Aus „Angst vor den Juden?“
Michael Matt von „The Remnant“ zur Änderung der Karfreitagsfürbitte
15. 2. 2008
Michael Matt ist Chefredakteuer des Remnant - einer amerikanischen Wochenzeitung, die gemeinhin als „der Priesterbruderschaft Pius X. nahestehend“ angesehen wird. Sein Beitrag (Hier das Original) zeigt, daß in diesen Kreisen eine ernsthafte Debatte über die jüngste Entscheidung des Papstes ernsthaft geführt wird, und daß diejenigen, die sich für die Änderung aussprechen, sehr gute Argumente haben. Argumente, die auch von anderen Skeptikern gehört zu werden verdienen.
Wir bringen daher diesen Text ungekürzt, obwohl auch hier an einigen Stellen die Anmerkung Josef Cardinal Ratzingers gegenüber Heinz-Lothar Barth angebracht sein mag, daß er sich „da und dort noch mehr Liebe und Verstehen für das Lehramt von Papst und Bischöfen wünschen würde“.
Michael Matt
Wie inzwischen die ganze Welt weiß, hat der Vatikan in dieser Woche die revidierte Fassung des traditionellen Karfreitagsgebetes für die Bekehrung der Juden von Papst Benedikt veröffentlicht. Dieser Vorgang, von dem manche eine Demontage des traditionellen Gebetes befürchteten, hat zumindest in einer Hinsicht dazu gedient, es zu bekräftigen. Der Text des neuen Gebetes geht folgendermaßen:
Wir wollen beten für die Juden.
Daß unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen.
Lasset uns beten. Beugen wir die Knie. Erhebet Euch.Allmächtiger ewiger Gott, der Du willst, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, gewähre gnädig, daß beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus, unseren Herrn.
In seiner Presseerklärung vom 5. Februar hat Abe Foxman von der Anti Defamation League (ADL) scharfsinnig beobachtet, daß das revidierte Gebet ein unübersehbares Abgehen von der Novus-Ordo-Lehre über die Bekehrung darstellt:
Eine Veränderung der Sprache ohne Veränderung des auf Bekehrung gerichteten Inhalts des Gebetes von 1962 ist nicht mehr als eine kosmetische Reparatur, während der für die Juden am meisten beunruhigende Aspekt beibehalten wird, nämlich das Verlangen, der speziellen jüdischen Lebensweise ein Ende zu setzen. Es heißt immer noch "Gebet für die Bekehrung der Juden" und weicht damit deutlich ab von Lehre und Werk der Päpste Paul VI., Johannes Paul II. und zahlreichen autoritativen katholischen Dokumenten einschließlich Nostra Aetate.
Fern davon, dem Sprecher einer jüdischen politischen Vereinigung irgendeine Interpretationskompetenz bezüglich des Redens und Handelns der Päpste zusprechen zu wollen, müssen wir doch zugeben, daß es in der Kirche selbst tatsächlich immer wieder Stimmen gab, die eine Deutung im Sinne von Foxman begünstigt haben.
Es scheint, Mr. Foxman ist beunruhigt, daß das neue Gebet des Papstes darauf hinweist, daß er von den neuen Lehren über die Erlösung abrückt, die sich zumindest inoffiziell mit dem Karfreitagsgebet des Novus Ordo verbunden haben - ein Gebet, das offensichtlich von Mr. Foxman und anderen so aufgefasst worden ist, als ob die Kirche ihre traditionelle Lehre aufgegeben hätte.
Es ist schwer, Mr. Foxman dafür Vorwürfe zu machen, denn die englische Übersetzung des ICEL von 1973 deutet durchaus in diese Richtung:
Let us pray for the Jewish people, the first to hear the word of God, that they may continue to grow in the love of his name and in faithfulness to his covenant. (Prayer in silence. Then the priest says:) Almighty and eternal God, long ago you gave your promise to Abraham and his posterity. Listen to your Church as we pray that the people you first made your own may arrive at the fullness of redemption. We ask this through Christ our Lord. Amen.
Wenn man das mit Benedikts neuem Gebet vergleicht - „Wir wollen beten für die Juden. Daß unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen.“ - muß man sich nicht wundern, daß Abe Foxman sich ärgert. Statt den Stimmen nachzugeben, die eine Kastration des traditionellen Karfreitagsgebetes forderten, hat der Papst ein neues Gebet angeordnet, das bereits als eine Verneigung vor der vorkonziliaren Lehre attackiert wird - und damit implizit auch als Zurückweisung neuartiger postkonziliarer Konzepte zur Erlösung und Bekehrung. Und da der Papst auch eine gegenseitige Bereicherung von altem und neuem Ritus fordert, wird diese Entwicklung von Kritikern bereits als Vorzeichen eines Gezeitenwechsels in der Weltkirche angesehen. Der römische Oberrabbiner Riccardo di Segni stimmt ein: „Das ist ein grundsätzliches Hindernis für den Dialog zwischen Juden und Christen, ein Rückschritt von 45 Jahren“ (Il Messagero).
Einige katholische Autoren im Internet erheben nun Einwände und behaupten, daß jede Änderung des Gebetes aus Furcht vor politischen Rückwirkungen und unter dem Diktat politischer Lobbies erfolge und daher gleichbedeutend damit sei, wie sich einst die Apostel „aus Furcht vor den Juden“ im Obergemach zu Jerusalem versteckten. Angesichts der ganz anderen Reaktion dieser Lobbies auf das nun geänderte Gebet scheint diese Kritik jedoch an der Sache vorbei zu gehen. Weit davon entfernt, sich einem Diktat zu beugen, hat der Papst mit seiner Entscheidung das missionarische Mandat der Kirche erneuert. Warum hätte man sonst ein Gebet formuliert, das in gar keiner Weise geeignet ist, auch die zurückhaltendsten Kritiker der Version von 1962 zu besänftigen?
Jenseits aller Spekulationen ist der Papst jetzt persönlich für ein Gebet der Kirche verantwortlich, das Gott bittet, er möge dem jüdischen Volk soviel Gnade gewähren, daß sie Jesus Christus als den Erlöser aller Menschen und von ganz Israel erkennen - der Bezug auf Römer 11 ist unübersehbar. Zusammen mit der Tatsache, daß die Gebete für die Häretiker, die Heiden und die Schismatiker überhaupt nicht angerührt worden sind, zieht Rabbi David Rosen vom Internationalen jüdischen Kommitte für interreligiöse Beratungen daraus den Schluß, daß die Kirche nicht im geringsten vom Dogma „extra Ecclesiam nulla salus“ abgerückt sei: „Die Sprache des Gebetes macht völlig klar, daß es außerhalb der Kirche keine völlige Erlösung geben kann“
Als die Versammlung römischer Rabbiner jetzt Protestmaßnahmen einleitete, um den Dialog mit der Katholischen Kirche einzufrieren, sträubten sich selbst Kardinal Walter Kasper die Nackenhaare:
Ich kann nicht verstehen, warum Juden nicht akzeptieren können, daß wir die volle Freiheit haben, unsere eigenen Gebete zu formulieren - so der Deutsche Walter Kasper gegenüber dem Corriere della Sera. Man muß Unterschiede annahmen und respektieren." (Quelle)
In einem anschließenden Interview mit Radio Vatikan unternahm der Progressist Kasper wohl aus Furcht, der falsche Ökumenismus könne tatsächlich um 45 Jahre zurückgeworfen werden, dann allerdings einen verzweifelten Kraftakt, um das Gebet durch seine übliche modernistische Art der Schriftauslegung abzuschwächen. Er nahm seine Zuflucht zu einer der banalen Lieblingsfiguren modernistischer Argumentation und behauptete, Römer 11 müsse sich auf eine „eschatologische Hoffnung auf das Ende der Zeit“ beziehen und nicht auf eine tatsächliche Bekehrung. Das mag vielleicht in der Vorstellung von Kardinal Kasper so sein, wird aber, wie der allgemeine jüdische Protest zeigt, nirgendwo sonst so gesehen. Es ist denn auch kein Wunder, daß diese Erklärung des Kardinals auf geheimnisvolle Weise aus dem Bericht auf der Website von Haaretz verschwand, von der sie einen Tag zuvor ausgegangen war.
Man muß nur einen Blick auf den Bibel-Kommentar von Haydock werfen um zu wissen, daß Römer 11 eindeutig von Bekehrung spricht - von der „Bekehrung aller Völker, und dann wird auch Israel gerettet werden, wenn es sich dem Glauben an Chrsitus unterwirft, wie es beim Propheten Jesaiah geschrieben steht...“. In einer bemerkenswerten Demonstration ökumenischer Verwirrung will Kardinal Kasper die Welt glauben machen, daß die katholische Kirche heute dafür bete, daß die Juden, die am Ende der Zeiten leben, von Jesus Christus gerettet werden, während diejenigen, die nun einmal zwischen heute und dann leben, offensichtlich zur Hölle gehen können. Meint der Kardinal, das sei weniger Anstoß erregend? Mit allem schuldigem Respekt gegenüber dem Kardinal wollen wir uns in dieser Angelegenheit doch lieber an den hl. Paulus und den Heiligen Vater halten. Es kommt nicht allzuoft vor, aber hier stimmen The Remnant und Abe Foxmann völlig überein: Das neue Gebet des Papstes bedeutet eine päpstliche Bekräftigung des traditionellen katholischen Dogmas - Punkt.
Es gab für niemanden - und erst recht nicht für den Papst - eine Notwendigkeit, das Offensichtliche noch einmal hervorzuheben - nämlich daß das traditionelle Karfreitagsgebet biblisch begründet ist, sich in Liebe denen zuwendet, die Christus nicht kennen und alles andere als antisemitisch ist (wie ja auch der hoch geachtete Rabbi Neuser kürzlich eingeräumt hat). Trotzdem steht das neue Gebet einmal in deutlichem Gegensatz zu seinem verwässerten Gegenstück im Novus Ordo, aber es geht auch über das von 1962 hinaus, indem es durch den Hinweis auf „ganz Israel“ größere Präzision aufweist. Mit dem hl. Paulus, der in Römer 11 ausführt: „Ich sage euch: Hat denn Gott dieses Volk verworfen? Gott bewahre. Auch ich bin ein Jude aus dem Samen Abrahams und dem Stamme Benjamin. Gott hat sein Volk nicht verworfen, das er vor aller Zeit kannte" - mit Paulus also wendet sich der Papst dem jüdischen Volk zu und verdammt es keinesfalls.
Also, was ist denn nun das „Vergehen“ des Papstes? Gestützt auf Römer 11 - denn das ist der Kernpunkt der ganzen Kontroverse - hat er ein Gebet entworfen, das zwei Worte nicht mehr enthält, die nach dem modernen Lexikon der politisch korrekten Sprache eher geeignet erscheinen, potentielle Konvertiten abzustoßen als sie anzuziehen. Das liegt völlig innerhalb der päpstlichen Vollmacht, zumal das Karfreitagsgebet Teil der Proprien und nicht des Ordinariums der Liturgie ist. Aber wie uns ein katholischer Priester in dieser Woche erinnert hat, ist noch mehr an der Sache:
Die Integrität des Glaubens ist noch wichtiger als das Karfreitagsgebet Wort für Wort unverändert zu erhalten. Und Seit vielen Jahren wird der Glaube dadurch schwer gefährdet, daß selbst Kardinäle wie Kasper und Keeler die Irrlehre verbreiten, daß die Juden Christus nicht brauchen und daß die Kirche ihre Bekehrung nicht mehr anstrebt und auch nicht mehr dafür betet. Mit seinem Gebet, das eindeutig für die Bekehrung der Juden betet, hat der Papst diese Irrlehre nun voll aufs Haupt geschlagen. Das ist eine viel wirkungsvollere Waffe gegen den Irrtum als wenn er das alte Gebet nur unverändert gelassen hätte. In diesem Fall könnten die Modernisten nämlich sagen, das wäre nur ein unglückliches Überbleibsel, ein Relikt des jahrhundertealten und veralteten Tridentinischen Missale, das der „neue“ Lehre der „modernen“ Kirche nicht entspreche.
Es wäre übrigens auch äußerst kurzsichtig, das Maß an persönlichem Mut zu unterschätzen, das ein deutscher Papst und ehemaliger Hitlerjunge (in seinen Memoiren schrieb Ratzinger, daß er im Alter von 14 Jahren gegen seinen Willen in die Hitlerjugend eingeschrieben wurde, deren Mitgliedschaft verpflichtend war, dann aber wegen seiner Vorbereitung auf das Priestertum wieder entlassen wurde) aufbringen muß, um ein Gebet zu anzuordnen, das um die Bekehrung der Juden zu Christus bittet, insbesondere auch in der politisch so aufgeheizten Atmosphäre der immer autoritärer agierenden EG. Der Papst habe „aus Furch vor den Juden“ gehandelt? Wirklich? Furcht Gottes und brüderliche Liebe zu den Juden geben da schon eine bessere Erklärung.
Selbst nachdem die ADL dem Papst am 22. Januar eine Warnung geschickt hatte, daß „ein verändertes Karfreitagsgebet, in dem die Juden zur Aufgabe ihrer religiösen Identität aufgefordert würden, verheerende Folgen für die vertieften Beziehungen und den Dialog zwischen der katholischen Kirche und den Juden hätte“, setzte der Papst alle politischen Bedenken hintan um die Juden dazu einzuladen, an der erlösenden Umarmung durch unseren Herrn und Retter Jesus Christus teilzuhaben. Ja - er ist der Papst, Bischof von Rom, Vikar Christi, Sichtbares Haupt der Kirche - es ist seine Aufgabe, die Welt wissen zu lassen, was die Lehre der katholischen Kirche ist.
Wenn also selbst die ADL richtig feststellt, daß die Veränderung des Gebetes nur „kosmetischer Art“ und völlig bedeutungslos sei gegenüber der erneuten Aufforderung des Papstes an die Juden "Jesus Christus als den Erlöser aller Menschen anzuerkennen" - dann sollten Katholiken doch schon zweimal nachdenken, bevor sie ausschließen, daß der Hl. Geist bei dieser Sache beteiligt gewesen sein könnte.
Letzten Endes geht es bei dieser ganzen Kontroverse im Kern letztlich doch darum, die Freiheit der katholischen Kirche einzuschränken und die Stimme Christi in der modernen Welt zum Schweigen zu bringen. Aber Benedikt ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. Anstatt in erhabenem Schweigen zu verharren (man soll nicht unterschätzen, wieviel Politk heutzutage aus "päpstlichem Schweigen" gemacht werden kann), hat der Papst den Bedenken von nicht-katholischer Seite auf eine höchst pastorale Weise geantwortet und dann auch noch versucht, einen letzten Stolperstein für die schnelle Verbreitung der Traditionellen Messe in der ganzen Welt aus dem Weg zu räumen, nämlich die lauthals erhobene Anklage, deren Anhänger seien doch nur eine kleine Gruppe von Antisemiten, wie man an ihrem jährlichen Gebet für die Juden am Karfreitag klar erkennen könne. Benedikt, so scheint es, hat erkannt, was für einen haarsträubenden Unsinn diese Behauptung darstellt, und setzt sich erneut ungeachtet aller Risiken voll für die Tradition ein. Wenn die Political Correctness Police die traditionsorientierten Katholiken als Antisemiten brandmarken will - dann müssen sie jetzt beim Bischof von Rom damit anfangen. Viel Vergnügen.
Die Existenz einer absoluten Wahrheit anzuerkennen hat nicht das geringste zu tun mit Feindschaft gegenüber denen, die noch nicht zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen sind. Im Gegenteil. Die Katholiken sind von Gott dazu aufgerufen, ihren Glauben mit der ganzen Welt zu teilen und ihre Mitmenschen in Liebe dazu einzuladen, zum Tisch des Herrn und Erlösers Jesus Christus zu kommen. Es ist eine schwere Sünde, diejenigen, die unseren Glauben noch nicht angenommen haben, zu verurteilen, zu hassen oder ihnen Böses zu wünschen. Die Behauptung, das Karfreitagsgebet sei antisemitisch, ist eine Lüge. Wenn es in unserer „aufgeklärten“ Gesellschaft hate speech bedeuten soll, in Wort oder Gebet dafür einzutreten, seinen Glauben mit den Mitmenschen zu teilen - wie lange wird es dann noch dauern, bis die Polizei die Zeugen Jehovas einsperrt? Wirklich - dieser Unfug muß aufhören.
Wie Daniel Thompson in seinem Artikel „Katholiken beten für die Bekehrung der Juden“ auf Telegraph.co.uk zu Recht ausführt, ist es an der Zeit, derlei hinter sich zu lassen:
Die Kirche lehrt, daß die Juden Gottes auserwähltes Volk sind, und daß es sein ausdrücklicher Wille ist, daß gerade sie den Messias anerkennen. Für orthodoxe Juden ist das Gotteslästerung. So ist es. Die beiden Religionen widersprechen sich in diesem Punkt diametral, und wir sollten reif genug sein, diese Tatsache anzuerkennen.“
Die Aufpasser auf beiden Seiten der Debatte um das Karfreitagsgebet sollten sich beruhigen. Papst Benedikt hat nicht mehr und nicht weniger getan als seine Amtspflicht zu erfüllen, indem er die Welt daran erinnert hat, daß die Kirche Christi den Auftrag nicht verraten kann, alle Völker einschließlich der Juden zu bekehren, will sie nicht ihre Identität als die Kirche, die er gegründet hat, aufgeben. Die große Mehrheit der vernünftigen Leute in der Welt von heute, seien sie Katholiken, Protestanten oder Juden, sollten sich darüber einig sein, daß es für das Haupt der katholischen Kirche ein unveräußerliches Recht und etwas völlig Vernünftiges ist, diese Grundsätze zu bekräftigen. Dafür ist er nun einmal da.
Das Fazit? Papst Benedikt hat seine Unterschrift unter einen Aufruf an alle Menschen - einschließlich der Juden - gesetzt, Jesus Christus als den Erlöser anzuerkennen; das ist der erste derartige Aufruf seit vorkonziliaren Zeiten. Wenn das kein Beweis dafür ist, daß der Hl. Geist das Papstamt nicht verlassen hat - was denn sonst noch?