Motu Proprio: Summorum Pontificum

Hauptnavigation


Zusatzinfo

Benedikt XVI. und die Aktualität des Barock

Die Gewänderauswahl des Papstes versetzt liberale Katholiken in Wut, meint Anna Arco. Aber die Prachtentfaltung hat einen tieferen theologischen Inhalt.

Palmsonntag 2008

Da flitzen Priester auf Rollschuhen, und lächerlich mit Spitzen aufgeblähte Chorhemden rauschen über den Laufsteg. Nach Rauchmänteln, die ganz und gar aus Spiegeln bestehen, folgen Messgewänder und Mitren mit blinkendem Neon, und die geisterhafte atonale Musik erreicht ihren Höhepunkt, als schwere, über und über bestickte Barockgewänder durch den abgedunkelten Raum gleiten. Die Zuschauer bei der „Klerus-Modenschau“ bestehen aus dekadenten alten Aristokraten, den Vorsitz über die Alte Garde Roms führt ein alternder Kardinal, der schon so hinfällig ist, daß er während der Seidenorgie einschläft.

Für viele beschwört jede Diskussion über liturgische Gewänder diese Szene aus Fellinis Film „Roma“ von 1972 herauf, sie erscheint als absurdes Theater, als Wahrzeichen einer früheren und dekadenten Epoche der Kirchengeschichte, die Formen über Inhalte stellte und die nichts mehr mit dem zu tun hat, was für die katholische Kirche heute von Bedeutung ist.

Gerade diese Szene des bitterbös satirischen, ästhetisch aber großartig gelungenen Filmes von Fellini, ist hier auf Youtube zu sehen. Man kann derlei für unzulässig halten - muß das aber nicht.

Die ganze Debatte sollte, so meinen viele, längst in den verstaubten Archiven des kollektiven Gedächtnisses abgelegt sein – gerade so, wie man die Gewänder der Zeit vor dem Konzil in Museen und Depots gesteckt oder an Dekorateure und Trödler verkauft hat. Liturgische Gewänder, seien sie modern oder alt, können starke Emotionen auslösen.

„Die Gewänderauswahl von Papst Benedikt XVI macht mich unsagbar wütend“ klagte ein Leser von „The Tablet“ letzte Woche in einem Leserbrief zur Wahl der Gewänder des Papstes am Aschermittwoch, die sich an Mustern aus dem Pontifikat Paul V. (1605-1621) orientiert hatte. „Was für eine Botschaft sendet diese Prachtentfaltung an die Armen und Entrechteten der Welt? Warum brauchen die Kardinäle oder der Papst hermelinbesetzte Umhänge, rote Samtschuhe, Gewänder nach dem Muster eines Papstes aus dem 17. Jh., Alben und Chorröcke mit kostbaren Spitzen, wertvolle Goldringe, juwelengeschmückte Mitren (oder Mitren überhaupt)? 'Ich bin der Weg' hat Christus gesagt – was würde er von all diesem Prunk halten? Auf der anderen Seite des Spektrums – und das kann man wörtlich nehmen – löste die blau und gelb gebatikte Pracht, die der Papst bei der Messe in Mariazell in Österreich getragen hatte, eine Mischung von Zorn und Verzweiflung aus.

Lesen Sie zu den hier aufgeworfenen Fragen auch unseren Beitrag "Wenn Männer spitzenbesetzte Gewänder tragen".

Die Liturgischen Reformen des 2. Vatikanums haben die Einstellung gegenüber liturgischen Gewändern verändert. Teilweise wurden sie zum sichtbaren Zeichen der Erneuerung der Kirche, die das Konzil erhofft hatte, teils aber auch für die überliberalen Interpretationen der Konzilsdokumente, die ihrerseits zu liturgischen Exzessen führten, wie sie sich die Konzilsväter nie vorstellen konnten.

Aschermittwoch 2008

1971, kurz nachdem die liturgischen Reformen in Kraft gesetzt worden waren, schrieb Msgr John Doherty, Exekutivsekretär der Liturgiekommission der Erzdiözese New York: „Die Haltung der Kirche hinsichtlich der Verwendung von Gewändern unserer Zeit entsteht aus ihrer gegenwärtigen Sicht ihrer Mission und ihres Erscheinungsbildes. Während die Kirche daran festhält, in der Liturgie geistliche Gewänder zu verwenden und die grundlegenden Traditionen aus der Vergangenheit zu bewahren, werden wir künftig mehr Übertragung und Kreativität erleben, die sich nicht an einem römischen, einem katholischen oder an einem barocken Vorbild orientieren, sondern aus den verschiedenen Kulturen und örtlichen Ausdrucksweisen hervorgehen.“

Viele alte Gewänder wurden ausgesondert, insbesondere prächtige Gewänder aus der Rennaissance und dem Barock wurden an Museen übergeben, eingelagert oder einfach weggeworfen. In der Mainstream-Kirche ersetzte die poncho-förmige gotische Kasel die runde Schild-Form des römischen Gewandes, der Manipel kam außer Gebrauch, und abstrakte Bilder und Formen lösten die traditionellen Muster ab. Die Albe, das traditionell unter Dalmatik, Kasel und Rauchmantel getragene weiße Gewand, verloren ihre Spitzen und wurden vereinfacht.

Wie übersetzt man „mainstream church“? In Deutschland spricht man, wenn man die Kirche meint, so wie sie sich in der Hauptsache darstellt, gerne von der „Amtskirche“. Aber das passt hier nicht, und muß die Kirche nicht immer „Amtskirche“ sein - außer für die Wahl-Protestanten von Kirche von Unten? Wir verzichten zunächst auf eine Übersetzung, ohne uns damit wirklich wohl zu fühlen.

Seitdem Papst Benedikt Erzbischof Piero Marini, den kreativen Zeremoniar Johannes Pauls II. Im letzten Jahr durch Msgr. Guido Marini ersetzt hat, werden in der päpstlichen Gewandung Veränderungen sichtbar. Seit der Freigabe der traditionellen Form der hl. Messe nach den Büchern von 1962, die außer Gebrauch gekommene Objekt wie Manipel oder Birett verwendet, hat er begonnen, altes und neues miteinander zu mischen.

Wie die bevorzugten Designer von Erzbischof Marini, X-Regio, 2005 in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde ausführten, setzt das, was der Papst trägt, Trends. Bei der Palmsonntagsprozession dieses Jahres trug Papst Benedikt XVI. einen Rauchmantel nach alter Mode, ein langes umhangartiges Gewand, das in der Mainstream-Kirche nach den Reformen der 60er und 70er Jahre kaum noch gebraucht wurde, obwohl es nicht abgeschafft worden war. Die Kardinal-Diakone trugen im gleichen Stil gefertigte Dalmatiken. Bei der eigentlichen Messe trug der Papst dagegen eine einfache Casel nach dem modernen gotischen Schnitt.

Palmsonntag 2008

Die wiederholte Verwendung älterer Formen liturgischer Gewänder durch Papst Benedikt ist mehr als nur eine geschmacksbedingte Vorliebe für prächtige Kleidung - sie entspricht seinem Konzept der Liturgie, das nicht auf Nostalgie für eine alte Kirche oder verfeinerten Ästhetizismus beruht, sondern auf seinem tiefen Verständnis für die vom 2. Vatikanum eingeleiteten Reformen und seiner Sicht ihres Platzes in der allgemeinen Geschichte der kirchlichen Tradition und ihrer philosophischen und theologischen Grundlagen.

Wie die Australische Theologin und Philosophin Tracey Rowland in ihrem hervorragenden neuen Buch „Ratzingers Glaube – die Theologie Papst Benedikts XVI.“ ausführt, spielt Schönheit im Glauben von Papst Benedikt eine herausragende Rolle, und zwar nicht als ein zusätzliches pädagogisches Mittel oder im Sinne einer „Geschmacksfrage“, sondern als wesentlicher Bestandteil seines Verständnisses von Christus. Zwar schreibt Dr. Rowland nichts über Gewänder – sie gibt einen Abriss der Theologie des Papstes und seines darauf beruhenden Verständnisses der Liturgie. Schönheit und Gott sind nicht voneinander zu trennen, und für Papst Benedikt ist die Liturgie ein „lebendiges Gewebe der Tradition, das konkrete Form angenommen hat und das man nicht in kleine Stücke reißen kann, sondern als ein lebendes Ganzes sehen und erfahren muß.“

In einer zusammenfassenden Darstellung von Papst Benedikts Haltung gegenüber einigen der liturgischen Mißbräuche, wie sie sich aus bestimmten Fehlinterpretationen des 2. Vatikanums entwickelt haben, und dem Stellenwert der Schönheit in der Liturgie schreibt Dr. Rowland: „Schönheit ist keine zusätzliche Möglichkeit oder etwas, das im Gegensatz zu einer höherwertigen Option für die Armen stünde. Es ist nicht skandalös, seidene Worte in seidene Gewänder zu kleiden. Katholiken sind keine unmusischen Spießer, die dem Gebrauch einer liturgischen Sprache intellektuell nicht gewachsen oder von unwandelbaren Ritualen abgestoßen wären. Dagegen kann Banalität sehr wohl abstoßend wirken.“

Während die Diskussion über liturgische Gewänder an Schärfe zunimmt – und so wie es aussieht, wird sie an Schärfe zunehmen – heißt es, daß der Papst einen neuen Satz von Gewändern nach vor-tridentinischen Mustern in Auftrag gegeben habe, die bereits am Palmsonntag getragen werden sollten. Da ist es gut, sich an ein Schlagwort zu erinnern, mit dem die Regentschaft Benedikt XVI. bisher bezeichnet wurde: Die Hermeneutik der Kontinuität.

Wen der Papst er für die Feier des Novus Ordo Gewänder nach vorkonziliarem Stil verwendet – wie das übrigens in Bayern und einigen anderen Inseln der katholischen Welt oft praktiziert wird – signalisiert er damit, daß die Kirche nach dem 2. Vatikanum ihrer langen Geschichte nicht den Rücken zuwenden, sondern dieser Geschichte hoch schätzen sollte.


Hier finden Sie die Originalfassung des Artikels von Anna Arco.