Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Papst Benedikt ändert die Karfreitagsliturgie

Die Fürbitte für die Erleuchtung und Erlösung der Juden erhält eine neue Form

8. 2. 2008

1. Die verschiedenen Formen der Fürbitte

Die Karfreitagsfürbitte für die Bekehrung der Juden findet sich bereits im Saramentarium Gelasianum aus dem 8. Jahrhundert in einer sehr ähnlichen Form, der Text blieb dann für etwa 1000 Jahre unverändert. Auch von der einschneidenden Neuordnung der Karwochen-Liturgie durch Papst Pius XII. wurde er nicht betroffen. Allerdings ließ schon Pius XII. erklären, daß das „perfidis“ des Textes nicht in der Bedeutung von „treulos, verräterisch“ sondern als „ungläubig“ zu verstehen sei. Die (stets inoffiziellen) nationalsprachlichen Übersetzungen wurden daraufhin vielfach angepasst.

Zunächst hier noch einmal diese althergebrachte Form (zitiert nach dem Schott von 1953):

Zitat: Lasset uns auch beten für die ungläubigen Juden: Gott, unser Herr, möge den Schleier von ihren Herzen wegnehmen, auf daß auch sie unsern Herrn Jesus Christus erkennen.
(Kein Amen. Hier unterläßt der Diakon die Aufforderung zur Kniebeugung, um nicht das Andenken an die Schmach zu erneuern, mit der die Juden um diese Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten.)

Allmächtiger ewiger Gott, du schließest sogar die ungläubigen Juden von Deiner Erbarmung nicht aus, erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor Dich bringen: mögen sie das Licht Deiner Wahrheit, welches Christus ist, erkennen, und ihrer Finsternis entrissen werden. Durch ihn, unsern Herrn, Amen.

Papst Johannes XXIII verfügte 1960 die Streichung des Wortes "perfidis"; etwa gleichzeitig wurde angeordnet, daß auch bei dieser Fürbitte die bei allen anderen Fürbitten üblichen Kniebeuge vorzunehmen sei.

Im kurzlebigen Missale der konziliaren Reform von 1965 erhielt das Gebet dann eine weitgehend neue Form, die erkennbar von dem Bemühen um „interreligiöse“ Rücksichtnahme geprägt ist, ohne jedoch die Forderung nach Bekehrung der Juden zu Jesus Christus aufzugeben:

Zitat:Lasset uns auch beten für die Juden. Unser Gott und Herr lasse über sie leuchten sein Angesicht, damit auch sie erkennnen den Erlöser aller Menschen, unsern Herrn Jesus Christus.
Lasset uns beten. Beuget die Knie. Erhebet euch.

Allmächtiger ewiger Gott, dem Abraham und seiner Nachkommenschaft hast du deine Verheissungen gegeben; erhöre in Güte die Bitten deiner Kirche; und jenes Volk, dass du in alter Zeit angenommen als eigen, lass gelangen zur Fülle des Heiles. Durch unsern Herrn….

Bei den nachfolgenden Veränderungen, die schließlich zum Missale Pauls VI. führten, wurde der Hinweis auf die Bekehrung der Juden getilgt und durch eine extrem unklare Wendung ersetzt, die keinen Bezug mehr auf die traditionelle Lehre der Kirche nimmt. Nach dem Schott von 1975:

Zitat:Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.
(Beuget die Knie. - Stille - Erhebet euch.)

Allmächtiger ewiger Gott. Du hast Abraham und seinen Kindern Deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das Du als erstes zu Deinem Eigentum erwählt hast: Gib, daß es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn.

Das ist nicht nur sehr rücksichtsvoll und dioalogorientiert formuliert - es ist auch bemerkenswert unpräzise. Anscheinend bedürfen die Juden (wer ist Jude?) des neuen Bundes nicht; tatsächlich kann (nicht: muß) man den neuen Wortlaut so verstehen, als ob es für die Juden einen Erlösungsweg quasi „an Christus vorbei“ gäbe. Die Praxis kirchlichen Verhaltens gegenüber den Juden scheint die Deutung, daß die Juden durch den alten Bund gerechtfertigt werden, vielfach zu bestätigen.

Die heute veröffentlichte „neue Form“ für den „alten Ritus“ vermeidet auf jeden Fall diese Unklarheit der Fassung von 1969, wenn sie - teilweise wohl auch unter Rückgriff auf die Formulierung von 1965 - sagt:

Zitat:Wir wollen beten für die Juden.
Daß unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen.
Lasset uns beten. Beugen wir die Knie. Erhebet Euch.

Allmächtiger ewiger Gott, der Du willst, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, gewähre gnädig, daß beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus, unseren Herrn.

Hier der neue Text noch einmal auf Latein - das ist nach dem Osservatore Romano die einzige verbindliche Version:

Zitat:Oremus et pro Iudaeis
Ut Deus et Dominus noster illuminet corda eorum, ut agnoscant Iesum Christum salvatorem omnium hominum.
Oremus. Flectamus genua. Levate.

Omnipotens sempiterne Deus, qui vis ut omnes homines salvi fiant et ad agnitionem veritatis veniant, concede propitius, ut plenitudine gentium in Ecclesiam Tuam intrante omnis Israel salvus fiat. Per Christum Dominum nostrum. Amen.

2. Erste Überlegungen zu Form und Inhalt

Die neue Form läßt keinen Zweifel daran, daß es auch für die Juden keinen „Sonderweg“ zur Erlösung „an Christus vorbei“ gibt; man könnte sogar noch stärker als Weishaupt übersetzen „daß sie Jesus Christus als den Erlöser aller Menschen erkennen“. Der neue Text verzichtet auch auf die wolkigen Wortgebilde „die Juden, zu denen Gott zuerst gesprochen“ und „das Volk, das Du als erstes zu Deinem Eigentum erwählt hast“. Er enthält sich überhaupt jeder Spekulation über ein Weiterbestehen des besonderen Bundes zwischen dem Gott Abrahams und dessen Nachkommen nach dem Erscheinen und der Zurückweisung des versprochenen Messias.

Als möglicher Schwachpunkt der neuen Formulierung erscheint, daß sie gar keinen expliziten Hinweis darauf enthält, warum es überhaupt einer besonderen Fürbitte für die Juden bedarf, wenn für sie doch das Heil im gleichen Erlöser liegt wie für alle anderen Menschen auch. Hier sieht man sehr schön das Wirken der Pendelbewegung der Geschichte: Wo die traditionelle Form sich mit „treulos“, „Schleier auf dem Herzen“, „ungläubig“, „Verblendung“ und „Finsternis“ gar nicht genug tun kann, die Schuld der Juden durch die Zurückweisung des doch auf ganz besondere Weise zu ihnen gesandten Messias zu geisseln, setzt die neue Fassung die Kenntnis dieser Zusammenhänge schweigend voraus und erspart sich hier jedes angreifbare und wohl auch letztlich überflüssige Wort.

Damit verfällt sie aber keineswegs in das entgengesetzte Extrem - diese zweifelhafte Ehre gebührt den Verfassern des Missale von 1969, die mit der gleich zweifachen Beschwörung des anscheinend fortdauernden Sonderbundes zwischen Gott und dem auserwählten Volk nachgerade so tun, als ob da gar nichts gewesen wäre.

Papst Benedikt versucht mit der jetzt approbierten Fassung das Pendel in einer mittleren Stellung anzuhalten - dafür gebührt ihm höchster Respekt, der auch nicht dadurch getrübt werden kann, wenn man das Stillschweigen in diesem Punkt als ein wenig irritierend betrachtet. Aber das ist ist eben nicht nur hier charakteristisch für das Denken und das Lehren des Papstes: Statt von „Schleier“ und „Finsternis“ spricht er viel lieber von der „Erleuchtung“ und der „Rettung“, die Gott gewähren möge - das ist mehr ein Unterschied in der Tonart als in der Sache.

3. Paulus bleibt der Gewährsmann

Die traditionelle Formulierung der Fürbitte für die Juden verdankt in ihrer Wortwahl viel dem 2. Brief des Apostels Paulus an die Korinther, wo es in 3.12-16 heißt (nach der Herder-Bibel):

Zitat: Von solcher Hoffnung erfüllt, treten wir mit großem Freimut auf und machen es nicht wie Mose, der über sein Gesicht eine Hülle legte, damit die Israeliten nicht das Ende des vergänglichen Glanzes sahen. Aber ihr Denken wurde verhärtet. Denn bis auf den heutigen Tag liegt dieselbe Hülle auf dem Alten Bund, wenn daraus vorgelesen wird, und sie wird nicht weggetan, weil sie nur in Christus abgetan wird. Ja bis heute liegt, sooft Mose vorgelesen wird, eine Hülle auf ihrem Herzen. Sobald sich jedoch einer zum Herrn bekehrt, wird die Hülle fortgenommen.

Die neue Formulierung kann sich mit noch größerem inhaltlichen Recht auf den Brief des im Blitzschlag bekehrten vormaligen Pharisiäers und glühenden Christushassers an die Römer berufen, wo er nach einer langen Abhandlung über die Stellung der Judenheit im Heilsplan Gottes sagt:

Zitat:"Teilweise ist Verstockung über Israel gekommen, bis die Vollzahl der Heiden eingetreten ist, und dann wird ganz Israel das Heil erlangen" (Römer 11,25).

Damit kann es über die Bedeutung der neuen Formel keine ernst gemeinte inhaltliche Meinungsverschiedenheit geben: Sie ist so zu verstehen, wie Paulus das in seinem Brief darlegt und wie es die Kirche seit den frühesten Zeiten ausgelegt hat.

4. Verengt, aber unvermeidlich: Kirchenpolitische Perspektiven

Erste Reaktionen lassen erkennen, daß einige Anhänger der katholischen Tradition dazu neigen, die Neuregelung als „Kapitulation vor dem Druck außerkirchlicher Kreise“ zu empfinden.

Zu hoffen wäre, daß diese Aufgeregtheiten sich bald wieder legen: Das einigermaßen lächerliche Getöne der amerikanischen Anti-Defamation-League, die das Karfreitagsgebet zusammen mit Irans Präsident Ahmadinejad auf eine Liste von Problemen für das Judentum setzte, hat den Papst bei seiner Entscheidung sicher am wenigsten beeinflußt. Eher schon dürfte es ihn gereizt haben, den katholischen Kreisen, die wie z.B. das Zentralkomittee der deutschen Katholiken mit dem angeblichen Antijudaismus der alten Messe Front gegen das Motu Proprio machten, ihr Spielzeug aus der Hand zu nehmen. Aber auch das war sicher nicht sein Hauptmotiv - wegen solcher durchsichtiger Manöver hätte der Papst es sicher nicht riskiert, Mißverständnisse zu provozieren, die den von ihm eingeleiteten Prozess der Wiederaussöhnung der Kirche mit ihrer eigenen Tradition und der Rückgewinnung ihrer Identität irgendwie stören könnten.

Da kommt man den Motiven des Papstes wohl schon näher, wenn man die Neuformulierung des Karfreitagsgebetes genau als einen Schritt in diesem Prozesse betrachtet: Die neue Formel verzichtet auf einige Reizworte, aber sie bringt keinen inhaltlichen Verlust gegenüber der traditionellen Lehre. Im Gegenteil. Sie spricht in klaren Worten von der Notwendigkeit für alle Menschen, in Jesus Christus den Erlöser zu erkennen - und hat damit ganz nebenbei das Potential, eine Korrektur der in dieser Hinsicht gelegentlich ziemlich unklaren nachkonziliaren Liturgie und Theologie einzuleiten. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die neue Formulierung zur Übernahme in die neue Liturgie ansteht und damit auch all den zeitgeistigen Spekulationen Halt gebietet, die in den letzten Jahren über den fortdauernden Bund Gottes mit den Juden angestellt wurden und dabei oft genug die zentrale Stellung des Erlösungswerkes Christi aus dem Auge verloren.

Trotzdem bleibt ein Unbehagen, daß wichtige Weichenstellungen und Entwicklungen in der Kirche als Funktion außerkirchlichen Druckes und ganz und gar sachfremder Erwägungen erscheinen könnten. Wahrscheinlich gehört das mit zu den Beschwernissen, unter denen die kämpfende Kirche zu leiden hat, und wer sich jetzt gegen diese Zumutung aufbäumt, hat vielleicht gerade darin sein Fastenopfer für das Jahr 2008 gefunden: Dem Papst in Liebe und Gehorsam einmal auch da zu folgen, wo es die, die mit guten Gründen gegen jedes Abrücken von den Formen und Formeln der Tradition skeptisch sind, hart ankommt.

Vielleicht fällt diese Folgsamkeit ja auch dann noch etwas leichter, wenn man in den kommenden Tagen beobachtet, daß diejenigen, die geglaubt hatten, dem Papst die Veränderung eines Gebetes der Kirche abtrotzen zu können, mit dem nun erzielten Ergebnis ganz und gar nicht zufrieden sind. Die britische Times Online teilte jedenfalls schon wenige Stunden nach Veröffentlichung des neuen Textes mit, daß die Protagonisten des auf den Papst ausgeübten Druckes zutiefst enttäuscht seien.

Wir werden die Entwicklung weiter verfolgen.

Herzlichen Dank an die Leser, die uns auf den zunächst hier nicht beachteten Text der Fürbitte von 1965 hingewiesen und seine Rolle für die Entwicklung der heutigen Form hervorgehoben haben.