Ein Jahr Summorum Pontificum
Das geistige Klima hat sich verändert
27. 6. 2008
Vor gerade vier Wochen konnten wir hier einen sehr treffenden Text von Fr. John Zuhlsdorf veröffentlichen: Der Papst verändert das Bezugssystem. Das gilt in Amerika, das gilt in Deutschland, das gilt in der ganzen Weltkirche. Wer enttäuscht ist, daß an seinem Ort noch keine „alte Messe“ stattfindet, daß sein Pfarrer stolz darauf ist, kein Latein zu können, daß sein Bischof die Ablehnung der lebendigen Tradition der Kirche nur notdürftig hinter Phrasen versteckt, muß sich einmal klar machen, wie groß die Aufgabe ist, die Papst Benedikt auf sich genommen hat - und wie schwach die Unterstützung, die er oft genug dabei erfährt. Auch von Seiten derer, die ihm „im Prinzip“ zustimmen, jedoch immer wieder ein „Aber“ finden. Vierzig Jahre sind im Leben der unsterblichen Kirche keine lange Zeit - im Leben der Glieder, die diese Kirche bilden, sind sie für viele alles, was sie kennen und alles, an dem sie sich orientieren.
Die Revolutionäre der 60er Jahre - die der großen proletarischen Kulturrevolution in China ebenso wie die der großen Liturgiereform in der Kirche - sind nicht zuletzt daran gescheitert, daß sie keine Rücksicht auf den berechtigten Unwillen der meisten Menschen genommen haben, heute bedenkenlos abzutun, was ihnen bis gestern lieb und teuer war. Papst Benedikt macht zwar Revolution, aber er ist kein Revolutionär: Sein großer Plan ist es, die Brüche und Verwerfungen nach dem letzten Konzil zu heilen, ohne daß neue Brüche und neue Schäden entstehen. Dabei geht er bis an die Grenze seiner (und unserer sowieso) Geduld. Er setzt auf eine nachdrückliche Veränderung des geistigen Klimas in der Kirche, und dabei vor allem auf sein Vorbild und Beispiel, auf kleine Schritte statt großer Würfe.
Womit nicht gesagt sein soll, daß Summorum Pontificum oder Spe Salvi keine großen Würfe wären, aber zur Umsetzung dessen, was in diesen bedeutenden Dokumenten ausgesagt ist, erwartet der Papst den Erfolg nicht von großen Akten - der Massenexkommunikation häretisierender Theologieprofessoren, der Absetzung widersetzlicher Bischöfe oder der Entsendung der Schweizergarde ins heimatliche Röschenz - sondern von vielen geduldigen und kleinen Schritte, vor allem aber auf die stetige Veränderung des geistigen Klimas.
Die Liturgie, das Bestreben, die aus den Fugen geratene lex orandi wieder in Ordnung zu bringen, nimmt dabei eine ganz wesentliche Stelle ein - sie ist die „Speerspitze“ aller Veränderungen zum Guten, wird Fr. Zuhlsdorf nicht müde zu betonen, und recht hat er. Eine schludrige Liturgie macht einen schludrigen Glauben und wehrlose Christen, die der Diktatur des Relativismus wenig bis nichts entgegenzusetzen haben. Eine Liturgie, die sich selbst ernst nimmt, die nicht Menschenwerk, sondern Gottesdienst sein will, setzt Maßstäbe weit über ihre Rubriken hinaus. Es ist keine Formalie, wenn der Papst das Kreuz, das man zur Verbesserung des Blickkontaktes zwischen "Vorsteher" und "Versammlung" aus der Sichtlinie genommen hatte, wieder in die Mitte des Altars zurückbringt. Es geht nicht um Etikette, wenn der Papst die Mundkommunion in kniender Haltung als bestgeeignete Form empfiehlt. Es geht darum, Denkschemata aufzubrechen und Verhalten zu verändern - und alles spricht dafür, daß das funktioniert.
Wir wollen uns und unsere Sicht der Dinge nicht zum Maßstab für die ganze Entwicklung machen, aber wir finden es doch bemerkenswert, wenn wir auf die Veränderung des Textes in der Randspalte unserer Eingangsseite zurückschauen, die sich in diesem einen Jahr ergeben hat. Vor einem Jahr zitierten wir dort einen Text von Joseph Ratzinger aus dem Jahr 2000:
Wichtig für die Bewußtseinsbildung in Sachen Liturgie ist auch, daß endlich die Ächtung der bis 1970 gültigen Form von Liturgie aufhören muß. Wer sich heute für den Fortbestand dieser Liturgie einsetzt oder an ihr teilnimmt, wird wie ein Aussätziger behandelt; hier endet jede Toleranz. Derlei hat es in der ganzen Geschichte nicht gegeben, man ächtet damit ja auch die ganze Vergangenheit der Kirche.
Heute können wir dort eine Aussage von Cardinal Castrillón zitieren, in der er den Willen des nun regierenden Papstes in folgenden unmißverständlichen Worten zum Ausdruck bringt:
Lassen sie mich das ganz klar sagen: Der Heilige Vater will, daß die überlieferte Form der Messe regulärer Bestandteil des liturgischen Lebens der Kirche wird, damit alle Gläubigen – die jungen wie die alten – sich mit den alten Riten vertraut machen und von ihrer spürbaren Schönheit und Transzendenz profitieren können. Der Heilige Vater will das sowohl aus pastoralen als auch aus theologischen Gründen."
Was gestern Widerspruch aus einer Position extremer Ausgrenzung war, ist heute der in Gesetze gegossene und mit Autorität verkündete Wille der Kirche. Das können die, die am heute schon so alt aussehenden Gestern hängen, eine Zeit lang ignorieren, aber das geistige Klima und die Gesamtheit der Rahmenbedingungen haben sich bereits verändert. Viele Einzelentwicklungen, die wir hier in der letzten Zeit dokumentieren konnten, zeigen, daß diese Veränderungen jetzt im Alltagsleben der Kirche nachvollzogen werden.
Und das alles schon, bevor der erste Jahrestag des Motu Proprio Summorum Pontificum erreicht ist, gerade einmal 10 Monate nach Inkrafttreten des neuen Rechts.