Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Papst Benedikt zu „Summorum Pontificum“

Mehr als eine Aufforderung zur Toleranz

Auf dem Flug zum Besuch in Paris und Lourdes hat Papst Benedikt am 12. 9. 2008 auch Fragen von Journalisten beantwortet. Dabei war auch eine Frage, die die Befürchtung äußerte, Summorum Pontificum bedeute einen „Rückschritt“ gegenüber den großartigenh Errungenschaften des 2. Vsatikanischen Konzils. Den ersten, ungenauen und sogar entstellenden Agenturbericht über die darauf gegebene Antwort des Papstes kann man bei "Whispers in the Loggia" nachlesen. Dort findet sich auch eine sehr tendenziöse Kommentierung, die die Antwort des Papstes als Dementi der Ausführungen von Kardinal Hoyos in London hinstellt. Die jetzt vorliegende englische Fassung bietet dazu freilich kaum einen Anlaß - dennoch erscheint es sinnvoll, zu versuchen, die kurze Antwort des Papstes in ihre Zusammenhänge zu stellen.

Zunächst noch einmal die Antwort von Papst Benedikt in unserer Übersetzung nach Zenit:

Zitat:Das Motu Proprio ist einfach ein Akt der Toleranz mit pastoraler Zielsetzung gegenüber den Gläubigen, die in dieser Liturgie geformt wurden, die diese Liturgie lieben, sie kennen und mit ihr leben wollen. Das ist eine kleine Gruppe, setzt das doch voraus, daß man gewisse Kenntnisse des Lateinischen und einer bestimmten Kultur hat. Aber ich halte es für eine selbstverständliche Anforderung an den Glauben und die pastorale Einstellung eines Bischofs der Kirche, daß er diese Gläubigen liebt und toleriert und es ihnen gestattet, mit dieser Liturgie zu leben.

Es gibt keinen Gegensatz zwischen der durch das zweite Vatikanische Konzil erneuerten Liturgie und dieser Liturgie. Jeden Tag feierten die Konzilsväter die Messe nach diesem alten Ritus und haben gleichzeitig eine natürliche Weiterentwicklung dieser Liturgie für dieses Jahrhundert entworfen, denn die Liturgie ist eine lebendige Wirklichkeit, die sich entwickelt und ihre Identität in ihrer Entwicklung beibehält.

Deshalb gibt es zwar verschiedene Akzentsetzungen, aber auch eine grundlegende Identität, die einen Widerspruch und einen Gegensatz zwischen der erneuerten Liturgie und der vorhergehenden Liturgie ausschließt. Ich denke, es besteht die Möglichkeit einer gegenseitigen Bereicherung. Dabei ist es klar, daß die erneuerte Liturgie die reguläre Liturgie unserer Zeit ist."

Soweit die von Zenit verbreitete Fassung. Inzwischen ist bei i.media ein vollständiger(er) Text der Antwort des Papstes erschienen. Danach hat Zenit die folgenden näheren Erläuterungen von Papst Benedikt zu "gegenseitiger Bereicherung" ausgelassen:

Zitat:Auf der einen Seite können und sollen die Freunde der Alten Liturgie die neuen Heiligen und die neuen Präfationen usw. der Liturgie kennenlernen. Auf der anderen Seite unterstreicht die neue Liturgie stärker die Teilnahme der Gemeinde, aber die Liturgie ist niemals nur die Versammlung einer einzelnen Gemeinschaft, sondern ein Akt der universalen Kirche in Gemeinschaft mit allen Gläubigen aller Zeiten, und sie ist ein Akt der Anbetung. In diesem Sinne verstehe ich es, daß es eine Möglichkeit zur gegenseitigen Bereicherung gibt."

Falls noch weitere Textfassungen herauskommen, werden wir das hier nachtragen - inzwischen kommentieren wir das, was wir in Händen haben.

Papst Benedikt stellt das Motu Proprio im ersten Absatz seiner Antwort nicht nur als einen Akt der Toleranz dar, er fordert „die Bischöfe der Kirche“ auch ausdrücklich dazu auf, sich diesem Akt der Toleranz anzuschließen - das ist für ihn eine „selbstverständliche Anforderung an den Glauben und die pastorale Eisntellung“. Diese Aufforderung hat Gewicht. Schließlich fliegt der Papst nach Frankreich, wo die Gräben zwischen den Gläubigen, die den alten Ritus schätzen, und dem Teil der Kirche, die den neuen Ritus bevorzugt, noch tiefer sind als anderswo.

Es ist müßig, hier Schuldzuweisungen vornehmen zu wollen – Reaktion und Gegenreaktion sind wie so oft untrennbar ineinander verstrickt. Tatsache ist jedenfalls, daß sich die Liebe zur alten Liturgie in Frankreich oft sehr stark mit einem rückwärts gewandten Weltbild – zurück vor die Revolution von 1789 – verbindet, einem Weltbild, das in vielem wenig zur Bewältigung unserer Gegenwart beitragen kann. Ebenso ist es Tatsache, daß die Neue Liturgie in Frankreich nicht nur sehr oft anders praktiziert wird, als das dem Messbuch und den Anordnungen der Kirche entspricht – sie wird auch von den meisten Theologen und Bischöfen als im Gegensatz zur Tradition der Kirche stehend dargestellt. Dazu kommt eine ständig unterschwellig vorhandene Drohung mit dem Schisma. Gerade in den Wochen vor dem Papstbesuch haben höchste Repräsentanten der französischen Kirche wie auch schon vor dem Erlass von Summorum Pontificum kryptische Äußerungen von sich gegeben, die den Eindruck hervorrufen konnten, die Einheit der Kirche sei akut gefährdet.

Dem setzt der Papst die Wiederholung dessen entgegen, was er schon im Motu Proprio selbst und an anderer Stelle immer wieder betont: Es gibt keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen beiden Formen der Liturgie. Es kann ihn nicht geben, es darf ihn nicht geben, und man darf ihn auch nicht behaupten. Damit setzt der Papst alle Theologen, Liturgologen und die in ihrem Gefolge mitargumentierenden Bischöfe ins Unrecht, die unter Berufung auf einen solchen angeblichen Gegensatz die Feier der alten Liturgie als nicht mehr zeitgemäß unterbinden wollen.

Er fordert aber auch genauso die Befürworter der alten Liturgie auf, nicht in Fundamentalopposition gegenüber der Neuen Form der Liturgie zu verfallen. Eine grundsätzliche Ablehnung der Liturgie von 1969 und die Leugnung ihrer Gültigkeit sind nicht möglich. Dabei sagt der Papst ausdrücklich nichts darüber, ob und in wieweit die praktizierte Form dieser Liturgie mit dem übereinstimmt, was die Konzilsväter wollten und was das Missale von 1969 und die darauf aufbauenden Vorschriften der folgenden Jahrzehnte verlangen. Er hat an anderer Stelle oft genug bitter darüber geklagt, daß es hier große Divergenzen gibt, und sein Bestehen auf der traditionellen Anordnung von Kerzen und Kruzifix auf dem Altar und auf der Spendung der Kommunion auf die Zunge auch in Paris machen deutlich, daß er den Widerspruch zu der von Mißbräuchen gekennzeichneten Praxis nicht scheut. Sie zu überwinden ist weiterhin sein Ziel.

Aber auch die Möglichkeit einer darüber hinausgehenden „Reform der Reform“ bleibt unbestritten. Die neue Liturgie ist „die reguläre Liturgie unserer Zeit“. Eine Bestandsgarantie ist damit nicht verbunden, „denn die Liturgie ist eine lebendige Wirklichkeit, die sich entwickelt und ihre Identität in ihrer Entwicklung beibehält“. Machtbewußte Reformer, die mit der Durchsetzung ihrer Reform jede zukünftige Reform für überflüssig erklären wollen, können sich ebensowenig auf diesen Papst berufen wie die Propagandisten der permanten Reform, denen der Wandel alles und die „Beibehaltung der Identität in der Entwicklung“ wenig bedeutet.

Die erste Fassung der Nachrichten über die Ausführungen des Papstes und darauf gestützte erste Kommentare gingen in die Richtung, Papst Benedikt habe zusätzliche Bedingungen für die Zulassung von Messen im alten Ritus gestellt: „Gewisse Kenntnisse des Lateinischen und einer bestimmten Kultur“. Die jetzt von Zenit verbreitete Fassung bietet zu solchen Befürchtungen keinen Anlaß. Der Papst beschreibt einfach, was der Fall ist und macht ganz nebenbei übereifrige Traditionalisten darauf aufmerksam, warum noch keine massenhafte „Abstimmung mit den Füßen“ in Richtung der altüberlieferten Liturgie eingesetzt hat: Natürlich steht die alte Liturgie im guten wie im unbequemen quer zum Zeitgeist, dem sich die Neue Liturgie insbesondere in ihrer praktizierten Form geschmeidiger anpasst. Um die alte Liturgie zu schätzen, braucht man eine kulturelle Grundierung und spirituelle Sensibilität, deren Vermittlung ganz bestimmt nicht das Anliegen von Theologie und Pastoral der letzten Jahrzehnte war.

Die Ergebnisse dieser Theologie und Pastoral liegen in Frankreich, wo der Anteil der praktizierenden Katholiken auf unter 5 Prozent gefallen ist und jährlich nur noch etwa 100 Priester geweiht werden, unübersehbar vor aller Augen; in den meisten anderen europäischen Ländern sieht es nicht viel besser aus. Niemand kann sagen, es wäre nicht zu diesem Zusammenbruch gekommen, wäre die "alte Theologie" und die alte Liturgie beibehalten worden, aber die Rede vom "Neuen Frühling" erscheint unter diesen Umständen doch stark übertrieben. Eine kritische Analyse und Würdigung der Ergebnisse seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist unabdingbar.

Dabei kennzeichnet es die Lage, daß der Papst – das ist vielleicht der Hauptinhalt seiner kurzen Interviewantworten – offenbar nicht daran denkt, die von ihm angestrebten Verbesserungen mit weiteren Gesetzen und Verfügungen durchsetzen zu wollen. Gehorsam gegenüber dem Papst und dem Gesetz der Kirche ist in der kirchlichen Realität nach 1965 offenbar keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Option. Papst führt im Wesentlichen durch die Verkündigung und durch sein Beispiel. Und die Mündigkeit der Christenmenschen besteht darin, sich aus freiem Willen dafür zu entscheiden, nicht den vielen Päpsten, sondern dem einen Nachfolger Petri zu folgen.