Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

„Das Haus unseres Erbes ist wieder frei“

Eine Bilanz nach 10 Monaten Summorum Pontificum

5. 6. 2008

Wir übersetzen hier einen Beitrag, den der Kirchenmusiker Jeffrey Tucker am 29. 5. unter dem Titel „The Mansion of the Past reopened“ in TNLM veröffentlicht hat.

Während das erste Jahr nach Summorum Pontificum zu Ende geht, zeigt sich, daß das Motu Proprio von Papst Benedikt seine stärkste Wirkung gar nicht ausschließlich und noch nicht einmal in erster Linie mit der Freigabe der tridentinischen Form des römischen Ritus entfaltet. Kein Zweifel – die alte Form kommt in Pfarreien, Seminaren und Kathedralen wieder zu Ehren, das ist eine ganz hervorragende Entwicklung. Es war eine großartige Idee des Papstes, die alte Form als „außerordentliche Form“ und die neue als die „ordentliche Form“ zu bezeichnen und darauf zu bestehen, daß beide zwei Formen des römischen Ritus darstellen. Diese Sprachregelung bewirkt eine art liturgischer Heilung, und vermindert den Abstand, der uns künstlich von der Liturgie der Vergangenheit getrennt hat.

Aber die wirkliche Bedeutung reicht noch wesentlich weiter. Mit Summorum Pontificum ist die Gesamtheit unseres katholischen Erbes – und zwar im weitesten Sinne dieses Ausdrucks - wieder legitimiert worden, die Entwurzelung, die überall die Jahren nach dem Konzil kennzeichnete, hat ein Ende.

Diese Ächtung der Geschichte war keine geplante Politik und kein Ergebnis der Gesetzgebung, sie wurde auch nicht von einer bestimmten Gruppe besonders betrieben. Aber sie hat das katholische Leben in Amerika auf vielfache und sehr gefährliche Weise durchdrungen und bestimmt. In dieser tumultösen Zeit waren sich die Katholiken nicht mehr sicher, was sie glauben und was sie tun sollten – außer, daß alles, was wir taten und glaubten, anders zu sein hatte als das, was unsere Vorfahren geglaubt und getan hatten.

Hier ist ein kleiner Widerspruch angebracht: Die Entwicklung war sicher kein Ergebnis einer darauf gerichteten Gesetzgebung, aber in vielem sehr wohl Ergebnis einer geplanten Politik, die genau das zum Inhalt hatte: Die Kirche von ihrer Tradition und der alten Lehre zu trennen und so disponibel gemacht, den Zielen einer modernistischen Theologie unterzuordnen. Im Übrigen stimmen wir Tucker weitestgehend zu und finden, daß daß die von ihm beschriebene Entwicklung in den USA und die von uns erlebte in Deutschland weitgehend übereinstimmen.

Die gewohnheitsmäßig geäußerte Verachtung der „schlechten alten Zeit“ war in der dieser Zeit dauernder Veränderungen geradezu einer Konstante – man muß hier nicht auf die Details eingehen. Die Beichte war anders; die Musik war anders, die Liturgie war anders, die Theologie war anders, die Moralvorstellungen waren anderes. Und bei allen diesem Anderssein galt es als völlig klar, daß wir Heutigen besser dran wären, aufgeklärter, humaner, fortgeschrittener. Niemand kümmerte es, daß es überhaupt keine Fakten gab, die diese Ansicht gestützt hätten. Dabei kann man für die nachkonziliaren Jahre nun wirklich kein Neues Pfingsten feststellen, weder beim Bnlick auf die Berufungen, auf den Messbesuch, auf die Größe der Familien oder auf die Kunstproduktion.

30. Mai: Priesterweihe in Lincoln

Alle Katholiken haben in diesen Jahren ein schweres Gefühl der Beklommenheit empfunden. Die hl. Messe, die man abgeschafft und nahezu verboten hatte, war das Zentrum des katholischen Lebens in der Vergangenheit gewesen. Sie erschien überall: in der Kunst, in der Musik, in der Theologie und im geistlichen Schrifttum. Man fand irgendwo ein Andachtsbild mit dem Hochaltar und fragte sich, ob man damit heute noch etwas anfangen könne. Im Antiquariat sah man Kinderbücher - die man dann aber nicht kaufte, weil dort Priester zu sehen waren, die die Messe in Richtung des liturgischen Ostens feierten. Die Schriften der Heiligen über die hl. Messe erschienen uns nicht mehr relevant, sprachen sie doch von etwa, das wir heute so nicht mehr kennen und erfahren. Wir hörten ein großes Werk der Kirchenmusik und wunderten uns darüber, daß das Sanktus vom Benediktus getrennt war, und so waren wir versucht, anzunehmen, daß diese zeitlose Musik in unseren Tagen irgendwie nicht mehr passend wäre.

Selbst Bilder aus der Vergangenheit unserer eigenen Pfarreien hinterließen ein ungutes Gefühl: Was für ungewöhnliche Gewänder der Priester da trug! Und diese merkwürdige Kopfbedeckung – das ist doch heute sicher nicht mehr erlaubt. Was wurde aus diesem Altar, der so großartig aussieht, und warum hat man ihn durch so einen kleinen Tisch ersetzt? Wo sind die Kommunionbänke geblieben, und das bunte Glas in den Fenstern? Man konnte und wollte das alles kaum anschauen, schien es doch zu einer abgetanen Epoche der Geschichte zu gehören.

Diejenigen, die das wieder zurück haben wollten, wurden als illoyal oder reaktionär beschimpft. Man hat unsere geistige Gesundheit in aller Öffentlichkeit in Frage gestellt: Was stimmt nicht mit unserer Geistesverfassung, daß wir die Moderne nicht akzeptieren können? Stellen wir die Weisheit unserer Hirten in Frage? Was mißfällt uns an der Gemeinschaftlichkeit, an Offenheit und an Teilnahme des Volkes, daß wir uns in die längst vergangenen schlechten alten Zeiten zurücksehnen?

Es brauchte nicht viel, um jemanden als „Traditionalisten“ abzustempeln – eine Bezeichnung, die wie eine Beleidigung gebraucht wurde. Ich erinnere mich, wie ich mich vor Jahren einmal gegen den Vorschlag eines Architekten aussprach, unseren Hochaltar abzureißen. Da warnte mich ein Priester, der meine Einwände teilte, ich solle mich nicht zu sehr exponieren, damit man mir nicht traditionalistische Neigungen und den Versuch zur Wiederherstellung des tridentinischen Ritus vorwerfen könne.

Dabei war das eine Gemeinde, in der ansonsten die Regel galt: „Alles ist möglich“. Es war diese Pfarrei, in der ich einmal den Kinderkatechismus nach dem Baltimore-Catechism (aus dem Jahr 1891) unterrichtete, weil der nun einmal das beste war, was ich finden konnte. Aber wenn jemand an die Tür klopfte, packte ich die Bücher vorsichtig ein und brachte sie aus der Sicht.

Manchmal fühlte man sich wohl wie jemand, der im früheren Sowjet-Block lebte und sich mit freiheitlichen Ideen versuchte. Natürlich hat niemand gesagt, das wir den Baltimore-Katechismus nicht verwenden dürften – aber wir alle hatten den Imperativ der Kultur des modernen Pfarreilebens verinnerlicht: Alles war möglich, alles war erlaubt, jede Art von Liberalität war gutgeheißen – solange man nicht in die Vergangenheit zurückschaute.

17. Mai: Marienvesper in Berlin

Manchmal nahm die Sucht, die Vergangenheit zu entsorgen, Züge einer Hexenjagt an. Wenn ein Musiker ein traditionelles Kyrie vorschlug, fragten sich die Leute, ob als nächster Schritt die zwangsweise Rückführung ins Mittelalter bevorstünde. Ein ganzes Sanktus als Choral zu singen führte zu der in vollem Ernst aufgeworfenen Fragen, ob man sich damit nicht in ein verbotenes Gebiet vorwage, das uns für immer verschlossen sein sollte. Selbst die Mundkomunion zu praktizieren oder bei der Beichte nach einem Sichtschirm zu fragen, brachte einen in den Ruf, ein Unruhestifter zu sein.

Wer nach der alten Liturgie verlangte, sah sich einem unbarmherzigen Scherbengericht ausgesetzt. Viele retteten sich in eine Erklärung der Art, daß sie überhaupt nichts am aktuell stattfindenden kritisieren wollten, sondern lediglich eine „Anhänglichkeit“ an den alten Ritus verspürten – aus welchen psychischen Gründen auch immer.

„Anhänglichkeit“ war das Wort, das wir alle benutzten, weil es nicht als bedrohlich empfunden wurde und nach einer noch zulässigen persönlichen Eigenart klang. Wir sagen nicht, die alte Form sei besser, nein, es ist eine rein persönliche Angelegenheit, eben eine Anhänglichkeit. Natürlich fehlte es dieser Wendung für viele, die dazu ihre Zuflucht nahmen, an Plausibilität, wenn man z.B. bedenkt, daß junge Leute die treibende Kraft hinter der Bewegung zur Freigabe der alten Messe waren. Schon interessant, wie schnell Teenager eine „Anhänglichkeit“ für eine Messe entwickeln konnten, die sie vielleicht nur ein oder zwei mal unter den bescheidensten äußeren Bedingungen erlebt hatten – wenn überhaupt.

Mit Summorum Pontificum hat ist bei dieser Tendenz sich zu verstecken und nach harmlosen Entschuldigen für das historische Interesse oder den Wunsch nach Kontinuität im Gottesdienst zu su suchen, eine Veränderung eingetreten. Die Messe der Vergangenheit ist wieder zurückgekehrt, und jeder Priester des römischen Ritus hat das Recht, sie zu zelebrieren. Sie wird wieder in Seminaren gelehrt, sie wird in Kathedralen gefeiert – und manchmal sogar in unseren Pfarreien. Die Einwände, die man noch vor fünf Jahren gehört hätte, nehmen in dem Maß ab, wie immer mehr Bischöfe und Priester sich die Freiheit nehmen, sich diesem Erbe wieder zuzuwenden und die alte Messe zu feiern.

Ob wir nun die alte Messe besuchen oder nicht – wir können wieder alte Andachtsbilder ansschauen und verstehen, was darauf dargestellt ist. Die Bilder aus dem Pfarrarchiv sind keine traurigen Erinnerungen an Vergangenes, sondern lehrreiche Vorlagen für die Zukunft. Die Musik der Vergangenheit erscheint uns als frische und großartige Herausforderung. Gewänder aus der guten alten Zeit kommen in den Seminaren wieder zur Ehre; die liturgischen Bücher der Zeit vor dem Konzil erleben geradezu einen Boom.

Das alles bedeutet nicht, daß wir uns vor den Entwicklungen der Gegenwart verschließen sollen. Aber es bedeutet, daß man diese Entwicklungen besser als einen Teil der langen Geschichte unseres Glaubens verstehen kann, und daß das, was neu ist, besser in Übereinstimmung mit den Traditionen unseres Glaubens aufgenommen werden kann.

Es geht also nicht darum, und wenn das auch noch so oft behauptet wird, die Uhr zurückzudrehen oder einen früheren Zustand wieder herzustellen. Der große Gewinn von Summorum Pontificum besteht darin, daß wir bei unserem Weg in die Zukunft intellektuell und spirituell von einem größeren Erfahrungsvorrat zehren können. Summorum Pontificum hat mit der Illusion Schluß gemacht, daß die katholische Kirche 1969 neu begründet worden sei und daß wir von unseren Vorfahren nicht mehr zu lernen hätten, als das, was man nicht glauben und was man nicht tun solle.

In der Rückschau zeigt sich, daß diese unglückliche Situation keinen Bestand haben konnte. Aber nur ein sehr mutiger Mann war im Stande, endlich die Barrieren einzureißen, die uns von unserem Erbe fernhielten wie von einem Haus, das man verrammelt hat, während es auf den Abriß wartet. Dieses Haus steht uns jetzt wieder offen, wir können es erkunden, reparieren, es gebrauchen und uns für uns und zukünftige Generationen wieder als Wohnung aneignen.