Motu Proprio: Summorum Pontificum

Hauptnavigation


Zusatzinfo

„Es reicht mit der Aufregung über das Karfreitagsgebet“

Ein Artikel von Rabbi Irwin Kula in der Tageszeitung „The Jewish Daily Forward“ vom 20. 2.

Rabbi Kula bei einer religiösen Zeremonie

Hier und heute sollten Juden nicht überreagieren, wenn Papst Benedikt der XVI. bei seiner Revision des Karfreitagsgebetes unser Volk dazu aufruft, „Jesus Christus, den Erlöser aller Menschen, anzuerkennen“. Die kleine Minderheit von Katholiken, die diese Worte 2008 sprechen wird, bedeutet für die Juden 2008 wirklich nicht die Bedrohung, die es bedeutete, als 1668 alle Katholiken das sagten.

Selbstverständlich wäre es weise gewesen und beruhigender für die Juden – jedenfalls lehrreicher für die Katholiken – wenn der Papst bei der Zulassung und Neuformulierung dieses Gebetes auch an die Gewalttätigkeiten erinnert hätte, die solche Gebete und diese Haltung im Lauf der Geschichte hervorgerufen haben. Aber wir Juden sollten uns abregen und daraus nicht erneut ein dramatisches Indiz dafür machen, wie sehr die Welt uns hasst.

Es besteht durchaus Grund, kritisch über Rolle und Funktion des christlichen Anti-Judaismus in der Geschichte nachzudenken. Ob das Karfreitagsgebet der rechte Platz dafür wäre, steht auf einem anderen Blatt - schließlich kann dieses Gebet für die Juden allein selbst in der älteren Form nicht als Auslöser von Gewalttätigkeiten gelten. Dennoch sollte uns dieser Denkanstoß des Rabbi willkommen sein - zumal er in seiner in bester jüdischen Tradition stehenden Schreibweise nicht verhelt, daß auch er für Denkanstöße offen ist und das auch von seinen Glaubensgenossen erwartet.

Tatsächlich hat es auch etwas Trauriges an sich, wenn eine Weltreligion mit mehr als 1 Milliarde Mitgliedern sich ihrer selbst so unsicher ist, daß sie es nötig hat, im Jahr 2008 in einem Gebet an einem ihrer höchsten Feiertage einen Aufruf an ein Volk von kaum 15 Millionen aufzunehmen, sich erleuchten zu lassen.

Dieser Absatz passt nicht so recht zu dem, was daran anschließend ausgeführt wird. Er erscheint eher wie eine Pflichtübung vor populären Erwartungen - auch ein Rabbi fühlt gelegentlich das Bedürfnis, seine Hörer und Leser dort abzuholen, wo sie stehen.

Tatsächlich weiß ich die Ehrlichkeit von Papst Benedikt XVI. und die unbequeme Wirkung, die er hervorruft, auch zu schätzen. Ob wir traditionell sind oder liberal, weltlich oder religiös, irgendwo ganz tief in unserem eigenen Gewissen glauben wir alle, daß die Wahrheit, auf die wir letztlich unser Leben aufbauen, im Entscheidenden doch vorzüglicher, größer und wahrer ist als die Wahrheiten, die andere besitzen. Wäre es nicht so, würden wir uns einfach anderen Dingen widmen.

Fundamentalisten des Sekularismus wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens, die in ihren Bestsellern die Religion verwerfen, sind bestimmt davon überzeugt, daß ihre Wahrheit der Wahrheit der Religion überlegen ist, und es ist ganz klar, daß sie andere Leute zur Ihrer Sicht bekehren wollen. Liberale Christen und liberale Juden wünschen sich, daß die Traditionalisten und die Konservativen in ihren Gemeinschaften endlich erleuchtet würden und sie beklagen, privat oder sogar öffentlich, die ihrer Ansicht nach primitive Weltsicht der Traditionalisten.

Ganz gewiss glauben die traditionellen Juden, die in den letzten Jahren den Satz: „Denn sie verneigen sich vor der Eitelkeit und der Leere und beten zu einem Gott, der nicht hilft“ wieder in das Aleinu-Gebet aufgenommen haben, daß ihre Wahrheit der Wahrheit anderer überlegen ist, und sie hoffen, daß eines Tages alle Menschen kommen um sich vor dem einen wahren Gott zu verneigen. (Ist es nicht eine feine Sache, daß die Heiden kein Hebräisch können oder sich einfach nicht darum scheren, was wir beten?)

Wenn wir nicht sehen, daß wir ganz unvermeidlich unsere eigene Wahrheit an die erste Stelle setzen bzw. uns und anderen nur einreden, daß das nicht der Fall und alle Wahrheiten gleich wären – wie es meistens im politisch korrekten interreligiösen oder interkulturellen Dialog geschieht – dann tauschen wir letzten Endes die Ehrlichkeit gegen ein Trugbild der Übereinstimmung, die Aufrichtigkeit gegen Höflichkeiten, und Leidenschaft gegen eine Illusion von Harmonie.

Vielleicht will der Papst, indem er die abwertende Redeweise von „Blindheit und Schleier“ aufgibt, aber gleichzeitig die ehrliche Hoffnung und das Gebet beibehält, daß andere das Licht sehen, das die Katholiken sehen, die leidenschaftliche Hingaber, die aus der absoluten Wahrheit hervorgeht, mit der Toleranz und Offenheit vereinbaren, ohne die es keinen wirklichen Ökumenismus geben kann.

Offensichtlich meint das amerikanische "ecumenism" an dieser Stelle nicht das, was deutsche Katholiken unter "Ökumenismus" verstehen. Es geht dem Autor nicht um Verständigung in einer Perspektive der Einheit, sondern um Toleranz in der Perspektive des einander Akzeptierens bei Eröffnung von Möglichkeiten zur Zusammenarbeit auf Feldern der Übereinstimmung.

Traditionalisten werden vermutlich den Teil der päpstlichen Anordnung, der von der absoluten Wahrheit handelt, gerne aufnehmen, und die Modifikation der alten Formel kleinreden oder sich darüber ärgern. Religiös Liberale und besonders Juden werden sich andererseits mit Sicherheit über die Seite des Gebetes, die die absolute Wahrheit beansprucht, aufregen, die ihnen herabwürdigend und potentiell gefährlich erscheint. Jede Seite wird den Teil der päpstlichen Feststellung, der ihr ungelegen kommt, ignorieren oder skandalisieren.

Aber was, wenn Papst Benedikt XVI uns dazu auffordert, in unserem Gewissen zwei Einsichten auszuhalten, die gegensätzlich erscheinen: Die Verpflichtung auf eine absolute Wahrheit und echte Offenheit? Wir müssen uns selbst gegenüber zugegeben, daß wir die Wahrheit, für die wir letzten Endes unser Leben einsetzen, für tiefer als die Wahrheiten anderer Menschen halten und gleichzeitig müssen wir akzeptieren, daß das nicht unvereinbar ist mit einem tiefen Ökumenismus.

Man könnte das als post-postmodern bezeichnen – weder ein traditionalistisches Verständnis von Wahrheit im vormodernen Sinne mit seinem arroganten Absolutheitsanspruch, noch ein relativistisches Verständnis im postmodernen Sinn mit jener falschen Demut, die behauptet, daß alle Wahrheiten im Kern gleichen Rang hätten – selbstverständlich mit Ausnahme dieser einen. Nennen wir es einen „demütigen Absolutheitsanspruch“.

Auf diesem Boden können wir uns gut treffen - so sehr verschieden ist das nicht von dem, was Lumen Gentium - in korrekter Auslegung - meint. Die Wahrheit ist objektiv, aber nicht jeder, der sie zu haben meint, hat sie wirklich, der Streit darüber muß in zivilisierten Formen ausgetragen werden, und wir wissen, daß wir in Jesus Christus den denkbar besten Gewährsmann haben.

Letzten Endes liegt der entscheidende Maßstab für eine Religion doch darin, ob ihre Lehren und ihre Riten uns dabei helfen, die Schleier von unseren eigenen Herzen wegzunehmen – also demütiger und ehrlicher in Bezug auf unser eigenes Leben und liebevoller gegenüber allen Geschöpfen Gottes zu werden. Wenn die Rückkehr zur alten Messe und die Bekräftigung der Hoffnung, daß Juden in Jesus die Erlösung finden, das für Katholiken leistet – dann ist alles gut.

Wenn andererseits diese „Reform der Reform“, wie der Papst sie genannt hat, dazu führt, daß traditionelle Katholiken selbstgerecht gegenüber anderen Katholiken und mit einem Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Gläubigen anderer Religionen auftraten, dann hat Papst Benedikt bloß das bestätigt, was ohnehin schon viele Menschen, die ernsthaft nach Erkenntnis der Wahrheit streben, von der organisierten Religion annehmen: Daß sie mehr schade als nütze, die Menschen mehr voneinander trenne, als sie zu verbinden und uns lehrt, einander zu verachten und nicht zu lieben.


Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung der Arbeitsgruppe.