Eindruck vermitteln, der Heilige Stuhl wolle dieses Indult gar nicht wirklich, und den Gläubigen, sie würden etwas erbitten, daß der Heilige Stuhl nur notgedrungen akzeptieren könne.“
In Ihren Dikussionen kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß
- „sie es begrüßen würde, das Indult allen Gläubigen und Priestern zu gewähren, die davon zu ihrer Erbauung gebrauchen machen wollten – und nicht in einer gegen das Konzil gerichteten Absicht.“
- „es erforderlich wäre, die Bischöfe davon in Kenntnis zu setzen, daß es dem Willen des Papstes entspreche, das Indult auch umzusetzen, und die Gläubigen davon zu unterrichten, daß sie auf respektvolle Weise um die Erfüllung des Willens des Papstes bitten sollten, so daß die Bischöfe angesichts solcher Anfragen keinen Grund mehr zur Ablehnung hätten.“
- „man sich fragen müsse, ob es, wenn man den zur Aussöhnung kommen wolle, wirklich nötig sei, das Einverständnis der Bischöfe für die Feier der lateinischen Messe einzuholen“;
- „ganz generell die harten Einschränkungen des Indults und sämtliche zusätzlichen Bedingungen seitens der Bischöfe abgemildert werden sollten“;
- „daß bezüglich die Einschränkung auf Gruppen, für die das Indult bestimmt war, zwar beibehalten werden solle, aber doch in sinngemäßer Anwendung, so daß auf der einen Seite eine Gruppe zwar nicht nur aus drei oder vier Personen bestehen sollte, es auf der anderen Seite aber auch möglich wäre, daß sich neue Mitglieder solchen Gruppen anschließen könnten.
Die Kommission stellte fest:
- „Es ist unproblematisch den Vortrag der Lesungen in der Umgangssprache zu gestatten“;
- „Bezüglich der Freien Wahl des Lektionars gibt es Vorbehalte aus der Befürchtung, die Unterschiede zwischen beiden Kalendern könnten Verwirrung hervorrufen. Dagegen wurden keine Probleme darin gesehen, die Verwendung der Präfationen des neuen Missales zu gestatten.“
- „Zusätzliche Einschränkungen seitens der Bischöfe und diejenigen im Indult, die sich auf Kirchen beziehen, die keine Pfarrkirchen sind, sowie auf andere Gruppen, sollten aufgehoben werden.“
- „In dem Bewußtsein, daß Latein als Zeichen der Einheit nicht aus der Kirche verdrängt werden soll und darf und in der Absicht, die Bischöfe bei der Wahrnehmung ihrer Rechte eher zu „unterstützen“ als zu „respektieren“, sollten wir das komplizierte Rechtsgefüge des Indults zugunsten von leichter handhabbaren Kriterien vereinfachen. Man könnte dadurch auch dem Eindruck entgegen wirken, daß der Heilige Stuhl durch dieses Indult „Mit der einen Hand gibt und mit der anderen wieder nimmt“. Dabei sollten wir die innere Übereinstimmung der päpstlichen Anordnungen und in der bisherigen Entwicklung herausstellen um gegensätzlichen Interpretationen vorzubeugen.“
Unter Zitierung von Art. 23 von Sacrosanctum Concilium bezüglich der Kriterien, die bei der Verbindung von Tradition und Erneuerung in der Liturgiereform zu beachten sind und von Art. 26 der gleichen Konstitution bezüglich der Normen jeder solchen Reform als Ausfluß der hierarchischen und gemeindlichen Natur der Liturgie wurde vorgeschlagen, in einer eventuell zu erlassenden Revision des Indults der objektive und nicht willkürliche Charakter der Umsetzung der Liturgiereform hervorgehoben werden solle. Dabei solle dargestellt werden, was darunter bei Verwendung der lateinischen Sprache und bei beiden Ausgaben des römischen Missale zu verstehen ist. Außerdem solle sichergestellt werden, daß zumindest in größeren Städten an Festtagen in jeder Kirche eine Messe in lateinischer Sprache gefeiert werden soll, wobei die freie Wahl zwischen den Ausgaben von 1962 und 1980 (sic!) des Missale Romanum besteht.
- „Es wird weiterhin vorgeschlagen, die Vollmachten des Indults auch auf Ordinarien, Generalobere, Ordensobere und andere auszudehnen“;
- „Bezüglich der Zustimmung usw. der Bischofs für die Feier der hl. Messe in Latein ist daran zu erinnern, daß Paul VI. Gesagt hat, daß der Priester an sich bei der privaten Feier der hl. Messe die lateinische Sprache verwenden solle, da die Erlaubnis zum Gebrauch der Umgangssprache pastoral begründet sei , um den Gläubigen das inhaltliche Verständnis der Riten und somit eine bessere Teilnahme zu ermöglichen“;
- „Die Notwendigkeit wird bekräftigt, die freien Wahl zwischen beiden Missale für die Feier der hl. Messe in Latein zu erlauben“;
- „Bezüglich der Art eines erforderlichen Eingriffes wird ein neues päpstliches Dokument vorgeschlagen, in dem unter Betonung des tatsächlichen Standes der Liturgiereform die freie Wahl zwischen beiden Missale in der lateinischen Form eindeutig klargestellt wird, wobei man das eine als Weiterentwicklung und nicht als Entgegensetzung zum anderen darstellt und dem Eindruck entgegenwirkt, jedes dieser Missale sei ein zeitgebundenes Produkt seiner jeweiligen historischen Epoche“;
- „Entsprechend den voranstehend ausgedrückten Wünschen wird betont, daß man den eindeutigen logischen Zusammenhang zwischen den Dokumenten der Kirche und der freien Wahl zwischen beiden Missale für die Feier der hl. Messe darstellen sollte. Es wird vorgeschlagen, daß man sie nur als Entwicklung vom einen zum anderen hin begreifen kann, weil man liturgische Normen, da sie keine Gesetze im eigentlichen Sinne sind, nicht aufheben kann im Sinne von „abschaffen“, sondern nur „aufheben“ in dem Sinne, daß das frühere im späteren erhalten bleibt.“
All dieses wurde dem hl. Vater zur Kenntnis gebracht.
Dieses Dokument wurde am 24. Oktober auf der Website der Kleruskongregation veröffentlicht, deren gegenwärtiger Vorsitzender der brasilianische Kardinal Cláudio Hummes ist. Der Kolumbianer Castrilló war von 1998 bis 2006 Vorsitzender dieser Kongregation und in dieser Zeit auch verantwortlich für den Aufbau eines eigenständigen Webauftritts. Warum sein Text jetzt dort und nicht auf der neuen Website von Ecclesia Dei erschienen ist, bleibt vorerst Gegenstand der Spekulation.
Das Dokument hat zwei deutlich voneinander abgesetzte Teile, die wir mit von uns eingefügten Zwischenüberschriften kennzeichnen: die Antworten auf einige Fragen zur rechtlichen Wirkung von Summorum Pontificum und die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Empfehlungen der Kardinalskommission von 1986 an Papst Johannes Paul II.