Vom Zustand der Kirche
Zwei Welten in Rom und Thiberville
5. 11. 2009
S.E. Kardinal Castrillon am 5. Januar in St. Maria in Trasteverre
Größer kann man sich den Kontrast kaum vorstellen: In Rom demonstrieren die Kardinäle Hoyos, der langjährige Präsident von Ecclesia Dei, und Canizares, amtierender Präsident der Kongregation für den Gottesdienst, die Einheit der Kirche in beiden Riten: Kardinal Hoyos zelebrierte am 5. Januar für die Teilnehmer der Klerikerkonferenz zum Priesterjahr ein Pontifkalamt im neuen Ritus in Santa Maria in Trastevere. Am 8. Januar, dem Schlußtag der Konferenz, zelebrierte Kardinal Canizares ein feierliches Pontifikalamt in der Lateranbasilika im alten Ritus.
Die tiefe Uneinigkeit, die die Kirche seit Jahrzehnten zu zerreißen droht, trat indessen in der kleinen französischen Stadt Thiberville zutage, wo der Ortsbischof gerade den langjährigen traditionsorientierten Pfarrer abgelöst und durch einen Teilzeitseelsorger im Rahmen eines umfangreichen Pfarreienverbundes ersetzt hatte. Als der Ortsbischof zur Amtseinsetzung des Neuen mit allen Insignien des siegreichen Modernismus – Regenbogen-Casel, Messdienerinnen, Konzelebranten mit Überstola– in die Kirche einzog, wurde er lautstark ausgebuht. Zwei Frauen beschimpften den Bischof auf Rempeldistanz und zogen an seiner provokanten Gewandung; eine dritte zerrte wutentbrannt ihren Sohn aus der Schar der Messdiener und verließ mit ihm die Kirche – zusammen mit dem größten Teil der ortsansässigen Gemeinde.
Schauplatz Rom
Die Bilder aus Rom und die dahinter stehenden Ereignisse sind leicht erklärt. Kristallisationspunkt ist die „Klerikerkonferenz zum Priesterjahr“, die vom 4. - 8. Januar in Rom stattfand. Die Konferenz war keine offizielle Veranstaltung des Vatikans, Organisator war die „Catholic Clergy Confraternity bzw. deren australischer Zweig Australian Confraternity of Catholic Clergy“, die man zwar nicht als traditionalistische Vereinigung bezeichnen kann – die aber in ihrer betonten Treue zum Papst und zum Lehramt sowie einer an der Tradition orientierten Hermeneutik des Konzils in einem deutlichen Widerspruch zu den auch in Australien dominierenden „liberalen“ Kräften steht. Da die Confraternity ihren Schwerpunkt in den englischsprechenden Ländern hat, kamen auch die meisten Teilnehmer von dort.
S.E. Kardinal Castrillon am 7. Januar in Campocavallo
Der Vatikan unterstützte die Konferenz unter anderem dadurch, daß er das Domus Stae Marthae als „Kongresshotel“ und die Lateranbasilika, Haupt und Mutter der Kirchen des Erdkreises, für den Abschlußgottesdienst zur Verfügung stellte. Die Auftritte mehrerer Kardinäle und des päpstlichen Zeremoniars unterstreichen die Bedeutung, die der Papst und seine Mitstreiter dieser Veranstaltung beimessen.
Die Gottesdienste während der Konferenz standen von Anfang an im Zeichen einer betonten Gleichstellung von altem und neuem Ritus – für die meisten Teilnehmer, die in der Regel im Novus Ordo zelebrieren, sicher eine besondere Erfahrung. Liturgische Höhepunkte waren, wie hier schon erwähnt, ein Pontifikalamt im Neuen Ritus, das vom früheren Vorsitzenden der Kommission Ecclesia Dei, Kardinal Dario Castrillon Hoyos, am 5. Januar in Santa Maria in Trastevere zelebriert wurde. Die musikalischen Hauptelemente waren:
- Ordinarium: Missa Vinum Bonum von Orlando di Lasso
- Zum Offertorium: Hodie Christus Natus est von Palestrina
- Zur Kommunion: Ave Verum Corpus von Orlando die Lasso
Vesper mit Erzbischof Di Noia
Am 6. folgte dann eine Pontifikalvesper nach dem alten Ritus, als deren Offiziant der neuernannte Sekretär der Gottesdienstkongregation, Erzbischof Joseph Augustin Di Noia OP, amtierte. In keinem Zusammenhang mit der Priesterkonferenz, sehr wohl aber im Zusammenhang mit seinem dortigen Auftritt als Zelebrant im neuen Ritus, ist das Pontifikalamt zu sehen, das Kardinal Castrillon an diesem 6. Januar bei den Franziskanern der Immaculata von Campocavallo in Osimo feierte. Offensichtlich ist ihm daran gelegen, die vom Papst gewünschte Vereinbarkeit der beiden Formen des Ritus auch in seiner Person zu unterstreichen.
Papstmesse in St. Peter zum Fest Erscheinung des Herrn Foto: Felici
Am gleichen Tag unterstrich der Papst (oder sein Zeremoniar, doch sicher nicht ohne Absprache) auch in seiner Person die Verbindung von Tradition und Gegenwart auf ganz besondere Weise: Zum Dreikönigsamt in der Peterskirche, das unter reichlicher Verwendung von Latein und mit dem römischen Kanon zelebriert wurde, trug der Papst eine besonders prächtige römische Kasel. Sie wurde später identifiziert als die Kasel, die seine Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. bei ihren Krönungszeremonien getragen hatten. Doch zurück zur Klerikerkonferenz. Liturgischer Abschluß der Konferenz war das Pontifikalamt am heutigen Freitag, das vom Präfekten der Gottesdienstkongregation, Kardinal Llovera Canizares, in der Lateranbasilika zelebriert wurde. Die musikalischen Elemente der Liturgie waren:
- Das Ordinarium: Mariazellermesse von Joseph Haydn,
- Die Proprien: Gregorianisch,
- Zum Offertorium: Beati quorum via von Stanford,
- Zur Kommunion: Ave Verum und Laudate Dominum von Mozart
S.E. Kardinal Canizares im Lateran
Und wenn es auch nicht direkt zur Liturgie gehört, so erfüllt es doch sicher alle Blogger mit besonderer Freude, daß als Subdiakon der hier wohlbekannte Pfarrer von Blackfen, London, his Hermeneuticalness Tim Finigan, amtierte.
Soviel zu Rom, soviel zum erfreulichen Teil, und soviel zu dem, was leicht beschrieben und zu verstehen ist.
All das gilt nicht für die Ereignisse von Thiberville in Nordfrankreich, über die immer noch kein einheitliches Bild zu gewinnen ist.
Schauplatz Thiberville
Thiberville liegt in der Diözese Evreux – das ist die Diözese, deren in der Öffentlichkeit offensiv modernistisch auftretender Bischof Jaques Gaillot 1995 in einem aufsehenerregenden Vorgang von Papst Johannes Paul II. abgesetzt und buchstäblich „in die Wüste geschickt“ wurde – er erhielt das Titularbistum „Parthenia“ im heutigen Algerien, das bereits im 5. Jahrhundert untergegangen ist. Seitdem macht Bischof Gaillot „Internet-Pastoral“ - einer seiner bekannteren deutschen Anhänger ist der Schweinfurter Pfarrer Breitenbach.
Einzug von Bischof Nourrichard
Evreux hat aus dieser Zeit ein gemischtes Erbe. Einerseits war Bischof Gaillot auch da „liberal“, wo seine scheinliberalen Kollegen es nicht sind: Er duldete in seiner Diözese in mehreren Pfarreien, daß Priester ganz oder teilweise an der alten Liturgie festhielten, während fast ganz Gallien von den Truppen Bugninis besetzt und auf Linie gebracht worden war. Thiberville ist eine dieser Pfarreien. Die Kirche dort sieht noch so aus, wie katholische Kirchen in der Normandie seit Hunderten von Jahren aussehen, und die Liturgie wird dort auch schon seit vor „Summorum Pontificum“ in beiden Formen des römischen Ritus gefeiert – aber immer „ad Dominum“, denn einen Volksaltar gibt es nicht.
Der andere Teil des Erbes von Bischof Gaillot besteht darin, daß der größere Teil des Klerus oder das, was von ihm noch übrig ist, stark modernistisch eingestellt ist. Wie anderswo in Frankreich auch sind in den letzten Jahrzehnten Priester und Gläubige in Scharen davongelaufen; der sonntägliche Gottesdienstbesuch liegt unter 5% - die Bildung von Großpfarreien mit 10 oder 20 Sprengeln war die administrative Antwort. Außerdem häufige Personalrotation; selten bleibt ein Priester länger als 5 oder 6 Jahre in einer Stelle. Die Kirche sei eine pilgernde Kirche, legte man sich dazu als Theorie zurecht, es gelte, beweglich zu sein. Diese Theorie und ihre Praxis führten freilich nicht dazu daß in diesen Pfarrverbünden auch nur annähernd ein solches kirchliches Leben erreicht werden konnte, wie es in traditionsorientierten Pfarreien wie Thiberville immer noch besteht.
Eine Mutter zerrt ihren Sohn aus der Prozession
Sei es, daß dieses (relativ) blühende kirchliche Leben den Vertretern moderner Kollektivierungspastoral unerträglich wurde, sei es, daß Thiberville bei den stets nach exakten Plänen exekutierenden Radikalreformern einfach „dran“ war – jedenfalls löste Bischof Nourrichard den bisherigen Pfarrer von Thiberville, Abbé Michele, zum Jahresende als Pfarrer ab (ohne ihm einen neuen Aufgabenbereich zuzuweisen), schlug die kleine Stadt mit etwa 5000 Einwohnern dem nächstgelegenen Pfarrverbund zu und übertrug einem von deren Geistlichen die spezielle Fürsorge für Thiberville.
Bürokratisch gesehen hatte also alles seine beste Ordnung, als der Bischof am Sonntag den 3. Januar in Thiberville erschien, um den neuen Pfarrverantwortlichen vorzustellen – daß die dickschädligen normannischen Bauern der Gegend bereits im Internet mobil gemacht hatten, um „ihren“ Curé und ihren traditionellen Katholizismus zu verteidigen, hatte man im Ordinariat wohl nicht mitbekommen oder zumindest nicht ernstgenommen. Vielleicht war man sich auch nicht im klaren darüber, wie erschütternd es auf die Gemeinde wirken müßte, mit all den äußeren Zeichen konfrontiert zu werden, mit denen die „Hermeneutik des Bruches“ ihre Abwendung von den Gebräuchen der Vorväter in die Welt hinaus schreit.
Frauen beschimpfen lautstark den Bischof
Jedenfalls kam es dann zu den einleitend beschriebenen hässlichen Szenen, die inzwischen hässliche Weiterungen erfahren haben. Die Mehrheit der Gläubigen hat die Kirche und den Bischof verlassen – es blieben 21 Personen zurück, nur drei davon aus Thiberville. Die ausgezogene Mehrheit der Gläubigen ist dann in eine andere Kirche in der Nähe gegangen, wo der ehemalige Pfarrer zwei Sonntagsmessen gehalten hat – die erste im neuen, die zweite im alten Ritus. Und als der Bischof später auch in diese Kirche folgte – im Zustand „kalter Wut“, wie berichtet wird, hat man ihn nicht hereingelassen. Seitdem wird der Kampf zwischen Bischof und Gemeinde mit Interviews und Filmen im Internet weitergekämpft – ein lokales Schisma, wie es im Bilderbuch steht.
Daß die „Protestanten“ von Thiberville sich ins Unrecht gesetzt haben, steht außer Frage. Man schreit seinen Bischof nicht nieder, und man verläßt nicht aus Protest seinen Gottesdienst, um in einer anderen Kirche seinen eigenen Laden aufzumachen.
Andere Frage sind weniger leicht zu beantworten: Was geht im Kopf eines Bischofs, Hirte seiner Gemeinde und Nachfolger der Apostel, vor sich, wenn er sieht, wie die Gemeinde ihm voller Zorn und Verachtung den Rücken zuwendet und wegläuft? Ist da nicht mehr zu tun als verlegen/überlegen zu lächeln? Oder in „kalter Wut“ eine Autorität einsetzen zu wollen, die verspielt ist? Was denken sich die Architekten „pastoraler Konzepte“, wenn sie feststellen müssen, daß diese Konzepte nicht nur die ihnen zugeschriebenen Wohltaten nicht spenden können, sondern die, denen sie zugedacht sind, zur offenen Rebellion aufreizen?
Die leere Kirche nach dem Auszug der Protestierer
Was denken sich schließlich diejenigen, die an den Universitäten oder in den Pfarreien die Tradition der Kirche fortgesetzt schlechtmachen und delegitimieren, wenn einige Gemeinden – denn da gibt es nicht nur Thiberville – ihre Tradition mit Zähnen und Klauen verteidigen, während in vielen von der Tradition „befreiten“ Gemeinden der Glaube schnell verdunstet?
Die Bilder aus der ersten Januarwoche in Thiberville und Rom zeigen die Tiefe der Kluft, die die Kirche zerreißt – und sie zeigen auch einen Weg, sie mit Gottes Hilfe zu überwinden. Was der Wille und die Absicht des Papstes in dieser Sache sind, kann niemandem verborgen geblieben sein. Sein Zeremoniar Marini hat diese Absichten in seiner großen Rede vor der Klerikerkonferenz noch einmal in aller Breite dargestellt, und die Kardinäle Castrillon und Canizares haben sich in eigener Person als Brückenbauer eingesetzt.
Bischof Nourrichard hat die Kluft in seinem Verantwortungsbereich dagegen vertieft, so wie sie auch andere Bischöfe – wenn auch vielleicht nicht immer so grobschlächtig – immer noch lieber vertiefen, als zu ihrer Überwindung beizutragen. Die Folgen sind nicht immer so drastisch wie jetzt in Frankreich. Aber wer sich als Bischof außerstande sieht, seinen Hirtenauftrag in der Kirche so auszuüben, wie das in Rom beispielhaft vorgestellt wurde, sollte überlegen, ihn in die Hände des Papstes zurückgeben.
Hier finden Sie weitere Bilder bzw. Filmberichte von den erwähnten Ereignissen:
- Vesper mit Erzbischof Di Noia
- Pontifikalamt in Santa Maria in Trastevere
- Kardinal Castrillon in Campovallo
- Pontifikalamt 8. 1. im Lateran
- Film 1 aus Thiberville
- Film 2 aus Thiberville